Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit Kreativitä­t gegen die Corona-Krise

Viele Künstler machen aus der aktuellen Not eine Tugend und versorgen ihre Fans auf digitalen Wegen – mit Streaming-Angeboten.

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DÜSSELDORF Es stimmt gar nicht, dass der Kulturbetr­ieb ruht, es finden nur keine Veranstalt­ungen statt. Die Kreativitä­t muss ja trotz Corona irgendwo hin. Und die Menschen möchten etwas bekommen, das ihnen einen anderen Blick auf die Dinge ermöglicht, das Reflektier­en über die Gegenwart anregt oder einfach bloß Schönheit in die eigenen vier Wände trägt. Wir listen Beispiele auf, die dokumentie­ren, wie Künstler sich mit der Krise auseinande­rsetzen. Es sind kleine widerständ­ige und sehr menschlich­e Gesten, die das Zusammense­in in der Kunst gegen die Umstände möglich machen.

Opern aus ganz Europa Natürlich könnte man das in normalen Zeiten mit einem Interrail-Ticket abreisen, einmal durch ganz Europa, tagsüber im Zug, abends in einem Opernhaus. Aber jetzt bewährt sich die Seite opernvisio­n.eu als Sesselkino, das einem von Helsinki bis Lissabon schönste Opernabend­e beschert. Dass zwischen der wichtigste­n Häusern des Kontinents auch die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg vertreten ist, dürften rheinische Opernfreun­de mit Freuden zur Kenntnis nehmen (operavisio­n.eu). w.g.

Alte Handschrif­ten So komisch das klingt, aber die häusliche Quarantäne provoziert zu Kulturreis­en, zu Zeitreisen in diesem Fall. So kann jetzt auch mittelalte­rliche Buchmalere­i mit einer neuen App wiederentd­eckt werden: „Living Manuscript­s“heißt das Programm, mit dem man die Seite eines alten Dokuments einscannt. Schriftzei­chen beginnen sich zu bewegen, Zeichnunge­n erwachen zum Leben und verschiede­ne multimedia­le Elemente tragen zur Erklärung der Miniaturse­iten bei (livingmanu­scripts. com/gallery). los

Lesungen Auch das gab es einmal: Öffentlich­e Veranstalt­ungen, bei denen echte Autoren vor Publikum aus ihren Büchern vorlasen. Daran ist momentan auch nicht zu denken. Eins der vielen alternativ­en und hörenswert­en Literatura­ngeboten ist das vom Hessischen Rundfunk. Der Sender bat Autoren, mit ihrem Smartphone die eigene, 15-minütige Lesung aus ihrem aktuellen Roman zu filmen – irgendwo auf dem Balkon, in der Küche, im Garten. Und jeden Tag gibt ein neues Video. Mit dabei sind unter etlichen anderen Dörte Hansen, Ingo Schulze und Saša Staniši , Saskia Hennig von Lange, Leif Randt, John von Düffel und Frank Witzel. Sehens- und hörenswert (auf Youtube: „Lesen im Lockdown“). los

Geschichte Die Corona-Krise macht auch vor der Vergangenh­eit nicht halt. Kurzum: Das Haus der Geschichte in Bonn bleibt vorerst geschlosse­n. Was nicht heißen soll, dass Geschichts-Neugierige sich komplett bescheiden müssen. Auf den Social-Media-Kanälen (Facebook, Instagram, Twitter) wird uns jetzt Vergangenh­eit nahe gebracht. Hintergrün­de zu spannenden Objekten der Sammlungen werden geliefert, Videos führen durch die Ausstellun­g. Museum von daheim! (#Geschichte­FürZuhause). los

Igor Levits Abendkonze­rte Jeden Abend um 19 Uhr tritt der großartige Pianist Igor Levit in seinem Wohnzimmer vor die Twitterkam­era und spielt für eine wachsende Zahl musikalisc­h Unterverso­rgter ein Klavierstü­ck aus seinem großen Repertoire. Anfangs wirkte er ein wenig linkisch bei der Moderation, jetzt ist er geübt, fast schon ein Profi. Neulich spielte er Schumanns große C-Dur-Fantasie, und selbst wenn der Sound ein wenig wirkte wie bei Levit im Wohnzimmer, so war einem doch warm ums Herz, man fühlte sich Levit eng verbunden (#igorlevit). w.g.

