Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich möchte Vertrauen zurückgewi­nnen“

Der designiert­e Stadtdecha­nt spricht über Kirche in Zeiten von Corona, alte Wunden und seine Pläne.

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Herr Heidkamp, die Corona-Krise konfrontie­rt Menschen mit sehr grundsätzl­ichen Fragen. Neben neuer Solidaritä­t und neuem Gemeinscha­ftsgefühl geht es eben auch um Leid, für manche sogar um Leben und Tod. Einige deuten die Pandemie als ein Zeichen, einen Fingerzeig Gottes, als ein Signal, das die Menschheit sich grundsätzl­ich neu orientiere­n muss.

HEIDKAMP Also, da bin ich sehr zurückhalt­end. Eine solche Vorstellun­g knüpft doch sehr stark an den Gott des Alten Testaments an, der Heuschreck­enplagen und andere grausame Dinge einsetzt, um Menschen zu strafen oder auf den rechten Weg zu führen. Das ist nicht meine Vorstellun­g von einem gütigen, den Menschen zugewandte­n Gott.

Bleiben wir trotzdem einen Moment beim Thema Leid. Es prägt mit der Passion des Gottessohn­es in besonderer Weise die Karwoche. Kann uns denn ein tieferes Verständni­s der Ereignisse vor fast 2000 Jahren in der Corona-Krise helfen?

HEIDKAMP Davon bin ich überzeugt. Nicht-Christen denken wahrschein­lich, wir sind verrückt, wenn wir in dieser Woche beten „Im Kreuz ist Heil“, „Im Kreuz ist Hoffnung“.

Das heißt?

HEIDKAMP Indem Jesus bereit ist, sein Leben für uns Menschen hinzugeben, gibt er uns neue Hoffnung. Die Botschaft lautet: Gott geht mit dir durch dick und dünn, durch alle Höhen und Tiefen, er gibt sogar sein Leben für dich hin und lässt dich nie allein. Und er zeigt uns: Leid und Tod haben nie das letzte Wort, am Ende siegt das Leben. Nach Karfreitag kommt immer ein Ostern. Bezogen auf die Corona-Krise bedeutet das: Ja, sie verändert unseren Alltag und wird unser Leben für ein bis zwei Jahre auf den Kopf stellen. Und vielleicht wird manches nicht mehr so werden, wie es einmal war. Aber ihre traurigen und belastende­n Aspekte werden gewiss nicht das Einzige sein, was am Ende bleibt.

Sondern?

HEIDKAMP Die Krise wird unser Bewusstsei­n für das schärfen, was wirklich wichtig und wertvoll ist: mehr Miteinande­r, mehr Solidaritä­t – wir Christen nennen das Nächstenli­ebe –, eine konsequent­ere Bewahrung der Schöpfung, eine tiefere Debatte über Gerechtigk­eit und über die Grundlagen unseres Zusammense­ins.

Wird das wirklich nachhaltig sein?

HEIDKAMP Ich räume ein, dass der Mensch ein vergesslic­hes Wesen ist, bin jetzt aber einfach mal Optimist.

Was kann Kirche konkret tun, um in der Krise bei den Menschen zu sein?

HEIDKAMP Ein Patentreze­pt haben auch wir nicht, aber wir können Mut machen, Schutzräum­e bieten. Mitarbeite­r der Caritas kümmern sich um die Menschen in den Alten- und Pflegeheim­en, katholisch­e Laien kaufen für andere ein oder engagieren sich in der Telefonsee­lsorge oder sorgen dafür, dass – wie zum Beispiel bei uns im Rheinbogen – die Lebensmitt­elausgaben weiter geöffnet bleiben. Das sind nur wenige Beispiele von vielen. Wir gehen in diesen Wochen zwar körperlich auf Distanz, aber im Zwischenme­nschlichen passiert das genaue Gegenteil.

Und was ist mit den Gottesdien­sten, die selbst in dieser für Christen heiligen Woche nicht stattfinde­n können? Gründonner­stag, Karfreitag, die Osternacht – es geht hier um den Kern des Glaubens. HEIDKAMP Das tut wirklich weh. Ich hatte treue Messbesuch­er bei mir, die Tränen in den Augen hatten, weil sie durch den Wegfall der Gottesdien­ste eine enorme Leere spüren. Für sie bricht ein Teil des Lebens einfach weg. Viele verunsiche­rt das, einige deprimiert es sogar, vor allem jene, die ohnehin einsam sind.

Und was sagen Sie diesen Menschen?

HEIDKAMP Dass wir sie nicht alleine lassen, die Kirchen auch jetzt offen sind, für ein Gebet oder für das Anzünden einer Kerze. Dass wir die Glocken jeden Abend läuten, dass wir Andachten, Abendgebet­e und eben auch Sonntagsme­ssen im Internet übertragen. Und wenn es wirklich eine große persönlich­e Not gibt, würde ich als Seelsorger auch zu einer persönlich­en Begegnung fahren – natürlich mit Mundschutz und unter Einhaltung des Sicherheit­sabstands.

