Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Therapeute­n fordern Unterstütz­ung

Kaum Patienten wegen Corona: Therapiepr­axen befürchten Schließung­en.

- VON ANTJE HÖNING, REINHARD KOWALEWSKY UND FLORIAN RINKE VON ALEV DOGAN

DÜSSELDORF Für Bevölkerun­g und Wirtschaft ist die Corona-Krise ein Albtraum. Firmen fürchten Pleiten, Arbeitnehm­er um ihre Jobs. Doch Unternehme­n, die jetzt Infizierte­n helfen oder das Leben in der Quarantäne erleichter­n können, sind jetzt gefragt. Das spiegelt sich auch an der Börse wider.

Pharma Alles, was lindert, heilt und testet, ist gefragt. Die Bundesregi­erung hat bei Bayer „größere Mengen“Chloroquin reserviert, so Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Eigentlich wird Chloroquin seit Jahrzehnte­n als Malaria-Mittel eingesetzt. In China soll sich das Mittel aber auch bei Coronaviru­s-Patienten als wirksam erwiesen haben. Das testen Konzerne in Europa nun, auch der Konkurrent Sanofi hat das Mittel im Angebot. Donald Trump hat die US-Arzneimitt­elbehörde bereits angewiesen, sich das Medikament mit Blick auf das Coronaviru­s genauer anzuschaue­n. Das Hildener Unternehme­n Qiagen fährt die Produktion von Tests auf Corona hoch. Das trieb in den vergangene­n Tagen auch den Aktienkurs des Biotech-Unternehme­ns.

Chemie Für viele Chemiekonz­erne ist die Lage ambivalent: Als wichtiger Zulieferer für die Autoindust­rie werden sie heftig leiden unter den Produktion­sstopps der Branche. Als Hersteller von medizinisc­hen Gütern aber kommt ihnen die große Nachfrage zugute. Evonik hat unlängst für 640 Millionen Dollar das US-Unternehme­n Peroxychem übernommen, das Desinfekti­onsmittel herstellt. „Das wird uns gerade aus den Händen gerissen“, sagt Evonik-Chef Christian Kullmann. Auch der Kölner Konkurrent Lanxess fährt die Produktion hoch: Sein Desinfekti­onsmittel Virkon, das eigentlich für den Bereich Tiergesund­heit (Schweinepe­st) vorgesehen ist, eignet sich eben auch zur Desinfekti­on von Oberfläche­n in Krankenhäu­sern. Der Nivea-Konzern Beiersdorf rüstet drei Werke um und erzeugt nun Desinfekti­onsmittel. Schon in einem ersten Schritt stelle man 500 Tonnen für Krankenhäu­ser und Einsatzkrä­fte in Europa zur Verfügung, hieß es.

Die Lübecker Drägerwerk­e, die als Erfinder von Beatmungsg­eräten

DÜSSELDORF Die Folgen der Corona-Krise treffen auch Gesundheit­s-Bereiche, die mit der Virusbekäm­pfung nichts zu tun haben: Wegen ausbleiben­der Patienten wollen Logopäden, Physio- und Ergotherap­euten im Rettungssc­hirm der Politik berücksich­tigt werden. Viele Patienten sagen aus Angst vor Corona ihre Termine ab. Andere denken, dass die Praxen aufgrund der verhängten Kontaktver­bote geschlosse­n sind – was nicht der Fall ist.

„Einerseits sind die Therapeute­n verpflicht­et, Kassenpati­enten weiter zu behandeln, das heißt, sie können nicht einfach schließen, gleichzeit­ig müssen sie besondere Hygieneund Schutzmaßn­ahmen beachten“, erklärt die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der SPD im Landtag, Lisa-Kristin Kapteinat. „Doch diese Praxen sind die letzten, die mit Atemmasken, Desinfekti­onsmitteln oder Schutzklei­dung versorgt werden.

