Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Van Gogh – ein deutscher Mythos
Der heutige Düsseldorfer Museumsdirektor Felix Krämer gab vor fünf Jahren den Anstoß zu einer großen Van-GoghAusstellung in Frankfurt. Sie zeigt auch, wie der Maler in Deutschland, dem Land der Romantik, verehrt wurde.
FRANKFURT Umfragen ergaben: Vincent van Gogh ist der beliebteste Maler der Welt. Vielleicht, weil er im Umgang mit Farben und im Erfinden von Formen dem 19. Jahrhundert, seiner Zeit, so weit voraus war. Weil seine vibrierenden Landschaften und Porträts so einprägsam verstörend sind. Aber auch, weil sich nach seinem Tod eine Marketing-Maschinerie in Gang setzte, die vor allem in Deutschland einen Nerv der Kunstliebhaber traf. Van Gogh als das einsame, leidende Genie – dieser Mythos kam im Ursprungsland der Romantik gut an.
Aus heutiger Sicht war die Stilisierung des armen Vincent ein Missverständnis. Wie es dazu kam und warum van Gogh dennoch zu Recht als einer der größten, folgenreichsten Maler geschätzt wird, davon handelt eine Ausstellung im Frankfurter Städelmuseum: „Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe“.
Felix Krämer, seit zwei Jahren Chef des Düsseldorfer Kunstpalasts und davor Leiter „Kunst der Moderne“am Städel, hatte vor fünf Jahren die Idee zu diesem Großprojekt – und im Nu auch private Förderer zur Hand. Von vornherein wussten er und sein Kuratorenkollege Alexander Eiling, dass sie weder das „Nachtcafé“noch eine Version der „Sonnenblumen“holen konnten. Doch es ging ja auch nicht um van Gogh, sondern speziell um „van Gogh und Deutschland“.
Auch ohne den Glanz manch international gefeierten Gemäldes, das heutzutage nicht mehr als Leihgabe zur Verfügung steht, bietet der Rundgang eine Fülle von Wiedererkennungseffekten. Blickfänge finden sich schon im ersten Saal: „L‘Arlésienne“, das markante Gesicht einer Kaffeehausbetreiberin in Arles, das auch Paul Gauguin verewigte, und das Selbstporträt von 1887, ebenfalls jedem Van-Gogh-Liebhaber geläufig. Zu den Höhepunkten, die in den Sälen folgen, zählen die Zypressenbilder und weitere Landschaften bis hin zu Sonnenuntergang und Strohhaufen in den typischen leuchtenden Farben.
Zunächst sind van Goghs Gemälde unter sich. Später geben sie sich als Initialzündungen für die Kunst der „Brücke“-Maler zu erkennen, darunter Nolde, Kirchner, Pechstein und Heckel. So verknüpfen sich auch weniger bekannte Bilder van Goghs zu einem repräsentativen Rückblick auf das lediglich zehnjährige Schaffen des großen Niederländers und die Nachwirkungen seines Lebenswerks.
Der ästhetische Genuss, der sich auch auf die Zeichnungen gründet und wesentlich auf van Goghs flirrender Stricheltechnik und der späten rhythmischen Strukturierung seiner Werke beruht, dazu auf seinen durch Schlichtheit beeindruckenden Motiven aus dem Landleben – dieser Genuss also bildet nur die eine Seite des Ausstellungserlebnisses. Die andere ist eine Dokumentation, wie van Goghs Bilder zu
Lieblingen der Deutschen wurden. Und diese Geschichte geht so: Van Gogh starb 1890, mit nur 37 Jahren, durch Selbsttötung oder, wie andere zu wissen meinen, als Opfer eines Unfalls. Als kurz danach sein Bruder Theo, der ihm stets ein Auskommen gesichert hatte, an den Folgen einer Syphiliserkrankung starb, kümmerte sich verabredungsgemäß dessen Witwe Johanna van Gogh-Bonger um Vincents Nachlass. Erste Ausstellungen entstanden von 1901 an in Zusammenarbeit mit dem Berliner Kunsthändler Paul Cassirer. Als dann der Journalist und Schriftsteller Julius Meier-Graefe 1904 van Gogh zum Prototypen des einsamen romantischen Malergenies erhob, begann das, was die Ausstellung im Titel „Making van Gogh“nennt: die Verbreitung einer künstlerischen Marke, für die Sammler viel Geld auszugeben bereit waren.
Eine Grafik veranschaulicht in der
Ausstellung, wo zwischen 1901 und 1914 die meisten Van-Gogh-Ausstellungen zu sehen waren: 32 in Berlin und, an zweiter Stelle, 24 im RheinRuhr-Gebiet. Karl Ernst Osthaus hatte in Hagen schon zwischen 1902 und 1005 drei Gemälde erworben, die viel beachtete Sonderbund-Ausstellung in Köln (1912) hatte von ihren 29 Sälen allein fünf für van Gogh reserviert. Museen in Düsseldorf, Krefeld und Wuppertal erwarben Werke, mussten sich allerdings unter dem Einwirken des Nationalsozialismus oft von ihnen trennen. Ein kurioser Fall ist aus Köln überliefert: 1910 erwarb das Wallraf-Richartz-Museum van Goghs „Porträt des Armand Roulin“von 1888. Im Jahr 1937 verkaufte das Museum das Bild – freiwillig, um mit dem Erlös Hermann Göring zur Geburt seiner Tochter ein Gemälde von Lucas Cranach schenken zu können.
Das Städel dagegen wurde gezwungen, im selben Jahr eines seiner Aushängeschilder herzugeben: eine Version von van Goghs spätem Porträt des Dr. Gachet, seines Arztes und Freundes. Auch dieses Bild gelangte in die Sammlung Göring. Der verkaufte es jedoch einem Amsterdamer Bankier. 1990 ließ der spätere Besitzer, ein amerikanischer Sammler, das Bild bei Christie‘s in New York für 82,5 Millionen Dollar versteigern – damals das „teuerste Gemälde der Welt“. Dem Städel ist davon als Bestandteil der Ausstellung nur der Rahmen geblieben – immerhin ein Original.
Das Fazit der Frankfurter Ausstellung ist dasselbe, das man nach dem Besuch des Van-Gogh-Museums in Amsterdam ziehen wird: Der deutsche Mythos van Gogh war ein Missverständnis. Van Gogh begriff sich nicht als Genie, sondern als Dienender. In seinen Gemälden vom Landleben betete er, der tief Religiöse, den Schöpfer an und dankte ihm für jeden Sonnenstrahl und auch jede Frucht, die aus der Erde sprießt.
Wie sehr er dem Leben zugewandt war, spiegelt sich anrührend in „Erste Schritte“aus dem New Yorker Metropolitan Museum of Art, kurz vor seinem Tod entstanden und dann zunächst von Karl Ernst Osthaus erworben: In einem Garten stützt eine junge Mutter ihr Kind und lässt es dem Vater, der seine Arbeit an der Natur unterbrochen hat, freudestrahlend in die Arme laufen.