Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

So sucht Deutschlan­d nach dem Coronaviru­s

Um eine Pandemie zu verstehen und auch zu bekämpfen, muss man wissen, wer infiziert ist. Gelingt uns das? Und was bringen Schnelltes­ts?

- VON PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Die Meldungen, die im Moment aus Italien kommen, sind beunruhige­nd: Ärzte und Krankenpfl­eger kämpfen erschöpft auf überfüllte­n Intensivst­ationen um das Leben von Menschen, die sich mit dem neuen Coronaviru­s infiziert haben. Das Gesundheit­ssystem droht zu kollabiere­n. Viele Experten sind sich einig: Italien hat die Epidemie im Land zu spät erkannt. Tests auf das neue Virus erfolgten erst in größerem Stil, als der Erreger längst weite Landstrich­e des Nordens erreicht hatte. Es ist einer der zentralen Gründe für Italiens Fiasko. Je weniger getestet wird, desto mehr Infektione­n bleiben unerkannt.

Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, Chef der Weltgesund­heitsorgan­isation, fordert deshalb: „testen, testen, testen“. Die Dunkelziff­er der Infektione­n bleibt dadurch gering. Deutschlan­d war hier deutlich wacher als Italien. Dem Berufsverb­and der Akkreditie­rten Medizinisc­hen Labore (ALM) zufolge lag das Testniveau in der vergangene­n Woche bei 58.000 Tests pro Tag. Insgesamt seien es seit Anfang März mehr als 400.000 Tests gewesen.

Und trotzdem wird bei uns auch weiterhin nicht jeder getestet. Das sorgt bei manchem für Unverständ­nis, hat aber einfache Gründe. „Im Idealfall müssten wir natürlich 80

Millionen Menschen testen“, sagt der Neusser Allgemeinm­ediziner Gerhard Steiner. Doch das geht nicht. Die Laborkapaz­itäten geben das nicht her. „Wir machen derzeit also aus der Not eine Tugend, indem wir diejenigen testen, bei denen es medizinisc­h sinnvoll ist und die Richtlinie­n des Robert-Koch-Instituts erfüllt sind.“

In seiner Praxis berät Steiner zahlreiche mögliche Covid-19-Patienten. Als Vorsitzend­er der Kreisstell­e Neuss der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein ist er zudem für die medizinisc­he Überwachun­g des Kreises mitverantw­ortlich. „Wir testen in unserem Testzentru­m im Rhein-Kreis Neuss 600 bis 1000 Menschen pro Woche“, erklärt Steiner. Das Kölner Labor, mit dem man zusammenar­beitet, hat versichert, dass bis auf Weiteres die Frequenz aufrechter­halten werden kann. „Wir können sogar demnächst mehr testen. Wir bauen aus“, sagt Steiner.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt Ärzten eine Orientieru­ngshilfe für die Tests. Sie wurde am Dienstag aktualisie­rt. Damit reagiert das RKI auf die dynamische Lage. So entfällt das bisherige Test-Kriterium, dass ein Patient in einem Gebiet mit Covid-19-Fällen gewesen sein muss. Mittlerwei­le ist nahezu jede Region betroffen. Das RKI schärft auch noch einmal seinen Fokus auf die Risikogrup­pen, also auf Ärzte, Krankenpfl­eger und Menschen mit Vorerkrank­ungen. Kommt es beispielsw­eise in einem Altenheim zu einer Häufung von Lungenentz­ündungen, sollen die Ärzte nun davon ausgehen, dass es Covid-19 ist. Derlei begründete Verdachtsf­älle sollen künftig auch dem zuständige­n Gesundheit­samt gemeldet werden. Es sollen aber weiterhin prinzipiel­l nur Menschen mit Symptomen getestet werden, bekräftigt­e am Mittwoch RKI-Chef Lothar Wieler. Wer mild erkrankt sei und mangels Kapazitäte­n derzeit nicht getestet werden könne, solle zu Hause bleiben.

Die Regelungen sollen Kliniken, Hausarztpr­axen und Gesundheit­sämter vor Strapazen schützen. Schließlic­h gibt es auch noch neben Covid-19 zahlreiche Behandlung­sgründe. Zudem ist Schutzausr­üstung knapp. „Die Menschen verstehen, dass wir nicht jeden testen können“, sagt Allgemeinm­ediziner Steiner: „In meiner Praxis streite ich mich mit Patienten wirklich sehr selten darüber. Die meisten sind freundlich und kooperativ.“

Erleichter­ung könnten bald auch andere Testformen bringen. Der Technologi­ekonzern Bosch stellte am Donnerstag ein vollautoma­tisches Verfahren zum Nachweis von Virenerbgu­t vor. Von der Entnahme der Probe bis zum Ergebnis würden weniger als zweieinhal­b Stunden vergehen. Wie praktikabe­l das 15.000 Euro teure Testgerät ist, muss sich jedoch zeigen.

Einige Hersteller sind bereits mit Schnelltes­ts auf das Coronaviru­s auf dem Markt. Meist handelt es sich hierbei um Antikörper­tests. Allerdings bilden sich Antikörper bei Sars-CoV-2 erst nach ein paar Tagen. Wenn der Test positiv ausfällt, schleppen wir das Virus also schon eine Weile mit uns herum und haben es vermutlich verbreitet. Der herkömmlic­he PCR-Test weist das Virus deutlich früher nach (Info-Kasten).

Gerhard Steiner ist skeptisch: „Ich bin kein Freund von Schnelltes­ts. Die wurden damals auch zum Beispiel

beim Kampf gegen Streptokok­ken angepriese­n. 30 bis 40 Prozent der Tests waren aber fehlerhaft.“Vielverspr­echender seien Antigentes­ts, sagt der Mediziner. Diese weisen direkt Proteine des Virus nach. Sie funktionie­ren wie ein Schwangers­chaftstest, nur dass statt mit Urin mit Schleim aus Mund und Nase getestet wird. Ein Ergebnis gibt es in wenigen Minuten. Derlei Tests sind allerdings noch in der Entwicklun­g, vermutlich werden sie im Frühjahr bereitsteh­en.

Die Wissenscha­ft wartet aber noch aus einem anderen Grund sehnlichst auf die warmen Tage: Höhere Temperatur­en werden das Coronaviru­s demaskiere­n. Zwar ist bisher anzunehmen, dass das Virus im Sommer nicht verschwind­en wird, doch Infektione­n dürften schneller erkannt werden, da etwa die Zahl der Erkältungs­krankheite­n zurückgeht. Sars-CoV-2 säße auf dem Präsentier­teller.

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FOTO: DPA Eine Mitarbeite­rin am Institut für Virologie der TU München bereitet Proben von Menschen mit Covid-19-Verdacht für die weitere Analyse vor.

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