Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Therapeuten fordern Unterstützung
Kaum Patienten wegen Corona: Therapiepraxen befürchten Schließungen.
DÜSSELDORF Für Bevölkerung und Wirtschaft ist die Corona-Krise ein Albtraum. Firmen fürchten Pleiten, Arbeitnehmer um ihre Jobs. Doch Unternehmen, die jetzt Infizierten helfen oder das Leben in der Quarantäne erleichtern können, sind jetzt gefragt. Das spiegelt sich auch an der Börse wider.
Pharma Alles, was lindert, heilt und testet, ist gefragt. Die Bundesregierung hat bei Bayer „größere Mengen“Chloroquin reserviert, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Eigentlich wird Chloroquin seit Jahrzehnten als Malaria-Mittel eingesetzt. In China soll sich das Mittel aber auch bei Coronavirus-Patienten als wirksam erwiesen haben. Das testen Konzerne in Europa nun, auch der Konkurrent Sanofi hat das Mittel im Angebot. Donald Trump hat die US-Arzneimittelbehörde bereits angewiesen, sich das Medikament mit Blick auf das Coronavirus genauer anzuschauen. Das Hildener Unternehmen Qiagen fährt die Produktion von Tests auf Corona hoch. Das trieb in den vergangenen Tagen auch den Aktienkurs des Biotech-Unternehmens.
Chemie Für viele Chemiekonzerne ist die Lage ambivalent: Als wichtiger Zulieferer für die Autoindustrie werden sie heftig leiden unter den Produktionsstopps der Branche. Als Hersteller von medizinischen Gütern aber kommt ihnen die große Nachfrage zugute. Evonik hat unlängst für 640 Millionen Dollar das US-Unternehmen Peroxychem übernommen, das Desinfektionsmittel herstellt. „Das wird uns gerade aus den Händen gerissen“, sagt Evonik-Chef Christian Kullmann. Auch der Kölner Konkurrent Lanxess fährt die Produktion hoch: Sein Desinfektionsmittel Virkon, das eigentlich für den Bereich Tiergesundheit (Schweinepest) vorgesehen ist, eignet sich eben auch zur Desinfektion von Oberflächen in Krankenhäusern. Der Nivea-Konzern Beiersdorf rüstet drei Werke um und erzeugt nun Desinfektionsmittel. Schon in einem ersten Schritt stelle man 500 Tonnen für Krankenhäuser und Einsatzkräfte in Europa zur Verfügung, hieß es.
Die Lübecker Drägerwerke, die als Erfinder von Beatmungsgeräten
DÜSSELDORF Die Folgen der Corona-Krise treffen auch Gesundheits-Bereiche, die mit der Virusbekämpfung nichts zu tun haben: Wegen ausbleibender Patienten wollen Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten im Rettungsschirm der Politik berücksichtigt werden. Viele Patienten sagen aus Angst vor Corona ihre Termine ab. Andere denken, dass die Praxen aufgrund der verhängten Kontaktverbote geschlossen sind – was nicht der Fall ist.
„Einerseits sind die Therapeuten verpflichtet, Kassenpatienten weiter zu behandeln, das heißt, sie können nicht einfach schließen, gleichzeitig müssen sie besondere Hygieneund Schutzmaßnahmen beachten“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Lisa-Kristin Kapteinat. „Doch diese Praxen sind die letzten, die mit Atemmasken, Desinfektionsmitteln oder Schutzkleidung versorgt werden.
(zunächst für Taucher) gelten, sind besonders gefragt. Die Bundesregierung hat dem Familienunternehmern nun einen Großauftrag zur Lieferung von 10.000 Beatmungsgeräten erteilt. Das sei der größte Auftrag, den man je hatte, so Dräger. Die Abwicklung werde sich über das ganze Jahr erstrecken. Zudem liefert das Unternehmen Schutzausrüstung für Ärzte und Pflegekräfte. Die Aktie des Konzerns ist in den vergangenen Tagen um 50 Prozent gestiegen.
