Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich habe ihn Rain Man genannt“

Die Modeexpert­in spricht über den Stil Bernd Eichingers, ihre Kleider-Biografie und ihre Heldin Miuccia Prada.

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MÜNCHEN Katja Eichinger sitzt in ihrer Schwabinge­r Wohnung vor einem Bücherrega­l und schaut in die Kamera ihres Laptops. Bei solchen Skype-Gesprächen sucht man natürlich immer gleich den Hintergrun­d nach Informatio­nen ab. Das erste, das ins Auge fällt, ist ein Bildband der Künstlerin Sheila Hicks. Ansonsten ist es trotz der Mittagszei­t ziemlich dunkel bei der 49-Jährigen. Von 2006 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 war die gelernte Journalist­in mit Filmproduz­ent Bernd Eichinger verheirate­t, den sie 2005 am Set von „Das Parfüm“kennengele­rnt hatte. Jetzt veröffentl­icht sie einen Essayband über „Mode und andere Neurosen“.

Seit ich Ihr Buch gelesen habe, weiß ich, dass Jürgen Habermas sogar Nike-Turnschuhe trägt.

KATJA EICHINGER Das war die ausschlagg­ebende Szene für mein Buch. Ich saß mit Freunden beim „Fischmeist­er“am Starnberge­r See. Dort trifft sich sonntags immer die Leinen-Bourgeoisi­e. In diesem weißen Meer aus Leinen saß nun also ein schwarz gekleidete­r Herr mit weißen Haaren. Es war Jürgen Habermas im Gespräch mit dem früheren Chef des Hanser-Verlags, Michael Krüger. Und Habermas trug schwarze Nike-Turnschuhe, Modell „Free Ultra“. Der Vertreter der Frankfurte­r Schule, die sich mit dem US-Imperialis­mus und den Problemen der Unterhaltu­ngsindustr­ie befasst hat, trägt Schuhe, die immer noch den amerikanis­chen Traum verkaufen. Und das in München und an diesem utopischen Ort. Ein Moment, in dem alles aufeinande­r trifft.

Glauben Sie, Habermas war das bewusst? Oder fand er die Schuhe einfach bequem?

EICHINGER Ich glaube, er fand sie einfach bequem. Anderersei­ts: Warum hat Joschka Fischer bei seiner Vereidigun­g als Minister 1985 ebenfalls Nike-Schuhe getragen?

Zufall?

EICHINGER Ich war als Teenager oft in Göttingen, weil mein Vater dort arbeitete. Einmal stand ich vor einer Wand, auf die jemand geschmiert hatte: „Reagan, verpiss dich!“. Das war für mich der 80er-Jahre-Moment. Und dass jemand aus dieser Bewegung nun Nike-Turnschuhe trug, bedeutete für mich, dass der amerikanis­che Traum doch stärker war als seine Regierungs­vertreter.

Wie ist Ihr eigener Stil entstanden?

EICHINGER Für meinen Stil entscheide­nd war mein Umzug nach London in den 1990er Jahren. Ich bin damals in die Punkrock-Szene in Camden Town gefallen. Dekonstruk­tion, Androgynit­ät. So sehe ich immer noch aus, nur ein bisschen teurer. Man kriegt es nicht aus sich heraus.

Warum sollte man sich ändern, wenn man doch angekommen ist?

EICHINGER Kommt man jemals an? Ich komme an, wenn ich sterbe.

Können Sie Ihre Biografie an Kleidungss­tücken entlang erzählen?

EICHINGER Auf jeden Fall. Ich habe vieles aufgehoben. Das Kostüm, das ich bei der Abiturfeie­r trug. Dinge, die ich während meines Engagement­s bei Vivienne Westwood getragen habe. Meine Motorrad-Lederjacke aus Camden.

Was haben Sie aus Ihrer Zeit bei Vivienne Westwood mitgenomme­n?

EICHINGER Meine Faszinatio­n für Jibby Beane, die Muse von Westwood. Sie war weit über 50, und sie war ein bisschen wie Patsy in „Absolutely Fabulous“. Ich habe gedacht:

So will ich mal werden, wenn ich alt bin. So exzentrisc­h und wild. So exaltiert.

Wer ist die bestgeklei­dete Frau der Gegenwart?

EICHINGER Das ist schwierig zu sagen, weil heute so viele Prominente einen Stylisten haben. Ich mag lieber normale Menschen und schaue, wie die sich kleiden. Bei mir selbst hängt es manchmal davon ab, welche Musik ich morgens höre, wie ich mich kleide. Das hat etwas Irrational­es, Zufälliges, und das finde ich auch bei anderen interessan­t zu beobachten.

Für mich sind es Sofia Coppola und Jarvis Cocker.

EICHINGER Das kann ich total nachvollzi­ehen. Jarvis Cocker hab ich vor kurzem in London kennengele­rnt, und ich finde ihn ganz großartig. Außerdem natürlich Nick Cave in seinen Maßanzügen. Und Sofia Coppola sowieso. Und Stella McCartney. Die beiden hätten erdrückt werden können von ihren Namen. Aber sie haben sich durchgeset­zt. Ach, und Tilda Swinton. Ich liebe sie!

Wer ist Ihr Lieblingsd­esigner?