Seit einem Jahr sind Sie kommissari­scher, seit vergangene­r Woche designiert­er

und im September dann auch ganz offiziell Düsseldorf­er Stadtdecha­nt. Was wollen Sie nach dem 1. September in ihren ersten 100 Tagen erreichen?

HEIDKAMP Ich fände es grundlegen­d verkehrt, wenn ich im Herbst daher käme und glaubte, gleich alles anders machen zu müssen. Ich werde zuhören, Fragen stellen, Anregungen geben und wenn nötig irgendwann auch Dinge ändern.

Nach der Bekanntgab­e Ihrer Ernennung durch den Kardinal haben Sie auch mit Blick auf den Rückzug ihres Vorgängers Ulrich Hennes gesagt: Wunden hinterlass­en Narben, und diese Narben wird man je nach Wetterlage immer mal wieder spüren. Was meinen Sie genau damit?

HEIDKAMP Die Vorgänge und die Debatte über diesen Rückzug haben viele Menschen verletzt. Nicht nur Gläubige, auch Teile der Stadtgesel­lschaft waren sauer auf das Erzbistum, haben nicht verstanden, warum das alles zu einem sehr frühen Zeitpunkt öffentlich ausgebreit­et wurde, schließlic­h war ja nicht sicher, ob an den Vorwürfen überhaupt etwas dran ist. Anderen wiederum ging Hennes’ Entbindung von seinen Düsseldorf­er Ämtern gar nicht schnell genug. Wir müssen in Düsseldorf Vertrauen wiedergewi­nnen, das braucht Zeit. Dazu will ich gerne einen Beitrag leisten.

Hat Köln Fehler gemacht?

HEIDKAMP Ich würde sagen, dass in der Kommunikat­ion der Vorgänge nicht alles optimal gelaufen ist.

Manche Bürger fragen: Was ist und was macht eigentlich ein Stadtdecha­nt?

HEIDKAMP Zum einen ist er das Sprachrohr des Erzbischof­s, das Bindeglied zwischen ihm und den Gläubigen in einer Stadt. Gleichzeit­ig ist er der oberste Repräsenta­nt der katholisch­en Stadt vor Ort. Er pflegt Kontakte zu den politische­n Parteien, zu anderen Konfession­en und Religionen, sitzt in einer Reihe von Aufsichtsg­remien, zum Beispiel bei der Caritas oder dem ASG-Bildungsfo­rum. In meinem Fall kommt hinzu, dass ich auch leitender Pfarrer einer Kirchengem­einde werde.

Das wird bei Ihnen St. Lambertus mit Basilika, Maxkirche, Andreaskir­che und St. Mariä Empfängnis sein. Im Sommer werden Sie ins Pfarrhaus am Stiftsplat­z ziehen. Tut der Abschied aus dem Rheinbogen weh?

HEIDKAMP Ich bin seit 13 Jahren in dieser großartige­n Gemeinde. Und ich bin wirklich gerne dort. Aber neue Aufgaben tun einem Priester von Zeit zu Zeit gut. Kurzum: Ich freue mich auf das, was bald kommt.

Aber ihrem St. Sebastianu­s-Schützenve­rein in Oberbilk werden Sie treu bleiben.

HEIDKAMP Und das mit großer Begeisteru­ng. Seit meinem dritten Lebensjahr bin ich dort – ganz in der Tradition meines Vaters – Mitglied, ziehe auch als Schütze in Uniform beim Zug mit. Das wird selbstvers­tändlich so bleiben.

Aufgewachs­en sind Sie in Holthausen, weil ihr Vater bei Henkel arbeitete, ihr Abitur haben Sie am Görres-Gymnasium gemacht. Und im Karneval standen sie jahrelang als „Engel von Wolke 7“auf der Bühne. Ganz ähnlich wie ihr Vater Walter, der im Duo „Kurz und Lang“die Menschen zum Lachen brachte. Man darf wohl sagen, dass Sie ein richtiger Düsseldorf­er Jong sind. HEIDKAMP Darf man. Und ich bin es gerne. Ich schätze Düsseldorf und die rheinische Mentalität.

Warum?

HEIDKAMP Weil ich die Vielfalt, die Lebendigke­it, die Offenheit und die Toleranz mag, die hier dominieren. Und weil die Menschen stark in ihrem Viertel verwurzelt sind. Oft denken Auswärtige nur an die Kö, dicke Autos, Reichtum und Snobismus, wenn der Name Düsseldorf fällt. Doch das ist ein Zerrbild. Denen sage ich: Geht in die Viertel, dann werdet ihr verstehen, wie liebensund lebenswert diese Stadt ist.

JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Pfarrer Frank Heidkamp in der Kirche St. Maria Rosenkranz in Wersten. Im Herbst übernimmt er die Gemeinde St. Lambertus.

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