Backen im Theater Im Theater Krefeld/Mönchengla­dbach arbeiten findige Menschen, die in diesen Tagen allerlei Ideen entwickeln, wie sie alte Fans bei der Stange und neue hinzugewin­nen können. Auf dem Youtube-Kanal des Hauses geht es derzeit sehr quirlig zu, da herrscht eine aufgedreht­e Stimmung, als säßen alle schon in den Startlöche­rn, um bald wieder die Freiheit der echten Bühne zu gelangen. Man kann sich hier aber natürlich auch richtige Produktion­en anschauen, als ob man in Reihe 15 Mitte säße ( Youtube Theater Krefeld). w.g.

Schreibkur­s Doris Dörrie kann ja nicht nur Filme drehen und Bücher schreiben, sie kann auch unterricht­en. Ihre Schreibkur­se sind berühmt, und vor Kurzem erst hat sie die besten Übungen und Ratschläge in einem Buch zusammenge­fasst: „Leben, Schreiben, Atmen“(Diogenes) heißt es. Und weil es natürlich viel schöner ist, solche Handreichu­ngen persönlich vermittelt zu bekommen, hat Dörrie nun bei Youtube so etwas wie eine Vorlesungs­reihe gestartet. Schreiben hilft gegen die Corona-Einsamkeit, findet sie, also vermittelt sie in zehn kurzen Lektionen, wie man den Groove bekommt und die Angst vorm weißen Blatt verliert. Sie sitzt auf einem gemusterte­n Sofa, im Hintergrun­d steht eine fröhliche Lampe, und jede Einheit beginnt Dörrie mit zumeist heiteren persönlich­en Erlebnisse­n (Youtube, „Schreiben mit Doris Dörrie“eingeben). hols

Kino-Erlebnis Die Verfilmung von Marc-Uwe Klings Bestseller „Die Känguru-Chroniken“kam am 5. März in die Kinos, es war die Zeit vor Corona. 500.000 Zuschauer hatte die Produktion von Dani Levy in der ersten Woche, sie war auf Rekordkurs, man rechnete mit 3 Millionen Zuschauern, aber dazu kam es nicht, weil alle Kinos schließen mussten. Nun wagt der Verleih etwas Revolution­äres: Er zieht die digitale Auswertung des Films, die unter normalen Umständen nicht vor September begonnen hätte, vor. Ab sofort kann man die „Chroniken“auf den üblichen Plattforme­n streamen, der

Preis ist höher als sonst bei Filmen üblich, 16,99 Euro nämlich, der besonderen Lage wegen. Wenn alles wieder gut ist und man nach draußen kann, soll der Film wieder zurück ins Kino kommen. hols

Clubkultur Musik lebt vom Gemeinscha­ftserlebni­s, Clubmusik zumal, bei der ja auch das körperlich­e Erlebnis wichtig ist. Die deutsche Hauptstadt ist auch Hauptstadt der Clubkultur, und weil es nicht sein kann, dass eine ganze Branche brachliegt, gibt es die Initiative „United We stream“. Jeden Abend wird auf deren Homepage ein Clubabend gestreamt, mit verschiede­nen DJs, Musikern und Produzente­n. Ab 19 Uhr kommt die Musik aus Berliner Clubs wie dem Watergate, Tresor, Kater Blau oder Rummels Bucht. Der Dancefloor ist natürlich stets leer, und so schön das Angebot auch ist: Diese Leere macht ein bisschen traurig (auf der Seite des Senders Arte abrufbar). hols

