Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Gott will die Gewalt nicht“
Die biblische Karwoche ist voller Aggression. Für den Militärbischof ist die Haltung Jesu dazu für uns hilfreich.
Folter, Kreuzigung und ein Selbstmord – das Ostergeschehen mutet uns viel an Gewalterfahrungen zu. OVERBECK Gott will uns in dieser spannungs- und grauenvollen Geschichte zeigen, dass er an seinem Ja zum Menschen bedingungslos festhält. Gottes Liebe geht alle Wege des Lebens und Leidens mit. Selbst dann, wenn sie zunächst am Kreuz enden. Das ist die zentrale Botschaft des Ostergeschehens: Gott ist die Liebe. Eine Liebe, die stärker ist als Folter, Kreuzigung, Gewalt und Tod. Gewalt dagegen ist nicht erlösend, sondern wird es erst dadurch, wie Jesus mit ihr umgeht. Ihm widerfährt eine Gewalt, wie sie vielen Menschen schon widerfahren ist, leider aktuell auch widerfährt und noch widerfahren wird. Diesen Kreislauf des Bösen zu durchbrechen, gelingt uns Menschen offensichtlich nicht. In der Art und Weise, wie Jesus diese Gewalt annimmt, wird für uns Menschen die erlösende Hoffnung sichtbar, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern Gott. Daran kann ich aber tatsächlich auch nur glauben und es nicht – im Sinne naturwissenschaftlicher Erkenntnisse – für wahr und bewiesen halten.
Können wir von der Art, wie Jesus Gewalt angenommen und hingenommen hat, für uns etwas lernen?
OVERBECK Jesus hat die Gewalt im wahrsten Sinne ertragen und dabei ganz menschlich reagiert: Er hat Angst gehabt sowie geweint und ist unter der Gewalt mehrfach zusammengebrochen. Diese Erzählungen zeigen, wie Jesus mit Gewalt umging: Er hat sie erlitten – und am Ende sich selbst Gott übergeben.
Welche Formen von Gewalt haben Sie als Militärbischof schon erfahren müssen?
OVERBECK Meinen Aufgaben als Militärbischof kann und darf ich in Krisengebieten, in denen kriegerische Gewalt ausgeübt wird, nur dann nachkommen, wenn es die Sicherheitslage auch zulässt. Insofern habe ich persönlich solche Formen von Gewalt bisher nicht erleiden müssen. Anders als viele Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz, etwa in Afghanistan und Mali.
In welcher Situation darf ein Soldat, der sich als Christ versteht, überhaupt töten?
OVERBECK Das ist eine ethische Frage, die als Christ so beantwortet werden muss: Weil Gott mich und alle Menschen gewollt hat, habe ich auch das Recht und die Aufgabe, mich und andere zu schützen. Die Anwendung von Gewalt muss immer verhältnismäßig sein und ist stets eingebettet in die sogenannte „Ultima Ratio“, darf also nur als letztes Mittel genutzt werden. Hinweisen will ich aber auch auf das
Beispiel des Martyriums, also den Verzicht auf einen Selbstschutz. Das aber ist eine letztlich freiwillige Tat und kann von Soldatinnen und Soldaten nicht verlangt werden.
Im Buch „Konstruktive Konfliktkultur“schreiben Sie, dass die Gewissensnöte der Soldaten immer die Gewissensnöte aller Bürger sein müssen. Ein hoher Anspruch. OVERBECK Dessen bin ich mir bewusst. Aber es ist eine meiner Aufgaben als Bischof, ethische Zusammenhänge und gesamtgesellschaftliche Herausforderungen so zu verdeutlichen, dass sie in der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen und diskutiert werden. Dazu gehört die Lehre vom gerechten Frieden, die sich vor allem im letzten Jahrhundert entwickelt hat und alle in die Pflicht nimmt.
Wenn man sich heutzutage Auseinandersetzungen anschaut, dann gewinnt man leicht den Eindruck, dass sie viel schneller eskalieren als früher. Sind wir in gewisser Weise konfliktunfähiger geworden?
OVERBECK Nach meiner Wahrnehmung ändern sich die Muster vieler Menschen, mit Konflikten umzugehen. Sie sind oft weniger offen, weil es viel mehr Möglichkeiten gibt, Gewalt auch subtil anzuwenden.
Früher war es viel stärker eine haptische, also konkret körperliche Gewalt. Heute wird beispielsweise in der digitalen Welt Gewalt mit Sprache und Bildern ausgeübt, leider mit ähnlich zweifelhaftem „Erfolg“.
Was ist in der Menschheitsgeschichte schief gelaufen, dass das friedliche Miteinander der Jerusalemer Urgemeinde nicht Schule machte. Sind die Menschen auch in Sachen Gewalt unbelehrbar?
OVERBECK Das kann man wahrscheinlich nur damit erklären, dass der Mensch seine Freiheit nicht nur positiv, sondern auch negativ bestimmen und nutzen kann. Gewalt, Hass, Neid, eben die ganze Liste der Versuchungen und der Todsünden sind offenkundig nicht einzuhegen. Und das ist keine Frage der Höhe der Kultur, in der wir leben. Den sprechenden Vergleich dazu liefert das Verhalten Jesu. An seiner Haltung ist zu sehen, wie der Mensch mit grauenhafter Gewalt umgehen kann, so dass daraus keine neue Gewalt entsteht. Bei nicht wenigen Menschen scheint die Sehnsucht nach Vergeltung zu dominierdn. Menschlich ist das hin und wieder vielleicht nachvollziehbar, nur dreht sich so der Kreislauf von Gewalt immer weiter.
Ist jeder Krieg ein Zeichen der Abkehr des Menschen von Gott?
OVERBECK Auf jeden Fall ist es eine Abkehr vom Guten - und so von Gott. Gott will die Gewalt nicht.
LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.