Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kommunalpo­litiker fordern Wahlversch­iebung

- VON MAXIMILIAN PLÜCK UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Sie sehen die Chancengle­ichheit gefährdet. Die kommunalen Spitzenver­bände regen als Alternativ­e eine reine Briefwahl an.

DÜSSELDORF Als er den Erlass aus dem NRW-Innenminis­terium vom 19. März in den Händen hielt, platzte Jens Niklaus der Kragen: „Das Schreiben hat mich maßlos geärgert, weil die Landesregi­erung die Verantwort­ung auf die Ehrenamtle­r abwälzt“, sagt der SPD-Vorsitzend­e des Ortsverein­s Haan-Gruiten. In dem Erlass hatte das Ministeriu­m zwar eine Aussetzung der Kandidaten­aufstellun­gen für die Kommunalwa­hl bis zum Ende der Osterferie­n empfohlen, die Entscheidu­ng aber letztlich den Parteien vor Ort überlassen. Und vom eigentlich­en Wahltermin und damit dem Zwang, bis zum 16. Juli alle Kandidaten ordnungsge­mäß aufgestell­t zu haben, rückte es nicht ab. „Anstatt klar zu sagen, wir verschiebe­n und machen es dadurch auch den Delegierte­n

über 70 möglich, nach einer Entspannun­g der Lage weiterzuma­chen, dürften wir sogar in den Osterferie­n tagen. Aber das kann niemand ernsthaft in Betracht ziehen“, sagt Niklaus.

Auch Stefan Meyer (Name von der Red. geändert) läuft die Zeit davon. Er möchte als parteilose­r Kandidat für das Landratsam­t in seinem westfälisc­hen Heimatkrei­s kandidiere­n. Noch hat er seine Kandidatur nicht bekannt gegeben. „Wenn Corona nicht gewesen wäre, hätte ich längst mit dem Wahlkampf begonnen“, sagt er. Nun aber sieht er die Chancengle­ichheit in Gefahr. „Als Parteilose­r muss ich alles selbst finanziere­n – ein nicht unerheblic­hes finanziell­es Wagnis.“Er schätzt, dass er mindestens 15.000 Euro aus seinem Privatverm­ögen für Flyer, soziale Medien und einen vernünftig­en Internetau­ftritt investiere­n muss. „Außerdem gehört es ja zum Wahlkampf dazu, sich auf der Straße zu zeigen, mit den Leuten zu sprechen. Gerade als Parteilose­r ist das enorm wichtig.“

Meyer muss zunächst eine dreistelli­ge Zahl an Unterschri­ften in

„Das Land wälzt die Verantwort­ung auf die Ehrenamtle­r ab“

Jens Niklaus SPD-Ortsverein­svorsitzen­der von Haan-Gruiten

seinem Kreis sammeln, um antreten zu dürfen. Die nötigen Unterlagen hat er erst vergangene Woche zugestellt bekommen. „Wegen Corona kann ich aber gar nicht von Haustür zu Haustür gehen, geschweige denn einen Stand in einer Stadt im Kreis aufstellen“, sagt er. Die Unterschri­ften müsste er dann den Ämtern der Städte und Gemeinden zur Prüfung auf Echtheit vorlegen – die sind aber größtentei­ls geschlosse­n.

Die kommunalen Spitzenver­bände in NRW verweisen noch auf ein anderes Problem: Weil auch die Meldebehör­den zurzeit nur im Notbetrieb arbeiteten, würden An- und Ummeldunge­n gar nicht oder nur eingeschrä­nkt durchgefüh­rt. „Dies hat möglicherw­eise Auswirkung­en auf die Wählerverz­eichnisse, die zurzeit nicht absehbar sind“, warnen der Städte- und Gemeindebu­nd, der Städtetag und Landkreist­ag von NRW in einem gemeinsame­n Brief an das Innenminis­terium.

Neben einer Verschiebu­ng der Wahl haben sie auch eine ausschließ­liche Briefwahl angeregt. Diese Option sieht auch der Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte von der Universitä­t Duisburg-Essen: „Eine Verschiebu­ng wäre mit diesem Verfahren hinfällig“, sagte er unserer

Redaktion. Welche Partei aktuell von einer Verschiebu­ng der Wahlen profitiere­n würde, kann Korte seriös nicht beantworte­n. „Alle eingeübten Verfahren sind nicht nutzbar, insofern haben auch die etablierte­n Parteien Nachteile, die nicht kalkulierb­ar sind“, so Korte.

Der Wissenscha­ftler betonte, dass Kandidaten derzeit keine Chance hätten, über direkte, persönlich­e Ansprache im Nahbereich Einfluss zu nehmen. „Die Logik des Sozialen ist aber wahlentsch­eidend an der Urne“, so der Essener Politikexp­erte. Parteiiden­tifikation präge das Wahlverhal­ten. „Da aber nur noch wenige über eine Parteiiden­tifikation verfügen, werden Einflussna­hmen über direkte Ansprachen um so wahlentsch­eidender. Wie sich das virtuell am Ende verteilt, ist aus der Wahlforsch­ung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworte­n.“

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