Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„China hätte die Welt schützen können“
Es gibt ein altes Sprichwort: „Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.“Diese Aussage gilt ganz besonders im 21. Jahrhundert. Im heutigen Zeitalter der sozialen Medien ist es bedauerlicherweise zur Normalität geworden, dass falsche Informationen über das Internet sofort ein breites Publikum erreichen. Wenn eine bösartige und gefährliche Verschwörungstheorie allerdings von einer offiziellen staatlichen Stelle geäußert wird, sollten wir dem besondere Beachtung schenken.
Genau das geschah diesen Monat, als ein Sprecher des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten der Volksrepublik China in Zusammenhang mit dem Coronavirus falsche Anschuldigungen gegen die Vereinigten Staaten erhob. Die Tatsache, dass das Virus in Wuhan in der Provinz Hubei ausbrach – und dass die chinesische Regierung von Anfang an darüber Bescheid wusste –, ist unbestreitbar. Das Virus war in Wuhan nach Angaben der chinesischen Regierung bereits seit Dezember oder sogar noch früher in Umlauf. Während die Ärzte vor Ort verzweifelt versuchten, die ersten Patienten zu behandeln, unterrichteten sie die Provinzregierung sowie Regierungsbehörden der Volksrepublik China über dieses neue „SARS-ähnliche“Virus. China oblag die Verantwortung, vollkommen transparent mit den Erkenntnissen seiner Experten umzugehen. Doch Anfang Januar hatten die chinesischen Behörden bereits die Vernichtung von Virusproben angeordnet.
Schlimmer noch, die chinesischen Behörden haben mutige Landsleute, die versuchten, die Wahrheit nach außen zu tragen, aktiv zensiert und bestraft. Li Wenliang, ein Augenarzt, der sich später selbst mit dem Virus ansteckte und daran starb, wurde von Provinzbehörden verhört und gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben, nach dem er „falsche Gerüchte“verbreitet habe. Die chinesischen Behörden taten auch dann noch ihr Möglichstes, um jegliche Informationen über die Ausbreitung von COVID-19 zu unterdrücken, während sich chinesische Ärzte schon heldenhaft bemühten, das Leben Dutzender, Hunderter und schließlich Tausender erkrankter Menschen zu retten.
Während wertvolle Wochen verstrichen und die Ernsthaftigkeit des Ausbruchs deutlich wurde, trafen Regierungsbeamte der Volksrepublik China umfassende Vorkehrungen zum Schutz ihrer eigenen Bevölkerung, gaben aber Informationen wie beispielsweise Gensequenzdaten nur selektiv weiter und mauerten weiterhin gegenüber internationalen Gesundheitsbehörden, die Unterstützung anboten und um Zugang und zusätzliche Informationen baten. Hätten die chinesischen Behörden das Richtige getan und vor dieser neuen Krankheit gewarnt, wären China und auch die übrige Welt vielleicht von den Auswirkungen dieser Krankheit auf die Bevölkerung verschont geblieben.
Die Chinesinnen und Chinesen wissen, dass ihre Regierung für die Pandemie verantwortlich ist. Als das gesamte Ausmaß zutage trat und sich die Nachricht von Dr. Lis Tod verbreitete, gab es vor Ort drastische Reaktionen. Sogar auf der stark zensierten Social-Media-Plattform Weibo gab es eine Flut von Kommentaren wie „Die Regierung in Wuhan schuldet Dr. Li Wenliang eine Entschuldigung“und „Wir verlangen Redefreiheit“. Diese Posts wurden millionenfach aufgerufen, bevor sie von staatlichen chinesischen Stellen gelöscht wurden.
In den vergangenen Tagen haben deutsche Regierungsvertreter und Politiker Chinas Ablenkungsmanöver und „Desinformation“sowie seine Bemühungen, „aus politischem Kalkül nun Lügen über die Herkunft des Virus“zu verbreiten, zu Recht verurteilt.
Was tun wir also jetzt? COVID-19 macht nicht an nationalen Grenzen halt und hat sich von Wuhan aus auf
Regierungen haben die Pflicht, Menschenleben zu retten, nicht ihr Gesicht zu wahren der ganzen Welt verbreitet. Wir sollten unsere Anstrengungen bei der Zusammenarbeit und dem raschen und offenen Austausch von Fakten über diese Krankheit intensivieren. Kurzfristig muss es vor allem darum gehen, Leben zu retten. Die Gesundheitsbehörden kooperieren über Ländergrenzen hinweg mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und letztendlich zu stoppen. In Europa und den Vereinigten Staaten beteiligen sich Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen – von der Chemie- und Pharmaindustrie bis hin zu Maschinenbauern und Brennereien im Familienbesitz.
Aber wenn diese Krise abflaut, sollten wir Bilanz ziehen und die Kosten dieses Zusammenbruchs der internationalen Zusammenarbeit, die Auswirkungen der Unterdrückung wichtiger Sachinformationen, die Auswirkungen der Blockadehaltung in der Anfangsphase der Epidemie und die Folgen von Desinformationskampagnen im Verlauf dieser Pandemie bewerten.
Täuschen Sie sich nicht, die Heldinnen und Helden dieser Geschichte sind die Ärztinnen und Ärzte, die Schwestern und Pfleger überall auf der Welt, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um diese schreckliche Erkrankung aufzuhalten und die Welt vor ihrer Gefährlichkeit zu warnen. Korrekte Informationen müssen frei zugänglich sein, insbesondere in Krisenzeiten. Regierungen haben die Pflicht, Menschenleben zu retten, nicht ihr Gesicht zu wahren.
Robin Quinville ist seit Juli 2018 Gesandte der US-Botschaft in Berlin. Sie führt derzeit die Geschäfte von US-Botschafter Richard Grenell, der von US-Präsident Donald Trump zum geschäftsführenden Geheimdienstkoordinator ernannt wurde. Quinville trat 1988 in den Auswärtigen Dienst der USA ein.