Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Werden deutlich mehr Arbeitslose haben“
Der NRW-Chef der Arbeitsagenturen über die Folgen der Corona-Pandemie und Hilfen bei Kurzarbeit.
Der Chef der Regionaldirektion NRW meldet sich per Videoschaltung aus dem Homeoffice, um über die Herausforderungen durch Corona für die Wirtschaft und seine Behörde zu sprechen.
Herr Withake, die Coronakrise lässt die Kurzarbeiterzahlen bundesweit in die Höhe schnellen. Wie ist der Stand in NRW?
WITHAKE Innerhalb der vergangenen Woche hatten wir 13.000 Anzeigen von Kurzarbeit. Ich gehe davon aus, dass wir diese Anzahl mittlerweile weit überschritten haben.
Die Bundesregierung rechnet für das laufende Jahr mit 2,2 Millionen Kurzarbeitern. Die Faustformel heißt, ein Fünftel entfällt auf NRW, also mehr als 400.000. Realistisch?
WITHAKE Nicht jede angezeigte Kurzarbeit wird auch abgerufen. Früher war die Regel, dass in 75 Prozent der Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben, nur weniger als 25 Prozent kurzgearbeitet wurde. Man muss zudem im Hinterkopf haben, dass jede angezeigte Kurzarbeit am Ende der Krise gut ist. Wir sichern so den Arbeitsplatz und den Fortbestand des Unternehmens. Wichtig ist: Unternehmen sollten nicht zu lange warten, um Kurzarbeit anzumelden. Wer dies noch bis zum 31. März tut, kann sie noch rückwirkend zum 1. März in Anspruch nehmen.
Was ist mit den Kleinstbetrieben?
WITHAKE Der Gesetzgeber hat Maßnahmen angestoßen, um Soloselbstständigen unter die Arme zu greifen: Während Bund und Länder mit Überbrückungskrediten für die laufenden Kosten eintreten, wird die Bundesagentur mit einem erleichterten Zugang zur Grundsicherung ihren Lebensunterhalt absichern.
Mit Kosten in welcher Höhe rechnen Sie für die BA?
WITHAKE Das ist derzeit wirklich schwer zu sagen. Die Rücklage der BA ist mit 26 Milliarden Euro gut gefüllt. Die Frage ist aber auch: Wie lange dauert diese Krise? Das kann Ihnen heute kein Experte zuverlässig prognostizieren. Eins muss man aber sagen: Es war gut, dass wir in den guten Zeiten am Arbeitsmarkt eine ordentliche Rücklage aufgebaut haben. Davon zehren wir jetzt in der Corona-Krise.
In welchen Branchen wird jetzt besonders viel Kurzarbeit angezeigt?
WITHAKE In der Industrie wegen wegbrechender Lieferketten, in der Gastronomie und in der Hotellerie, bei Dienstleistungsberufen wie dem Friseurwesen, bei Handwerkern, die nicht mehr zu den Kunden vorgelassen werden, aber auch im medizinischen Bereich.
Ernsthaft?
WITHAKE Ja, das betrifft in erster Linie Fachärzte wie Zahnmediziner.
Die Firmen müssen für das Kurzarbeitergeld in Vorleistung gehen. Auch das kann in der derzeitigen Situation existenzbedrohend sein. Wie schnell fließt das Geld von der BA?
WITHAKE Wir sind bemüht, jeden Antrag so schnell wie möglich zu bearbeiten. Wir ziehen gerade aus allen Bereichen unsere Mannschaft zusammen – beispielsweise aus dem Vermittlungsgeschäft oder der Berufsberatung, aber auch aus der Regionaldirektion –, die sich nun vordringlich mit der Kurzarbeit beschäftigt. Auch wenn die Zahl der Anträge sprunghaft steigt: Wir setzen alles daran, Anzeigen auf Kurzarbeit schnell entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Ziel muss es sein, dass jeder Arbeitgeber sich darauf verlassen kann, dass das Geld schnell gezahlt wird. Und es gilt: Wer einen positiven Bescheid für das Kurzarbeitergeld hat, kann damit zu seiner Hausbank gehen und dort einen Überbrückungskredit bekommen.
Für viele Betriebe ist Kurzarbeit keine Option. Insolvenzen und Arbeitslosigkeit sind die Folge.
WITHAKE Es wird vermutlich einen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Wie hoch dieser aber ausfällt, lässt sich seriös derzeit nicht prognostizieren.
Was bedeutet die Pandemie für die praktische Arbeit?
WITHAKE Wir haben den Arbeitszeitrahmen deutlich erweitert. Per Mail sind unsere Mitarbeiter in Sachen Kurzarbeit bis 22 Uhr im Einsatz, per Telefon derzeit von 8 bis 18 Uhr. Wir haben in den Agenturen und Jobcentern häufig ein Schichtsystem etabliert. Und wir haben auch Vorkehrungen gegen die Pandemie getroffen: Teams wechseln sich mit ihrer Anwesenheit ab, der andere Teil ist im Homeoffice.
Haben Sie noch Kundenkontakt in den Agenturen und Jobcentern?
WITHAKE Wir bleiben natürlich mit den Kunden im Kontakt – allerdings per Mail oder Telefonat. Wir stellen sicher, dass auch in der Krise jeder auf seine Leistungen vertrauen kann.
Was ist mit dem zweiten Teil? Wie setzen Sie Sanktionen durch?
WITHAKE Wir haben das Thema Sanktionen jetzt erst einmal beiseitegeschoben. Das hat für uns derzeit keine Priorität. Wir fokussieren uns ganz auf die Kurzarbeit und die Auszahlung von Leistungen.
Was ist mit dem Vermittlungsgeschäft?
WITHAKE Natürlich rückt das jetzt zwangsweise etwas in den Hintergrund. Aber auch hier macht sich die Corona-Krisenbewältigung bemerkbar: Wer in Kurzarbeit ist, kann ja dennoch andere Tätigkeiten ausüben. Das Bundesarbeitsministerium hat ja die Anrechnungsbestimmungen entsprechend gelockert. Es gibt viele Plattformen, auch die Jobbörse der BA kann hier sehr gut helfen. Wenn Unternehmer, egal ob Landwirtschaft, Handel oder Gesundheitswesen, jetzt coronabedingt Arbeitskräfte suchen, können Sie unter dem Hashtag #corona Suchanfragen platzieren.
Gibt es bei der Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen Coronafälle?
WITHAKE Wir hatten Verdachtsfälle. Zu Testergebnissen möchte ich mich aber aus Rücksicht nicht äußern.
MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.