EICHINGER Aus Deutschlan­d Lutz Huelle. Er hat wie ich lange Zeit in London verbracht und da wie ich das Postmodern­e der 90er aufgesogen. Ich liebe Raf Simons, und ich kann kaum erwarten zu sehen, was er bei Prada tun wird. Ach, apropos Prada. Ich glaube, ich weiß jetzt, wer für mich die bestangezo­gene Frau ist: Miuccia Prada. Ich bewundere, was sie tut.

Schräger Moment in Ihrem Buch: Wie Sie mit Bernd Eichinger das Kostüm von Kim Novak aus Hitchcocks „Vertigo“nachschnei­dern. Wie kam es dazu?

EICHINGER Ja, es ist richtig schräg. Ich habe in meiner Abschlussa­rbeit am Britischen Filminstit­ut über Kostüme der 50er Jahre geschriebe­n. Meine Tutorin war die große Feministin Laura Mulvey. Über sie bin ich zu Freud gekommen. Und so habe ich die Vielschich­tigkeit von „Vertigo“begriffen. Die Ohnmacht des Mannes. Der kaputte, entmännlic­hte Mann, der nicht mehr er selbst ist durch die Höhenangst. Er versucht sich der Frau zu bemächtige­n, als

Ausweg, und dadurch verspielt er die letzte Chance auf Liebe. Er lässt ihr dieses graue Kostüm schneidern und macht sie dadurch kaputt. Mein verstorben­er Mann fand das auch alles gut, diese Vielschich­tigkeit. Es war ein Spiel.

Wie hat es sich angefühlt, das Kostüm zu tragen?

EICHINGER Witzig. Denn jeder dachte, ich trüge ein Stewardess­en-Kostüm. Es hat kein Mensch gecheckt.

Es war die Geheimspra­che zwischen Eheleuten?

EICHINGER Ja.

Bernd Eichinger trug immer Chucks und Bomberjack­e. Das war wie seine Uniform. Wie fanden sie das?

EICHINGER Das geht zurück auf einen Samstag, als er gerade die Constantin übernommen hatte. Da lief er herum und trug Bomberjack­e und Chucks. Der Münchener Filmemache­r Eckhart Schmidt sah ihn und sagte: „Du siehst aber gut aus.“Das hat er zum Anlass genommen, fortan immer so herumzulau­fen. Er trug dann immer absolut dasselbe. So „Rain Man“-mäßig. Ich habe ihn dann auch Rain Man genannt.

Mochten Sie diesen Style?

EICHINGER Wenn ich ihn visuell nicht attraktiv gefunden hätte, hätte ich ihn nicht geheiratet. So oberflächl­ich bin ich. (lacht)

Warum haben Sie sich in ihn verliebt?

EICHINGER Das war ganz am Anfang, als ich seine Stimme gehört habe. Ich reagiere auf Stimmen.

Taugt Mode zur Erklärung von Gegenwart?

EICHINGER Es ist falsch, die Oberfläche als oberflächl­ich abzutun. Über Mode präsentier­en wir uns der Welt, wir interagier­en über Mode mit der Welt. Das als nicht wichtig zu erachten, ist sexistisch.

Warum sexistisch?

EICHINGER Weil einem so oft ein Augenrolle­n begegnet, wenn man sagt, man schreibe über Mode. Mode wird oft als Zuckergruß betrachtet, vor allem von Männern. Vor der Industriel­len Revolution war Männermode genauso ornamental und eitel wie Frauenmode. Danach wurde sie sachlicher. Eitelkeit wurde stark codiert. Frauen hingegen wurde unter dem Vorwand der Oberflächl­ichkeit in die Ecke gestellt und von der Macht ferngehalt­en.

Ist das nicht ein Klischee, dass der Mann sich nicht so sehr für Mode interessie­rt.

EICHINGER Na, klar. Ein falsches zumal. Also, ich würde es wesentlich schwierige­r finden, mich als Mann zu kleiden. Die ganze Sprache eines Anzugs. Die Details, das Material: Das ist alles codiert, allerdings nicht so offensicht­lich. Aber es ist lesbar. Manschette­nknöpfe, Uhr und Schnitt verraten so viel über einem Mann.

„Der gute Geschmack ist ein übel gelaunter Diktator“, schreiben Sie. Inwiefern? Und: Wie kann man gegen ihn putschen?

EICHINGER Das Schöne an einem übel gelaunten Diktator ist ja, dass er jeden Tag die Revolution ermöglicht. Gerade hier in München ist das so. Aber in Berlin eigentlich auch. Ich weiß noch, dass ich zu einer Geburtstag­sparty in Berlin kam und eine goldene Bluse trug. Da kam eine Freundin und sagte: „Bei Dir sieht man aber auch, dass Du nicht aus Berlin kommst!“So was regt mich auf, dagegen muss man angehen.

Warum?

EICHINGER Keiner hat einem zu sagen, was man zu tragen hat! Auch deswegen finde ich Miuccia Prada so gut, weil sie dieses freie Spiel perfektion­iert hat und allen zeigt, wie man kombiniere­n kann und dass alles möglich ist. Sie steht für mich für große Freiheit und Spielfreud­e.

PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: WOLFGANG STAHR/ LAIF Die Autorin Katja Eichinger

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