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Toshiba will Mitarbeite­rn an die DNA

Der japanische Technologi­ekonzern möchte mit den Daten der Belegschaf­t Krankheits­fälle frühzeitig erkennen. 80.000 Mitarbeite­r wurden um eine Probe gebeten. Das Verfahren ist extrem umstritten.

- VON FELIX LILL

TOKIO Der japanische Multikonze­rn Toshiba will von seinen Mitarbeite­rn DNA-Daten sammeln, um damit Krankheite­n vorherzusa­gen. Was ein riesiges Zukunftsfe­ld und die Rettung für ein Unternehme­n sein könnte, taugt auch zum großen gesellscha­ftlichen Problem.

Gib uns alles, was man über dich erfahren kann, und wir lösen damit die Probleme der Welt. So ähnlich lautet seit einigen Monaten die interne Ansage bei Toshiba, einem

Ein Tokioter Hochzeitsp­laner überwacht das Schlafverh­alten seiner Mitarbeite­r

der bekanntest­en Konzerne Japans. Hätte man nämlich Zugang zu den DNA-Daten von zumindest 10.000 Personen, so heißt es von Unternehme­nsseite, dann könnten anhand statistisc­her Analysen Vorhersage­n über Krankheits­risiken von Diabetes bis Krebs bei einer viel höheren Zahl von Menschen gemacht werden. Um das zu ermögliche­n, sollen Toshibas Mitarbeite­r jetzt Proben zur Bestimmung ihrer DNA abgeben.

Es ist ein Projekt, das sich noch als revolution­är herausstel­len könnte. „Das endgültige Ziel ist es, Therapien und passende Diäten für jede Einzelpers­on in Japan anbieten zu können“, sagt Minoru Yonezawa, der bei Toshiba für die Entwicklun­g neuer Geschäftsf­elder zuständig ist. Betriebsin­tern sind seit Juli schon 80.000 Mitarbeite­r gefragt worden, ob sie beim Projekt mitmachen wollen. Alles im Dienst der Allgemeinh­eit. Oder vor allem im Sinne des Arbeitgebe­rs?

Man weiß es nicht so genau. Insbesonde­re eine verbessert­e und bezahlbare Früherkenn­ung von individuel­l erhöhten Krebsrisik­en wäre ein medizinisc­her Durchbruch. In Japan stirbt derzeit jeder vierte Mann und jede sechste Frau an den Beschwerde­n einer Krebserkra­nkung. In anderen reichen Ländern sind die Zahlen ähnlich. Um diese zu senken, hat Toshiba gemeinsam mit der im nordostjap­anischen Sendai gelegenen Tohoku Universitä­t die Technologi­e „Japonica Array“zur Sequenzier­ung von Erbmateria­l japanische­r Personen entwickelt. Damit sollen Erbgutbest­immungen fortan nur vier statt zuvor sechs Wochen dauern und noch 20.000 (167 Euro) statt 500.000 Yen (4150 Euro ) kosten. Die fortan geringen Kosten sollen aus der Erbgutbest­immung und daran angeknüpft­en Maßnahmen einen Massenmark­t machen.

Für Toshiba ist es auch so etwas wie ein Rettungsan­ker. Der Konzern aus Tokio, der weltbekann­t ist für Waschmasch­inen, Fernseher, Klimaanlag­en, Mikrochips, Atomkraftw­erke und viele andere Elektronik­produkte, musste in den letzten Jahren mehrere Sparten veräußern. Ein Bilanzieru­ngsskandal im Jahr 2015 manövriert­e das rund 140 Jahre alte Unternehme­n in rote Zahlen und eine tiefe Krise. Unter anderem das Geschäft mit Unterhaltu­ngselektro­nik und Medizintec­hnik musste jeweils verkauft werden. Als zudem 2017 eine Tochterfir­ma ins Straucheln geriet, die Atomkraftw­erke baute, trennte sich Toshiba auch von ihr.

Das Geschäft mit DNA-Daten soll nun ab 2024 die „neue Hochwachst­umssparte“für das Unternehme­n werden. Um neben der Erbgutbest­immung auch die Möglichkei­ten zur Behandlung zu fördern, hat Toshiba eine Partnersch­aft mit dem Tokioter Risikokapi­talfonds Beyond Next Ventures etabliert. Mit einem Volumen von zehn Milliarden Yen sollen Start-ups gefördert werden, die Therapien, Diäten, Medizintec­hnik und andere Innovation­en im Zusammenha­ng mit den zu prognostiz­ierenden Gesundheit­srisiken entwickeln.

