Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ballacks Eigentor und ein Meister der Herzen
DÜSSELDORF Ein (Schmäh-)Wort eroberte die Bundesliga: Vizekusen. Bayer Leverkusen verdiente es sich zu Beginn der 2000er Jahre. Die Werkself spielte wahrscheinlich den besten Fußball ihrer Geschichte, aber mehr als zweite Plätze kamen nicht dabei heraus. Irgendwann sah das auch die Werbeabteilung des Klubs ein und verlieh sich den Titel Vizekusen in einer schönen Mischung aus Ironie und Verzweiflung selbst.
Begründet wurde der zweifelhafte Ruhm der Bayer-Elf am letzten Spieltag der Saison 1999/2000. Schon zweimal (1997 und 1999) war Leverkusen als Zweiter aus der Saison gegangen. Nun brauchte die Mannschaft von Trainer Christoph Daum nur noch einen Punkt beim Außenseiter Unterhaching, und der erste Meistertitel des Klubs wäre perfekt gewesen. Daum wurde von keinerlei Zweifeln erschüttert. Das ließ seine Selbstwahrnehmung nicht zu. „Wir sind auf Sieg programmiert, da hält uns keiner mehr auf“, sagte er im Mannschaftsquartier, das bereits von feierlustigen Fans und neugierigen Medienleuten belagert wurde.
Knapp 20 Kilometer entfernt begann Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß die üblichen Spielchen. Weißbier bis zum Abwinken, Rostbratwürste aus der eigenen Produktionen und Brez’n von Trainer Ottmar Hitzfeld stellte der Manager den Unterhachinger für den Fall eines Sieges in Aussicht.
Niemand weiß, ob solche Mätzchen die Leverkusener beeindruckt haben. Aber die Fußballkünstler Zé Roberto, Emerson und Bernd Schneider kamen nicht ins Spiel auf dem Provinzplatz im Münchner Vorort. Und Michael Ballack wurde zum tragischen Helden. Mit einem Eigentor schickte er den Außenseiter auf die Siegerstraße. Als Markus Oberleitner sogar das 2:0 erzielte, war Bayer geschlagen. Im Münchner Olympiastadion erledigten die Bayern ihr Pflichtprogramm und bezwangen Werder Bremen mit 3:1. Hoeneß sprach von „meiner schönsten Meisterschaft“. Das sollte er noch mehrmals sagen.
Natürlich auch im Jahr darauf. Diesmal hätte den Bayern ein Punkt in Hamburg zur Titelverteidigung gereicht. Doch kurz vor Schluss brachte Sergej Barbarez den HSV in Führung. Auf Schalke war das Spiel bereits abgepfiffen, die Gelsenkirchener hatten Unterhaching mit 5:3 geschlagen. Und weil Mannschaft und Fans glaubten, dass in Hamburg ebenfalls der Schlusspfiff ertönt war, brachen die Dämme im Parkstadion. Vier Minuten und 38 Sekunden war Schalke 04 tatsächlich Meister. Aber mitten in die Party flackerten auf der großen Videowand Bilder aus Hamburg. Dort erzielte Patrik Andersson mit dem letzten Schuss den Ausgleich. Die Freudentänze in Gelsenkirchen kamen buchstäblich zum Erliegen. Unter Tränen feierte der Anhang trotzig seinen Meister der Herzen. Und Trainer Huub Stevens sagte noch Jahre danach: „Das bekommst du nicht mehr aus dem Kopf.“
Vielleicht sagen das die Leverkusener vom Jahr, das ihren Ruf als Vizekusen dramatisch festigte, auch. 2002 ließ sich die fußballerisch beste deutsche Mannschaft in der Bundesliga (von Borussia Dortmund), im DFB-Pokalfinale (von Schalke 04) und im Finale der Champions League (von Real Madrid) abfangen. Diesmal weinte Manager Reiner Calmund dicke Tränen.
In dieser Zeit wuchs Borussia Dortmund mal wieder zu einem Herausforderer des Branchenführers Bayern München heran. Aber die Dortmunder übernahmen sich nach dem Börsengang. Im schleichenden Größenwahn der Klubführung wurde nach dem Titel 2002 tüchtig Geld für nur vorübergehend tüchtige Stars verbrannt. 2005 stand der BVB unmittelbar vor der Pleite. Erst ein harter Sanierungskurs brachte den Klub wieder auf Kurs. Der Sanierer machte sich einen Namen in der Liga. Es war Hans-Joachim Watzke. Er sollte den Verein wirklich zum Bayern-Rivalen aufrüsten. Aber das kriegen wir später.