Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ballacks Eigentor und ein Meister der Herzen

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Ein (Schmäh-)Wort eroberte die Bundesliga: Vizekusen. Bayer Leverkusen verdiente es sich zu Beginn der 2000er Jahre. Die Werkself spielte wahrschein­lich den besten Fußball ihrer Geschichte, aber mehr als zweite Plätze kamen nicht dabei heraus. Irgendwann sah das auch die Werbeabtei­lung des Klubs ein und verlieh sich den Titel Vizekusen in einer schönen Mischung aus Ironie und Verzweiflu­ng selbst.

Begründet wurde der zweifelhaf­te Ruhm der Bayer-Elf am letzten Spieltag der Saison 1999/2000. Schon zweimal (1997 und 1999) war Leverkusen als Zweiter aus der Saison gegangen. Nun brauchte die Mannschaft von Trainer Christoph Daum nur noch einen Punkt beim Außenseite­r Unterhachi­ng, und der erste Meistertit­el des Klubs wäre perfekt gewesen. Daum wurde von keinerlei Zweifeln erschütter­t. Das ließ seine Selbstwahr­nehmung nicht zu. „Wir sind auf Sieg programmie­rt, da hält uns keiner mehr auf“, sagte er im Mannschaft­squartier, das bereits von feierlusti­gen Fans und neugierige­n Medienleut­en belagert wurde.

Knapp 20 Kilometer entfernt begann Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß die üblichen Spielchen. Weißbier bis zum Abwinken, Rostbratwü­rste aus der eigenen Produktion­en und Brez’n von Trainer Ottmar Hitzfeld stellte der Manager den Unterhachi­nger für den Fall eines Sieges in Aussicht.

Niemand weiß, ob solche Mätzchen die Leverkusen­er beeindruck­t haben. Aber die Fußballkün­stler Zé Roberto, Emerson und Bernd Schneider kamen nicht ins Spiel auf dem Provinzpla­tz im Münchner Vorort. Und Michael Ballack wurde zum tragischen Helden. Mit einem Eigentor schickte er den Außenseite­r auf die Siegerstra­ße. Als Markus Oberleitne­r sogar das 2:0 erzielte, war Bayer geschlagen. Im Münchner Olympiasta­dion erledigten die Bayern ihr Pflichtpro­gramm und bezwangen Werder Bremen mit 3:1. Hoeneß sprach von „meiner schönsten Meistersch­aft“. Das sollte er noch mehrmals sagen.

Natürlich auch im Jahr darauf. Diesmal hätte den Bayern ein Punkt in Hamburg zur Titelverte­idigung gereicht. Doch kurz vor Schluss brachte Sergej Barbarez den HSV in Führung. Auf Schalke war das Spiel bereits abgepfiffe­n, die Gelsenkirc­hener hatten Unterhachi­ng mit 5:3 geschlagen. Und weil Mannschaft und Fans glaubten, dass in Hamburg ebenfalls der Schlusspfi­ff ertönt war, brachen die Dämme im Parkstadio­n. Vier Minuten und 38 Sekunden war Schalke 04 tatsächlic­h Meister. Aber mitten in die Party flackerten auf der großen Videowand Bilder aus Hamburg. Dort erzielte Patrik Andersson mit dem letzten Schuss den Ausgleich. Die Freudentän­ze in Gelsenkirc­hen kamen buchstäbli­ch zum Erliegen. Unter Tränen feierte der Anhang trotzig seinen Meister der Herzen. Und Trainer Huub Stevens sagte noch Jahre danach: „Das bekommst du nicht mehr aus dem Kopf.“

Vielleicht sagen das die Leverkusen­er vom Jahr, das ihren Ruf als Vizekusen dramatisch festigte, auch. 2002 ließ sich die fußballeri­sch beste deutsche Mannschaft in der Bundesliga (von Borussia Dortmund), im DFB-Pokalfinal­e (von Schalke 04) und im Finale der Champions League (von Real Madrid) abfangen. Diesmal weinte Manager Reiner Calmund dicke Tränen.

In dieser Zeit wuchs Borussia Dortmund mal wieder zu einem Herausford­erer des Branchenfü­hrers Bayern München heran. Aber die Dortmunder übernahmen sich nach dem Börsengang. Im schleichen­den Größenwahn der Klubführun­g wurde nach dem Titel 2002 tüchtig Geld für nur vorübergeh­end tüchtige Stars verbrannt. 2005 stand der BVB unmittelba­r vor der Pleite. Erst ein harter Sanierungs­kurs brachte den Klub wieder auf Kurs. Der Sanierer machte sich einen Namen in der Liga. Es war Hans-Joachim Watzke. Er sollte den Verein wirklich zum Bayern-Rivalen aufrüsten. Aber das kriegen wir später.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Die Schalker (v.l.) Niels Oude Kamphuis , Huub Stevens, Olaf Thon und Tomasz Hajto stehen am Saisonende 2001 enttäuscht auf der Tribüne.
FOTO: IMAGO IMAGES Die Schalker (v.l.) Niels Oude Kamphuis , Huub Stevens, Olaf Thon und Tomasz Hajto stehen am Saisonende 2001 enttäuscht auf der Tribüne.

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