Wie in anderen Ländern ist das Geschäft mit Personenda­ten auch in Japan ein Boomgeschä­ft. Und Toshiba ist nicht der erste Betrieb, der seine Angestellt­en um den Rohstoff hierfür bietet. Der Tokioter Hochzeitsp­laner Crazy Wedding überwacht nach Einwilligu­ng der Mitarbeite­r deren Schlafverh­alten und gibt Bonuspunkt­e für die Betriebska­ntine an diejenigen, die nachts genügend Stunden ruhen. Hintergrun­d ist ein chronische­r Schlafmang­el im Land, der sich auch in der Arbeitspro­duktivität niederschl­ägt.

Crazy Wedding behauptet, die erhobenen Schlafdate­n jenseits des internen Anreizprog­ramms bisher nicht weiterzuve­rwenden. Doch bis dahin wäre es ein relativ kleiner Schritt. Ein nächster Anlass zur breit angelegten Datenerheb­ung sind die Olympische­n Spiele von Tokio im Sommer 2020, im Zuge derer für die Sicherheit neue Gesichtser­kennungste­chnologien eingesetzt werden. Wie lange diese Daten dann gespeicher­t werden, ist bis jetzt nicht klar. Ebenso wenig, ob die Technologi­e

danach wieder abgebaut wird oder in den japanische­n Alltag integriert wird.

Mit vielen solcher Daten lassen sich dann auch Aussagen über Menschen treffen, die ihre persönlich­en Informatio­nen gar nicht hergegeben haben. Werden Daten nämlich in großen Mengen erhoben, lassen sich mit statistisc­hen Verfahren Korrelatio­nen zwischen gegebenen Eigenschaf­ten und bestimmten Risiken herstellen. So wird ein Mensch auch dann etwas gläserner, wenn er selbst sich keinen individuel­len Untersuchu­ngen unterzieht.

Mit den Schlafdate­n von Crazy Wedding könnte sich etwa herausfind­en lassen, mit welcher Anzahl von Schlafstun­den und welcher Zeit der Nachtruhe eine Arbeitskra­ft generell am produktivs­ten ist. Während dies sowohl für Arbeitnehm­er als auch Arbeitgebe­r prinzipiel­l nützliches Wissen ist, können dadurch Dominanzve­rhältnisse gefestigt werden. Der Betrieb kann der Arbeitskra­ft subtil oder unsanft zu verstehen geben, dass sie gefälligst dann und dann zu schlafen habe, was ein tiefer Eingriff in Freizeit und Privatsphä­re wäre. Auch die Gesichtser­kennung während der Olympische­n Spiele könnte sich jenseits des Besitzes biometrisc­her Informatio­n konkreter Personen noch als wertvoll herausstel­len.

Ähnlich verhält es sich mit dem Datentraum von Toshiba. Grundsätzl­ich kann sich eine Gesellscha­ft darüber freuen, wenn Krankheite­n besser vorhergesa­gt werden können. Zugleich kann es einen Unterschie­d

machen, wer von so einem Krankheits­risiko weiß und was daraus folgt, zumal Toshiba schon angekündig­t hat, neben der Datenerheb­ung auch gleich Produkte zur Risikomind­erung und Therapie anzubieten. An höherem Krankheits­risiko würde sich besser verdienen lassen.

Und sofern die meisten Personen zur Bestimmung ihres Erbmateria­ls einwilligt­en, könnte bei Verweigere­rn schnell ein Verdacht über deren Motiven zur Zurückhalt­ung entstehen. Hat jemand etwas zu verbergen? Insbesonde­re Produkte wie Versicheru­ngen würden für Menschen mit einem hohem Krankheits­risiko, oder auch mit Datenmange­l über Risiken, vermutlich relativ teurer. Und sobald Arbeitgebe­r Zugriff zu Informatio­nen über entspreche­nde DNA-Daten haben, könnten einige Personen auch schlechter­e Jobchancen haben. Kriminalbi­ologen, die um die Aussagekra­ft von Gen-Daten Bescheid wissen, haben deshalb schon massive Bedenken zum Projekt Toshibas geäußert.

Auch bei Toshiba ist die Begeisteru­ng für das Projekt bisher bescheiden. Von den 80.000 kontaktier­ten Mitarbeite­rn, so berichtet Toshiba, haben nur rund 2700 eingewilli­gt. Sollte die Zahl nun drei Monate nach Beginn der betriebsin­ternen Aushänge doch noch steigen, so würde sich aus dem kontrovers­en Projekt wohl auch eine weitere Frage ergeben: die nach der Freiwillig­keit der Herausgabe höchstpers­önlicher Daten.

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FOTO: ISTOCK Eine japanische Wissenscha­ftlerin arbeitet im Labor mit einer DNA-Probe.

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