Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Wir wollen im Netz mehr Streife laufen“
Der Chef des Bundeskriminalamts will stärker gegen Hass und Hetze im Internet vorgehen – aber auch gegen Clan-Kriminalität.
BERLIN Die Niederlassung des Bundeskriminalamtes in Berlin ist schwer gesichert. Beamte hinter Schutzglas prüfen unsere Ausweise, bevor wir zum Präsidenten Holger Münch vorgelassen werden.
Herr Münch, der CDU-Politiker Walter Lübcke ist mutmaßlich von einem Rechtsextremisten erschossen worden, der Täter von Halle ist mutmaßlich Rechtsextremist. Warum hat das Agieren des NSU die Behörden nicht aufgerüttelt?
MÜNCH Aus den Taten des NSU wurden sehr wohl Konsequenzen gezogen. Wir haben beispielsweise die Muster für Informationsaustausch und Ermittlung, die wir für den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus nutzen, auf die Bereiche der Politischen Motivierten Kriminalität (PMK) übertragen. Seit 2012 gibt es etwa das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum – kurz GETZ – in Köln, wo Behörden aus Bund und Ländern regelmäßig zusammenkommen und sich mit Politisch Motivierter Kriminalität rechts, links und ausländischen Ideologien befassen. Zum Thema Politisch Motivierte Kriminalität rechts halten wir dort die meisten Sitzungen ab. Wir beobachten schon seit einiger Zeit, dass rechte Gewalt- und Propagandadelikte zunehmen. Alarmiert haben uns zudem Vorfälle wie der Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin. Mit der Tötung von Walter Lübcke ist eine weitere Grenze überschritten worden. Der Anschlag in Halle hat unsere Einschätzung der Gefährdung leider erneut bestätigt. Die Lage ist ernst. Um die Bedrohungen, die von der PMKrechts ausgeht, wirksam abwehren zu können, müssen die Anstrengungen zu deren Bekämpfung erheblich intensiviert werden.
Was haben die Sicherheitsbehörden, die Bundesregierung, die Politik,
die Gesellschaft versäumt?
MÜNCH 2011 und 2012 kam es im Bereich PMK-rechts neben der Umsetzung der bereits erwähnten Maßnahmen auch zu personellen Verstärkungen. Allerdings wurde die Arbeit der Sicherheitsbehörden kurze Zeit später stark durch den islamistischen Terrorismus bestimmt. Die Gefährderzahlen in diesem Bereich haben sich seit 2013 auf heute rund 680 mehr als verfünffacht, die Strafverfahren im Bereich islamistischer Terrorismus auf heute über 1000 mehr als verdreifacht. 2015 und 2016 folgten die Anschläge mit vielen Toten in Paris, Brüssel und Berlin. Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir sieben Anschläge in Deutschland verhindert. Wir hatten nicht den Raum, den Bereich PMK-rechts mit der gleichen Intensität zu bearbeiten, wie wir den islamistischen Terrorismus bearbeitet haben. Durch die Zunahme von rechter Gewalt, sowie Hass und Hetze im Internet, ist dies aber dringend nötig. Das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten daher seit einiger Zeit an Konzepten zur Intensivierung der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Der Bundesinnenminister setzt sich zudem intensiv dafür ein, dass wir die notwendigen Stellen für deren Umsetzung erhalten. Allerdings werden die Sicherheitsbehörden allein das Problem nicht lösen können. Wichtig sind beispielsweise auch Bildung und Prävention, um radikales Gedankengut gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Sie haben mit den anderen Sicherheitsbehörden ein verschärftes Vorgehen angekündigt. Wie genau wollen Sie das Aufspüren der Rechtsextremisten umsetzen?
MÜNCH Wir werden im kommenden Jahr einen Maßnahmenplan umsetzen, der auf drei Ebenen ansetzt. Eine der Ebenen ist die Personenebene. Hier geht es darum, gefährliche Personen früher zu erkennen und bei ihnen die richtigen Maßnahmen zu treffen. Dazu werden wir etwa das Risikobewertungsinstrument RADAR, das wir im Bereich Islamistischer Terrorismus bereits erfolgreich einsetzen, auf den Bereich rechts übertragen. Eine weitere Ebene betrifft die Netzwerke, also die Frage, welche Personenverbindungen eine Rolle spielen. Die Radikalisierung von Einzelpersonen findet nicht im luftleeren Raum statt. Es existiert ein Resonanzraum im Netz, wo man sich gegenseitig bestärkt, aber es gibt ebenfalls Kennverhältnisse und auch strukturelle Verbindungen. Es ist unsere Aufgabe, diese Verbindungen in enger
Kooperation mit dem Verfassungsschutz noch besser aufzuklären. Wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass wir Informationen zu Kennverhältnissen speichern dürfen. Dafür muss der Rechtsrahmen angepasst werden. Wir können die Netzwerke nur durchleuchten, wenn wir dafür auch das Rüstzeug bekommen.
Und der dritte Bereich im Kampf gegen Rechtsextremismus?