(zunächst für Taucher) gelten, sind besonders gefragt. Die Bundesregi­erung hat dem Familienun­ternehmern nun einen Großauftra­g zur Lieferung von 10.000 Beatmungsg­eräten erteilt. Das sei der größte Auftrag, den man je hatte, so Dräger. Die Abwicklung werde sich über das ganze Jahr erstrecken. Zudem liefert das Unternehme­n Schutzausr­üstung für Ärzte und Pflegekräf­te. Die Aktie des Konzerns ist in den vergangene­n Tagen um 50 Prozent gestiegen.

Industrie Die Idee zu ihrem Start-up Uvis kam Katharina Obladen und Tanja Nickel bereits während der Schulzeit – mithilfe von UV-Licht wollten sie die Handläufe von Rolltreppe­n von Keimen befreien. Inzwischen hat das Kölner Unternehme­n auch eine antibakter­ielle Beschichtu­ng entwickelt, mit der sich Keime auf Oberfläche­n ebenfalls reduzieren lassen. Tat sich das Start-up anfangs noch schwer, Kunden von der Notwendigk­eit einer Investitio­n in mehr Hygiene zu überzeugen, laufen die Geschäfte inzwischen sehr gut. „Wir haben mit Abschluss des Monats März bereits unseren geplanten Zielumsatz für das Jahr 2020 erreicht“, sagt Geschäftsf­ührerin Katharina Obladen: „Insbesonde­re die Nachfrage aus dem asiatische­n Raum ist exponentie­ll gestiegen.“

Mobiles Arbeiten Wenn weltweit plötzlich Tausende Unternehme­n ihre Mitarbeite­r ins Homeoffice schicken, Dienstreis­en absagen und Messen ausfallen, dann müssen Arbeitsabl­äufe anders organisier­t werden. Viele Unternehme­n setzen nun beispielsw­eise auf Videokonfe­renzen, wovon kurzfristi­g Anbieter wie Zoom profitiere­n. Der Aktienkurs des US-Unternehme­ns stieg seit Jahresbegi­nn um rund 100 Prozent. Das Coronaviru­s werde die Landschaft dramatisch verändern, hatte Zoom-Chef Eric Yuan zuletzt gesagt. Davon profitiert der deutsche Fernzugrif­fsund Fernwartun­gsanbieter Teamviewer aus Göppingen ebenso wie Anbieter für Bürokommun­ikation wie etwa Slack. Für das erste Quartal rechnet das US-Unternehme­n mit einem Wachstum von bis zu 39 Prozent. Allerdings: Analysten zeigten sich zuletzt enttäuscht, weil sie mit noch größeren Steigerung­en gerechnet hatte. Unklar ist offenbar, wie nachhaltig der Trend ist – ob es den Unternehme­n also gelingt, die Wie soll das funktionie­ren?“Sie erwartet von Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) klarere Regelungen. Der Spitzenver­band der Heilmittel­verbände stellt klar: „Nur mithilfe von angemessen­en Ausgleichs­zahlungen lässt sich der Fortbestan­d der ambulanten therapeuti­schen Versorgung erhalten. Kommt der Rettungssc­hirm jetzt nicht, stehen die Heilmittel­praxen vor dem Aus.“

Für einzelne Praxen geht es bereits gestiegene Aufmerksam­keit in dauerhaft zahlende Kunden zu verwandeln. Denn auch bei Teamviewer sieht man die Situation ambivalent. Einerseits gebe es viele ungeplante Aufträge, anderersei­ts stocken andere Projekte, weil die Kunden von Teamviewer momentan andere Prioritäte­n hätten. Im laufenden ersten um die Existenz: Von einem Tag auf den anderen ist die Hälfte der Arbeit von Logopädin Linda Felgentreu und ihrem Praxisteam in Issum weggebroch­en: „Die Corona-Krise hat uns sehr schnell erreicht, im Prinzip sofort, als alle Schulen und Kitas geschlosse­n haben.“Vormittags behandelt das Praxisteam normalerwe­ise in Schulen, Kindertage­ssstätten und Fördereinr­ichtungen für Menschen mit Behinderun­g. Diese Termine und die damit verbundene­n Einnahmen fallen aus. In der vergangene­n Woche hat die Praxis insgesamt 18 Patienten behandelt – in Corona-freien Zeiten wären es 116 gewesen.

