Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Lange hält das unser Land nicht aus
Die Corona-Krise hat unser Leben grundlegend verändert. Seit dem Wochenende sind in allen Bundesländern die Bewegungsmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt worden. Das öffentliche, soziale und mittlerweile auch wirtschaftliche Leben ist weitestgehend zum Stillstand gekommen.
Man konnte fast den Eindruck bekommen, die Politik befindet sich im Wettstreit darüber, wer schneller zu noch drastischeren Maßnahmen greift. Angst, bisweilen panische Angst vor dem Virus beherrscht vielerorts die Diskussion, insbesondere in den sozialen Medien. Ich bin überzeugt: Es ist höchste Zeit, einmal innezuhalten, um darüber nachzudenken, ob wir wirklich auf dem richtigen Weg sind.
Was ist der Sinn all dieser Maßnahmen, die mittlerweile dramatische freiheitsbeschränkende Dimensionen erreicht haben? Die Kanzlerin hat es in ihrer Rede vom vergangenen Dienstag klar benannt: Es geht darum, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, bis eine Therapie oder ein Impfstoff gegen die Krankheit gefunden ist. Dies kann, so die Kanzlerin, viele Monate dauern. Es geht also nicht darum, das Virus auszurotten. Letztlich werden sich, sofern nicht vorher ein Impfstoff oder eine Therapie gefunden wird, gut zwei Drittel aller Deutschen mit dem Virus infiziert haben – da sind sich praktisch alle Experten einig. Ziel aller Maßnahmen ist es allein, diesen Infektionsprozess maximal zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen.
Mit anderen Worten bedeutet dies aber auch: Je drastischer die Maßnahmen, desto länger werden wir damit leben müssen! Nach den Worten von Ministerpräsident Laschet geht es bei der Bekämpfung des Coronavirus um „Leben und Tod“. Nach allem, was wir wissen, trifft dies nur auf einen sehr geringen Teil unserer Bevölkerung zu. Für Menschen, die sich guter Gesundheit erfreuen, führt eine Infektion mit dem Virus in der Regel allenfalls zu leichten Krankheitsverläufen, sofern sie überhaupt Krankheitssymptome ausbilden. Für ältere, insbesondere solche mit Vorerkrankungen, aber ist eine Ansteckung mit dem Virus gefährlich, nicht selten lebensgefährlich. Nach den vorliegenden Statistiken liegt das Durchschnittsalter der in Italien an Covid-19 Verstorbenen bei knapp 80 Jahren, 99 Prozent von ihnen waren vorerkrankt.
Ich befürchte, lange wird unser Land einen nahezu vollständigen Shutdown nicht überstehen. Die wirtschaftlichen Folgen zeichnen sich schon heute ab. Die ersten Betriebe im Gaststättengewerbe, in der Hotellerie, im Veranstaltungs- und Schaustellerbereich haben bereits Insolvenz angemeldet. Und auch größere Unternehmen werden einen monatelangen Stillstand des wirtschaftlichen Lebens kaum überstehen, zumal die vollmundig angekündigten großzügigen staatlichen Rettungsschirme mangels staatlicher Einnahmen auf Dauer wohl nicht durchzuhalten sein werden.
Aber nicht nur die wirtschaftlichen Konsequenzen werden dramatisch sein. Bereits heute haben wir in den Kommunen eine signifikante Zunahme von Inobhutnahmen und Betretungsverboten infolge häuslicher Gewalt. Und auf Dauer ist auch das solidarische Miteinander der Generationen in Gefahr. Je länger wir Schulen und Universitäten geschlossen halten, je mehr Arbeitsund Ausbildungsplätze der Pandemiebekämpfung zum Opfer fallen und je dramatischer die hierdurch ausgelösten Hypotheken auf die Zukunft ansteigen, desto mehr werden junge Menschen – so ist zu befürchten – dagegen rebellieren, dass ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt wird zur Abwendung einer Gefahr, die sie „eigentlich“gar nicht betrifft.
Es liegt auf der Hand: Es geht nicht, dass wir auf unabsehbare Zeit das gesamte öffentliche Leben stilllegen und
Wir müssen eine Strategie entwickeln, wann und wie wir das öffentliche Leben wieder hochfahren die Bevölkerung in Quarantäne nehmen. Wir müssen gezielt diejenigen schützen, für die eine Infektion mit dem Virus gefährlich ist. Aber können wir diese „vulnerable Gruppe“hinreichend genau definieren? Nach allem, was wir wissen, dürfte sich der überwiegende Teil der kritischen Krankheitsverläufe auf einen Personenkreis beschränken, der einen kleinen Bruchteil der Gesamtbevölkerung ausmacht. Diese Personen gezielt vor jeglichem Infektionsrisiko zu schützen, setzt voraus, dass sie wissen, in welcher Gefahr sie sind. Da praktisch alle Personen, die in diese Risikogruppe fallen, aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen in ärztlicher Behandlung sein dürften, liegt es an der Ärzteschaft, ihre Patienten über die Gefahren aufzuklären, die für sie mit einer Infektion verbunden wären. Und selbstverständlich muss es dieser Risikogruppe ermöglicht werden, jeglichen sozialen oder körperlichen Kontakt zu vermeiden und dennoch nicht nur „über die Runden zu kommen“, sondern so weit wie möglich am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Im Hinblick auf die Frage, ob unser Gesundheitssystem einer Corona-Epidemie
standhalten wird, sind damit letztlich drei Faktoren maßgeblich: 1. Inwieweit gelingt es uns, die „vulnerable Gruppe“tatsächlich von jeglichem Infektionsrisiko abzuschirmen? 2. Welche klinischen Kapazitäten lassen sich kurz- und auch mittelfristig für die Therapie schwerer Krankheitsverläufe darstellen? Und hiervon hängt dann 3. die Frage ab, ob und in welchem Umfang wir mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen die Ausbreitung des Virus verzögern müssen.
Es ist gewiss zum gegenwärtigen Zeitpunkt geboten, die Verbreitung des Virus mit allen Mitteln einzudämmen, um Zeit zu gewinnen, die „vulnerable Gruppe“zu definieren und zu sensibilisieren – und gleichzeitig die Kapazitäten unseres Gesundheitswesens auszubauen. Lange aber werden wir das realistischerweise nicht durchhalten, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land aufs Spiel zu setzen. Und deshalb gebietet es die politische Verantwortung, dass wir schon heute eine Strategie entwickeln, wann und wie wir das öffentliche Leben in Deutschland wieder hochfahren.
Es ist letztlich niemandem geholfen, dass wir auf unabsehbare Zeit alle in Quarantäne nehmen, auch diejenigen, denen an sich keine Gefahr droht, die aber ganz besonders von den Folgen eines Shutdowns betroffen sein werden. Solidarisch ist es nach meiner Überzeugung, die Risikogruppe der Älteren mit Vorerkrankungen ganz gezielt vor einer lebensgefährlichen Infektion mit dem Virus zu schützen. Und sie dabei nicht allein zu lassen, sondern ihnen bei Vermeidung körperlichen Kontakts die größtmögliche Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen – das ist die Herausforderung für eine solidarische Gesellschaft!