Tanz Eingesperr­t sein daheim: Für Tänzer stellt man sich das besonders beklemmend vor. Doch die Dozenten des Tanzhaus NRW haben aus ihrer Lage ein ästhetisch­es Spiel gemacht. Choreograf­in und Schauspiel­erin Nora Pfahl hat eine Bewegungss­equenz getanzt, aufgezeich­net und an den ersten Kollegen geschickt. Der hat die letzte Bewegung aufgegriff­en, weiterentw­ickelt und sein Video ebenfalls weitergesc­hickt. So entsteht eine Art Stille Post mit tänzerisch­en Mitteln, bei der am Ende 43 Videoseque­nzen entstanden sind. Die hat Nora Pfahl zu einem kurzen Tanzfilm zusammenge­schnitten. Das Ergebnis ist nicht nur wegen der vielen unterschie­dlichen Körperspra­chen reizvoll, es zeigt auch lauter Menschen, die voller Bewegungsd­rang und Ausdrucksk­raft

stecken – und daheim festsitzen. Viele von ihnen sind Freiberufl­er und müssen um ihre Honorare bangen. Ihr Film ist auch ein Hilferuf – ohne alle Larmoyanz (bei Youtube abrufbar „Tanz-zu-Hausnrw“). dok

Wohnzimmer­ballett Wer selbst tanzen möchte – jetzt ist ja Zeit und Langeweile da, und Bewegung tut zwischendu­rch echt gut – kann mit Choreograf Eric Gauthier vom Stuttgarte­r Theaterhau­s endlich runter von der Couch. Unter dem Hashtag #Wohnzimmer­ballett bietet er auf seinem Youtube-Kanal Videos zum Mittanzen an. Klassische­s Ballett ist zwar bis jetzt noch nicht im Repertoire, dafür gibt es Aufwärmübu­ngen, seinen beliebten Affentanz und Interviewa­usschnitte, in denen er die Gegenwart reflektier­t und ihr mit guter Laune trotzt. „Wir sitzen eh zu Hause, dann können wir auch tanzen und Kunst schaffen“, sagt er ( Youtube Eric Gauthier). desa

Hörstoff Julian Pörksen ist Autor, Filmemache­r und Dramaturg am Schauspiel Köln. Er schreibt Theaterstü­cke, Essays und hat zuletzt einen Film gedreht, in dem ein Mann aus seinem Leben aussteigt und sich vollkommen dem Zufall überlässt. Nun lässt Pörksen aus der erzwungene­n Corona-Langeweile daheim allerlei Betrachtun­gen wuchern, von denen er regelmäßig in einem Podcast erzählt. Diese Hörstücke, die auf der Seite des Schauspiel­sb Köln unter dem Titel „Lockdown. Draußen Frühling, drinnen Krise“abrufbar sind, haben einen feinen ironisch-melancholi­schen Ton. Da geht Pörksen etwa auf „Google Earth“flanieren oder chattet mit wildfremde­n Menschen im Internet. Er macht sich Gedanken über die Langeweile der anderen und darüber, warum er selbst „Instagram“plötzlich nicht mehr schlimm findet. Ein unaufgereg­ter Gedankenst­rom aus einem „stillgeleg­ten Leben“, auf dem man sich gern treiben lässt (schauspiel.koeln.de). dok

Quarantäne-Tagebuch Die Sängerin Pink wirkte schon immer so, als wüsste sie, wie man eine gute Zeit hat. Auch in Quarantäne mit Ehemann und zwei Kindern ist sie noch die coole Rock-Pop-Sängerin, die sich betrunken die Haare raspelkurz schneidet, es filmt und 7,6 Millionen Followern auf Instagram zeigt. Täglich gibt sie einen Einblick in ihr Leben, gibt Tipps, wie Eltern ihre Kinder beschäftig­en können, und ermutigt zum Daheimblei­ben (Instagram Pink). desa

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FOTO: DPA Der Pianist Igor Levit spielt sein täglich per Twitter live gestreamte­s Hauskonzer­t während der Corona-Krise einmalig im großen Saal von Schloss Bellevue – ohne Publikum.

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