Industrie Die Idee zu ihrem Start-up Uvis kam Katharina Obladen und Tanja Nickel bereits während der Schulzeit – mithilfe von UV-Licht wollten sie die Handläufe von Rolltreppen von Keimen befreien. Inzwischen hat das Kölner Unternehmen auch eine antibakterielle Beschichtung entwickelt, mit der sich Keime auf Oberflächen ebenfalls reduzieren lassen. Tat sich das Start-up anfangs noch schwer, Kunden von der Notwendigkeit einer Investition in mehr Hygiene zu überzeugen, laufen die Geschäfte inzwischen sehr gut. „Wir haben mit Abschluss des Monats März bereits unseren geplanten Zielumsatz für das Jahr 2020 erreicht“, sagt Geschäftsführerin Katharina Obladen: „Insbesondere die Nachfrage aus dem asiatischen Raum ist exponentiell gestiegen.“
Mobiles Arbeiten Wenn weltweit plötzlich Tausende Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schicken, Dienstreisen absagen und Messen ausfallen, dann müssen Arbeitsabläufe anders organisiert werden. Viele Unternehmen setzen nun beispielsweise auf Videokonferenzen, wovon kurzfristig Anbieter wie Zoom profitieren. Der Aktienkurs des US-Unternehmens stieg seit Jahresbeginn um rund 100 Prozent. Das Coronavirus werde die Landschaft dramatisch verändern, hatte Zoom-Chef Eric Yuan zuletzt gesagt. Davon profitiert der deutsche Fernzugriffsund Fernwartungsanbieter Teamviewer aus Göppingen ebenso wie Anbieter für Bürokommunikation wie etwa Slack. Für das erste Quartal rechnet das US-Unternehmen mit einem Wachstum von bis zu 39 Prozent. Allerdings: Analysten zeigten sich zuletzt enttäuscht, weil sie mit noch größeren Steigerungen gerechnet hatte. Unklar ist offenbar, wie nachhaltig der Trend ist – ob es den Unternehmen also gelingt, die Wie soll das funktionieren?“Sie erwartet von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) klarere Regelungen. Der Spitzenverband der Heilmittelverbände stellt klar: „Nur mithilfe von angemessenen Ausgleichszahlungen lässt sich der Fortbestand der ambulanten therapeutischen Versorgung erhalten. Kommt der Rettungsschirm jetzt nicht, stehen die Heilmittelpraxen vor dem Aus.“
Für einzelne Praxen geht es bereits gestiegene Aufmerksamkeit in dauerhaft zahlende Kunden zu verwandeln. Denn auch bei Teamviewer sieht man die Situation ambivalent. Einerseits gebe es viele ungeplante Aufträge, andererseits stocken andere Projekte, weil die Kunden von Teamviewer momentan andere Prioritäten hätten. Im laufenden ersten um die Existenz: Von einem Tag auf den anderen ist die Hälfte der Arbeit von Logopädin Linda Felgentreu und ihrem Praxisteam in Issum weggebrochen: „Die Corona-Krise hat uns sehr schnell erreicht, im Prinzip sofort, als alle Schulen und Kitas geschlossen haben.“Vormittags behandelt das Praxisteam normalerweise in Schulen, Kindertagessstätten und Fördereinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Diese Termine und die damit verbundenen Einnahmen fallen aus. In der vergangenen Woche hat die Praxis insgesamt 18 Patienten behandelt – in Corona-freien Zeiten wären es 116 gewesen.
Viele Praxen wenden sich an die Agentur für Arbeit und zeigen Kurzarbeit an. Wenn sie von der Agentur eine Bearbeitungsnummer erhalten, können sie Kurzarbeitergeld beantragen. „Wann das der Fall sein wird, weiß keiner“, so Felgentreu. „Ich stehe mit Kollegen aus ganz NRW in Kontakt. Eine Rückmeldung hat niemand erhalten.“ Quartal dürften die in Rechnung gestellten Einnahmen im Jahresvergleich laut dem Unternehmen zwar um mindestens 60 Prozent steigen. Bislang rechnet man aber eher mit einem vorübergehenden Effekt.
Lieferdienste Die Angst vor dem Coronavirus hat bei Lebensmittel-Lieferdiensten
zu einem spürbaren Anstieg der Bestellungen geführt. „Die Nachfrage ist um knapp 50 Prozent gestiegen – in allen Gebieten“, sagt Frederic Knaudt, Deutschland-Chef des niederländischen Anbieters Picnic. Das Start-up beliefert momentan mehr als 70.000 Kunden in NRW. Aufgrund der hohen Nachfrage will Picnic die Eröffnung weiterer Standorte vorziehen und die Teams schneller aufbauen, um Kapazitäten zu steigern. Auch bei der Supermarkt-Kette Rewe stieg die Nachfrage nach dem Lieferservice, ebenso wie beim Getränke-Lieferdienst Flaschenpost oder dem Kochboxen-Versender Hellofresh.
Medien So eine Entwicklung dürfte man sich selbst in der Marketingabteilung des großen Disney-Konzerns nicht ausgemalt haben: Ausgerechnet zum Deutschland-Start des neuen Streamingdienstes Disney+ am 24. März sind hierzulande die Schulen, Kindergärten, Zoos und Spielplätze geschlossen, und Millionen Eltern müssen sich überlegen, wie sie ihre Kinder beschäftigen. Das dürfte einige zusätzliche Abonnenten bringen. Auch Anbieter wie Netflix oder Amazon Prime Video dürften profitieren, sofern sich mehr Menschen für ein Abo entscheiden – denn bei den Alt-Kunden mit ihren festen Monatsgebühren ändert sich durch eine erhöhte Nutzung nichts, außer dass sie etwas höhere Kosten für die Bereitstellung von Server-Kapazitäten und Co. haben dürften. Und: Gleichzeitig werden auch diese Unternehmen vom Virus hart getroffen. Disney musste seine Themenparks schließen, auch die Dreharbeiten bei Filmen und Serien haben Disney, Netflix und Co. vorerst eingestellt.
Logistik Ein weiterer Gewinner werden die Paketunternehmen sein. Sowohl die Deutsche Post DHL als auch Hermes erklären zwar, aktuell noch keine stark steigenden Sendungszahlen zu haben, aber das erklären Experten auch damit, dass es zu Verschiebeeffekten kommt: Viele Produkte werden zwar schon jetzt online häufiger gekauft, weil viele Geschäfte geschlossen sind. Reine Freizeitkäufe finden aber weniger statt, weil die Menschen sich mit der Corona-Krise beschäftigen. Je länger aber die Krise dauert, umso mehr werden E-Commerce und die entsprechenden Paketdienste insgesamt an Bedeutung gewinnen. „Die Marktanteile werden neu verteilt“, sagt Matthias Tauber, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Boston Consulting. „es wird mehr Warenlieferungen nach Hause geben.“