Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Nie wieder halbnackt auf der Wassermelone
In ihrem Buch „Unfollow“beschreibt Nena Schink ihre Erfahrungen mit Instagram und warnt Jugendliche.
DÜSSELDORF „Im Endeffekt“, sagt Nena Schink, „ist ja auch dieses Buch ein Symptom unserer Zeit. Denn ich stelle mich darin dar und erzähle in der Ich-Perspektive von meinen Erfahrungen mit Instagram.“Mit diesem Buch meint Nena Schink ihr Erstlingswerk „Unfollow“; mit den Symptomen unserer Zeit meint sie die selten hinterfragte, dauerhafte Selbstdarstellung der Menschen in Zeiten von Instagram und Co. Und natürlich tut sie sich damit unrecht. Ja, ihr Buch fällt in eine Zeit, in der die Devise „Me, Myself and I“gilt – die radikal subjektive Innensicht auf die nach außen getragenen und inszenierten Banalitäten des Alltags. Doch natürlich ist Nena Schink nicht die Erste, die aus einer Selbsterkenntnis ein Buch geschrieben hat, und sie wird auch nicht die Letzte bleiben.
Nena Schink ist 27 Jahre alt, lebt in München und Düsseldorf und hat etwas geschafft, wovon andere Autoren träumen: Ihr Erstlingswerk ist auf Anhieb in die Bestsellerlisten geklettert. In „Unfollow – Wie Instagram unser Leben zerstört“beschreibt die Journalistin die negativen Folgen des Foto-Netzwerks auf das Privatleben seiner Nutzer.
Dass sie diese negativen Seiten kennt, liegt an einem Selbstversuch für das „Handelsblatt“im Jahr 2017. Im Rahmen eines Recherche-Auftrags für das Jugendformat „Orange“sollte Schink Instagram-Influencerin werden. Das schaffte sie auch, doch sie entwickelte dabei eine suchtähnliche Beziehung zu Instagram. Zwei Stunden am Tag verbrachte sie mit der App. Ihr Leben, so beschreibt sie es, drehte sich nur um die Jagd nach neuen, möglichst Insta-tauglichen Motiven. Ihren Partner, Freunde und Familie quälte sie als Assistenzfotografen – etwa als sie während eines Kroatienurlaubs halbnackt auf einer überdimensionalen Wassermelone balancierte, um daraus ein spektakuläres Foto zu gewinnen. „Einer der für mich beschämendsten Augenblicke“, sagt Schink rückblickend.
Eine Zeit, die sie von sich selbst entfernt habe, in der sie eine Nena war, die ihr heute fremd und ein wenig peinlich sei. Und genau so beschreibt sie es in ihrem Buch: Schonungslos schildert sie, wie sie sich selbst durch ihre Instagram-Aktivitäten bloßstellte, bis ihr auffiel, in was sie sich da hineinmanövriert hatte: Eine Sucht nach Likes, Herzchen
und virtueller Aufmerksamkeit. „Ich vergleiche meine Instagram-Aktivitäten gern mit meiner Vorliebe für Zigaretten“, sagt sie. „Die eine Angewohnheit schadet meiner Seele. Die andere meinem Körper.“Dahinter steht nicht nur ein Gefühl: Studien haben bewiesen, dass Likes und Kommentare auf das Belohnungszentrum in unserem Gehirn wirken – unter anderem deshalb bergen Netzwerke wie Instagram tatsächliches Suchtpotenzial in sich.
Und obwohl die Kritik an diesem Kosmos nicht neu ist, musste Schink bei ihrer Suche nach passender kritischer Lektüre enttäuscht feststellen, dass es wenig zu diesem Thema auf dem Markt gibt. Also schrieb sie selbst ein Buch. „Ich wollte den Menschen, vor allem den jungen Mädchen, einen Gegenentwurf zum Instagram-Hype bieten“, erzählt Schink. „An meinem eigenen Beispiel wollte ich die Auswirkungen problematisieren und zeigen, dass das keine unschuldige Kuschelwiese ist, sondern eine durchkommerzialisierte Hochglanzwelt, auf der die erfolgreichen Fotos und Accounts wenig mit dem echten Leben zu tun haben.“Schink findet auch nicht, dass das ein rein individuelles Thema ist, sondern sieht auch die Politik in der Pflicht. „Dass Deutschland, trotz zahlreicher Studien über die negativen Folgen von Instagram auf die Psyche junger Menschen, eine Digitalisierungsministerin hat, die sich auf ihrem Instagramprofil als ‚Instalover‘ bezeichnet, finde ich schwierig“, sagt sie mit Hinblick auf die CSU-Politikerin Dorothee Bär. „Und dass Frau Bär auf die Frage nach ‚Dos und Dont’s‘ antwortet, es gebe keine Dont’s für Instagram, finde ich skandalös.“
Mit ihrer Kritik scheint die gebürtige Düsseldorferin einen Nerv getroffen zu haben. Zeitungen, Zeitschriften, Podcasts, Fernsehsendungen – das Feedback auf ihr Buch habe sie überwältigt, erzählt Schink. „Negative Reaktionen in Form von Hasskommentaren habe ich nicht so viel bekommen.“Stattdessen seien es die positiven Reaktionen gewesen, die nachhaltig Eindruck bei ihr hinterlassen hätten. „Ich habe Briefe und Mails von jungen Mädchen bekommen, die mir ihr Instagram-Verhalten beschrieben haben“, erzählt Schink. Viele hätten ihr geschrieben, dass das Buch ihnen geholfen habe zu merken, dass so wie sie Instagram nutzten, es ihnen nicht gut tue. „Manche haben mir sogar ihre Therapieberichte geschickt, weil sie einen Zusammenhang zwischen ihrer Depression oder Magersucht und ihrer Instagram-Nutzung sahen. Und wenn mein Buch einem einzigen Mädchen schon etwas Zuspruch gegeben hat, dass es nicht an ihr liegt, wenn es sich durch Instagram unter Druck oder unwohl mit dem eigenen Körper fühlt – dann habe ich alles erreicht, was ich mit dem Buch erreichen wollte.“
Und tatsächlich sollte man Schink beim Wort nehmen, wenn sie sagt, dass sie sich vor allem an junge Mädchen richtet – denn so ist ihr Buch auch geschrieben. Anekdotisch und mit leichter Feder richtet sie sich an jene, die sich unter Druck gesetzt fühlen, die das „Leben“von Influencern verfolgen und nachzuahmen versuchen und die dabei ihr Selbstwertgefühl immer öfter von den Kommentaren ihrer Community – also meistens wildfremden Menschen – abhängig machen.
„Unfollow“ist keine tiefschürfende Gesellschaftskritik, es ist ein niedrigschwelliges Angebot an junge Menschen, insbesondere Mädchen. Eine Lektüre, die man besten Gewissens Eltern empfehlen kann, ihren Kindern zu schenken und sich mit ihnen darüber auszutauschen. Und wenn die 16-jährige Tochter das Buch gelangweilt weglegt – tja dann ist das vermutlich ein gutes Zeichen.