MÜNCH Wir müssen stärker gegen Hasskriminalität im Netz vorgehen. Das Internet scheint manchmal wie die letzte Bastion des Wilden Westens zu sein. Beschimpfungen, Drohungen und andere strafbare Veröffentlichungen sind dort an der Tagesordnung, die so in der analogen Welt kaum vorstellbar sind. Es hat eine extrem einschüchternde Wirkung, wenn zum Beispiel Listen mit Namen veröffentlicht werden. Gleiches gilt für Posts mit Drohungen wie „Wir kriegen Euch alle“. Wenn Drohungen von rechts außerdem dazu führen, dass Kommunalpolitiker nicht mehr zu Wahlen antreten und Ehrenamtliche sich aus ihrem Engagement zurückziehen, dann ist das auch demokratiegefährdend. Deshalb wollen wir im BKA zum einen das Internet-Monitoring stärken, also quasi mehr Streife laufen im Netz, und zum anderen eine Zentralstelle für Hasskriminalität im Netz einrichten. Die Provider sollen uns Posts mit strafbaren Inhalten, die sie heute schon löschen, melden müssen.
Liegt das Problem allein im Netz? Die Justiz reagiert ja nur sehr schwerfällig auf Anzeigen aufgrund verbaler Attacken im Netz. MÜNCH Nicht nur bei der Polizei wird man über die Prioritätensetzung reden müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wollen gegen Hass im Netz ähnlich vorgehen wie gegen Kinderpornografie. Dazu bekommen wir aus den USA mittlerweile 70.000 Hinweise pro Jahr, von denen 20.000 nach deutschem Recht die Strafbarkeitsschwelle überschreiten. Wir arbeiten eng mit einer Schwerpunktstaatsanwalt, der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet-und Computerkriminalität in Gießen, zusammen, identifizieren die Täter und geben die Informationen an die örtlichen Polizeibehörden weiter, die dann die weiteren Ermittlungen übernehmen. Unsere Idee ist, dieses Muster der Zusammenarbeit von Justiz und Polizei in Bund und Ländern auf den Straftatenkatalog zu Hasskriminalität im Netz zu übertragen. Es geht darum, dass die strafbaren Einträge nicht nur gelöscht, sondern auch verfolgt werden.
Wie beurteilen Sie die Gamer-Szene? Werden Sie dort auch fündig?
MÜNCH Das Internet insgesamt spielt für Propaganda und Radikalisierung heute eine wichtige Rolle. Dabei hat sich die Nutzung von Sozialen Medien in der rechten Szene in den vergangenen Jahren verändert. Neben klassischen Anbietern wie Facebook und Twitter werden zunehmend auch alternative Plattformen genutzt, auch um Löschungen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz auszuweichen. Kommunikation findet dabei auch in Foren für Computerspiele statt. Ganz überwiegend wird sich hier über Spiele ausgetauscht. Die Attentate von Christchurch und Halle zeigen uns aber, dass sie auch Bedeutung für Radikalisierungsprozesse haben können. Wir stellen die Gamer-Szene nicht unter Generalverdacht, genauso wenig, wie nicht alle Facebooknutzer unter Generalverdacht stehen. Es geht uns vielmehr darum, relevante Kommunikation und strafbare Inhalte polizeilich zu bearbeiten und zu verfolgen, und zwar auf allen relevanten Plattformen.
Auch die Clan-Kriminalität ist inzwischen ein schwerwiegendes Problem. Die Polizei erweckt mitunter den Eindruck, dass sie den Clans ohnmächtig gegenüber steht. Lassen sich die Strukturen noch beseitigen?
MÜNCH Ja, aber es ist ein Kraftakt, und das nicht nur für die Polizei. Probleme, die in 30 Jahren entstanden sind, lassen sich nicht im Handumdrehen lösen. Wir brauchen einen langen Atem. Gemeinsam mit den Polizeien der Bundesländer, der Bundespolizei und dem Zoll intensiveren wir daher die Bekämpfung der Clankriminalität. Neben konsequenter Strafverfolgung und Vermögensabschöpfungen werden wir gemeinsam auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorantreiben. Strafverfolgung allein reicht aber nicht, wichtig für die Bekämpfung von Clankriminalität sind auch Integration und Bildung. Wir als Polizei können die negativen Vorbilder in den Fokus nehmen, es muss aber auch positive Anreize für Integrationswillige geben.
In welchem Zeitraum denken Sie?
MÜNCH Wir müssen in den nächsten drei Jahren Erfolge sehen – einen Rückgang an auffälligem Verhalten. Um das Problem zu beseitigen, werden wir aber deutlich länger brauchen. Wichtig ist, dass die Kinder in diesen oft abgeschotteten und bildungsfernen Familien nicht denselben Weg von Gewalt und Grenzüberschreitung einschlagen. Man muss auf der einen Seite die Motivation dieser Generation stärken, Teil unserer Gesellschaft zu werden und auf der anderen Seite eindeutig klar machen, dass sich straffälliges Verhalten nicht lohnt.
KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.