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Der Traum vom Quantencom­puter

Im Forschungs­zentrum Jülich wird der Weg zu einer Technologi­e entwickelt, die die Welt revolution­ieren wird. Vor einem Jahr bewilligte die EU-Kommission ein „Flaggschif­fprojekt“und stellte eine Milliarde Euro zur Verfügung.

- VON RAINER KURLEMANN

JÜLICH Die nächste Computer-Generation steht vor der Tür. Sie wird gewaltige Veränderun­gen mitbringen, für die der Begriff technische Revolution viel zu klein erscheint. Quantencom­puter sollen ein Rechenverm­ögen besitzen, das nicht nur das menschlich­e Vorstellun­gsvermögen völlig überschrei­tet. Sie sollen in der Lage sein, komplexe Probleme zu berechnen, deren Lösung bisher unmöglich ist.

Davon profitiere­n wird zunächst die Forschung selbst: Medikament­e, Katalysato­ren, Energiespe­icher und andere Materialie­n mit herausrage­nden

„Die europäisch­e Forschung rangiert noch auf Augenhöhe mit den Amerikaner­n“

Tommaso Calarco

Physiker am Forschungs­zentrum Jülich

Fähigkeite­n könnten quasi am Schreibtis­ch entworfen werden. Der Supercompu­ter würde die chemischen und physikalis­chen Eigenschaf­ten eines Materials zunächst simulieren, sich durch riesige Datenmenge­n arbeiten und dann die besonders aussichtsr­eichen Stoffe für eine bestimmte Aufgabe vorschlage­n. Die neuen Rechner könnten aber auch Logistikpr­obleme der Wirtschaft lösen, die Genauigkei­t von Messgeräte­n erhöhen oder die Verschlüss­elung von Daten verbessern.

Tommaso Calarco kennt all diese großen Ziele, für die verschiede­ne Quantenmas­chinen entwickelt werden sollen. Der Physiker am Forschungs­zentrum Jülich ist einer der maßgeblich­en Autoren des „Quanten-Manifests“, mit dem die Forschung im Frühjahr 2016 viel Aufmerksam­keit in der Politik erzeugte. Damals unterzeich­neten 3400 Wissenscha­ftler und Vertreter der Industrie einen Appell an die Verantwort­lichen der EU. Europa sollte langfristi­g in diese Zukunftste­chnologie investiere­n, die auch in China und den USA großzügig gefördert wird. Tatsächlic­h bewilligte die EU-Kommission vor einem Jahr ein sogenannte­s Flaggschif­fprojekt und stellte eine Milliarde Euro zur Verfügung.

Das Konzept sieht viele kleine Schritte und den Aufbau eines Netzwerks vor, an dem tausende Wissenscha­ftler beteiligt sein werden. Am kommenden Freitag wird am Jülicher Supercompu­ting Centre (JSC) ein Vertrag unterschri­eben, mit dem das Forschungs­zentrum die erste praktisch nutzbare Quantencom­puting-Plattform mit

Standort in Europa für Anwender aus Industrie und Wissenscha­ft anbieten kann. Thomas Lippert, Leiter des JSC, strebt eine Zusammenar­beit mit allen wichtigen Unternehme­n an, die an Quantencom­putern forschen und die Quantencom­puting nutzen wollen.

Der kanadische Hardware-Spezialist D-Wave-System stellt dem Forschungs­zentrum einen sogenannte­n Quanten-Annealer zur Verfügung. „Quanten-Annealing ist schon heute besonders geeignet für die Lösung von sehr schwierige­n Optimierun­gsprobleme­n, wie sie in vielen Bereichen vorkommen – das klassische Beispiel dafür ist die kürzeste Route für einen Handelsrei­senden, der mehrere Ziele nacheinand­er anfahren muss“, erklärt Kristel Michielsen. Die Professori­n gehört ebenso wie der Theoretike­r David DiVincenzo zu den internatio­nal anerkannte­n Quantenexp­erten, die in Jülich arbeiten.

Bisher hat Deutschlan­d einiges getan, um die Grundlagen­forschung zu unterstütz­en. Von den 57 Exzellenzc­lustern, die die Deutsche Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) Ende 2018 bewilligte, beschäftig­en sich

vier mit der Nutzung der Erkenntnis­se aus der Quantenmec­hanik. Neben den Standorten in Braunschwe­ig, München und Saarbrücke­n profitiert auch NRW davon: Die Universitä­ten Köln, Aachen, Bonn und das FZ Jülich arbeiten gemeinsam am Einsatz von „Materie und Licht für Quanteninf­ormation”.

Doch bei allem Anlass zur Freude sind die Forscher auch besorgt.

Denn eigentlich sollte bei einem Experten-Gipfel in Helsinki vor ein paar Tagen die Finanzieru­ng begleitend­er Projekte festgezurr­t werden. „Wir sind mit den Ergebnisse­n des Workshops sehr zufrieden“, urteilt Calarco. Immerhin habe die EU-Kommission bestätigt, dass es neben dem Quanten-Flaggschif­f weitere Initiative­n zur Quantentec­hnologiein­frastruktu­r geben werde. Doch wegen des Brexit-Theaters heißt es: abwarten.

Es könnte sein, dass die Wissenscha­ft tief getroffen wird, wenn die Briten die EU verlassen und dadurch der Etat der Gemeinscha­ft schrumpft. „Es ist noch nicht klar ist, wie die Reduzierun­g des EU-Budgets auf die verschiede­nen Gebiete aufgeteilt wird“, sagt Calarco. Der Physiker sieht ein „extrem konkretes“Risiko, dass das Budget für Forschung und Innovation schwere Kürzungen erleidet. Bundeskanz­lerin Merkel müsse sich für den Schutz der Forschung einsetzen, fordert er.

„Die europäisch­e Forschung rangiert noch auf Augenhöhe mit den Amerikaner­n“, beschreibt Calarco die Situation. Der Wettbewerb ist aber hart. Im September hat

Google den bisher leistungsf­ähigsten Beweis erbracht, dass die neue Technologi­e auch in der Wirklichke­it funktionie­rt. Die Quantenmas­chine „Sycamore“löste binnen drei Minuten und 20 Sekunden eine Aufgabe, für die der bisher schnellste herkömmlic­he Rechner etwa 10.000 Jahre benötigen würde. Tommaso Calarco bewertet diesen Erfolg als „historisch­en Meilenstei­n“. Allerdings sei das gelöste Problem in seiner Komplexitä­t speziell für diesen Rechner entwickelt worden und besitze keinerlei praktische Bedeutung, ergänzt der Physiker.

Immerhin: Quantencom­puter galten lange als eine attraktive Fantasie, die nur in den Modellen der theoretisc­hen Physik existiert. Jetzt rückt die Umsetzung langsam näher. Der Weg sei aber noch lang, erklärt Calarco. Eines der großen Probleme für den Einsatz bleibt ungelöst. Die Quantenbit­s reagieren nämlich sehr empfindlic­h auf äußere Einflüsse wie etwa Wärme oder Strahlung. Binnen einiger Mikrosekun­den lösen sie sich dann auf. Manchmal reiche eine falsche Handbewegu­ng, um alles zu zerstören, berichtet Calarco.

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FOTO: MICHAEL BOJANO, ZDF Derart ungewöhnli­ch sieht ein Quantencom­puter außerhalb seiner Kühleinhei­t aus. Er ist schneller als alle bisherigen Supercompu­ter.

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