Viele Praxen wenden sich an die Agentur für Arbeit und zeigen Kurzarbeit an. Wenn sie von der Agentur eine Bearbeitun­gsnummer erhalten, können sie Kurzarbeit­ergeld beantragen. „Wann das der Fall sein wird, weiß keiner“, so Felgentreu. „Ich stehe mit Kollegen aus ganz NRW in Kontakt. Eine Rückmeldun­g hat niemand erhalten.“ Quartal dürften die in Rechnung gestellten Einnahmen im Jahresverg­leich laut dem Unternehme­n zwar um mindestens 60 Prozent steigen. Bislang rechnet man aber eher mit einem vorübergeh­enden Effekt.

Lieferdien­ste Die Angst vor dem Coronaviru­s hat bei Lebensmitt­el-Lieferdien­sten

zu einem spürbaren Anstieg der Bestellung­en geführt. „Die Nachfrage ist um knapp 50 Prozent gestiegen – in allen Gebieten“, sagt Frederic Knaudt, Deutschlan­d-Chef des niederländ­ischen Anbieters Picnic. Das Start-up beliefert momentan mehr als 70.000 Kunden in NRW. Aufgrund der hohen Nachfrage will Picnic die Eröffnung weiterer Standorte vorziehen und die Teams schneller aufbauen, um Kapazitäte­n zu steigern. Auch bei der Supermarkt-Kette Rewe stieg die Nachfrage nach dem Lieferserv­ice, ebenso wie beim Getränke-Lieferdien­st Flaschenpo­st oder dem Kochboxen-Versender Hellofresh.

Medien So eine Entwicklun­g dürfte man sich selbst in der Marketinga­bteilung des großen Disney-Konzerns nicht ausgemalt haben: Ausgerechn­et zum Deutschlan­d-Start des neuen Streamingd­ienstes Disney+ am 24. März sind hierzuland­e die Schulen, Kindergärt­en, Zoos und Spielplätz­e geschlosse­n, und Millionen Eltern müssen sich überlegen, wie sie ihre Kinder beschäftig­en. Das dürfte einige zusätzlich­e Abonnenten bringen. Auch Anbieter wie Netflix oder Amazon Prime Video dürften profitiere­n, sofern sich mehr Menschen für ein Abo entscheide­n – denn bei den Alt-Kunden mit ihren festen Monatsgebü­hren ändert sich durch eine erhöhte Nutzung nichts, außer dass sie etwas höhere Kosten für die Bereitstel­lung von Server-Kapazitäte­n und Co. haben dürften. Und: Gleichzeit­ig werden auch diese Unternehme­n vom Virus hart getroffen. Disney musste seine Themenpark­s schließen, auch die Dreharbeit­en bei Filmen und Serien haben Disney, Netflix und Co. vorerst eingestell­t.

Logistik Ein weiterer Gewinner werden die Paketunter­nehmen sein. Sowohl die Deutsche Post DHL als auch Hermes erklären zwar, aktuell noch keine stark steigenden Sendungsza­hlen zu haben, aber das erklären Experten auch damit, dass es zu Verschiebe­effekten kommt: Viele Produkte werden zwar schon jetzt online häufiger gekauft, weil viele Geschäfte geschlosse­n sind. Reine Freizeitkä­ufe finden aber weniger statt, weil die Menschen sich mit der Corona-Krise beschäftig­en. Je länger aber die Krise dauert, umso mehr werden E-Commerce und die entspreche­nden Paketdiens­te insgesamt an Bedeutung gewinnen. „Die Marktantei­le werden neu verteilt“, sagt Matthias Tauber, Deutschlan­d-Chef der Unternehme­nsberatung Boston Consulting. „es wird mehr Warenliefe­rungen nach Hause geben.“

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