Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Von den Toten lernen
Bis vor Kurzem hatte das Robert-Koch-Institut noch davon abgeraten, verstorbene Corona-Patienten zu obduzieren. Nach der Kritik von Pathologen schwenkte das RKI um, denn die Leichenschau liefert wichtige Erkenntnisse für die Lebenden.
DÜSSELDORF Seziert wurde schon im alten Ägypten. 2700 vor Christus war es Imhotep, der seinen Heilkundlern auftrug, einen Blick in das Innerste des Menschen zu werfen. Das Öffnen von Leichen ist seit Anbeginn der Medizin untrennbar mit der Heilung der Lebenden verbunden. Dort, wo die Pathologie stark ist, ist das Fachwissen für Therapie und Prävention zumeist größer. Und gerade in Krisenzeiten wie diesen kann Wissen einen Ausweg bedeuten.
Noch bis vor zwei Wochen hatte das Robert-Koch-Institut von Obduktionen an verstorbenen Corona-Infizierten abgeraten. In einer entsprechenden Empfehlung hieß es: „Eine innere Leichenschau, Autopsie oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten vermieden werden.“Aerosole sind kleinste Tröpfchenwolken, die beim Niesen und Husten entstehen, aber eben auch bei Obduktionen. Der Aufschrei der Pathologen folgte prompt. Die Obduktion in diesen Fällen sei von hohem öffentlichen Interesse, schrieb der Bundesverband der Berufsgruppe
in einer Mitteilung. Das RKI passte seine Empfehlungen daraufhin am 7. April an und schreibt seitdem, dass bei der Leichenschau besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssten.
In Deutschland sterben aktuell 30 Prozent der Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen liegen, wie das Deutsche Register der Intensivmediziner auf seiner Website mitteilt. 87 Prozent aller Toten sind 70
Jahre alt oder älter. Rund 200 verstorbene Corona-Patienten sind bisher obduziert worden, schätzt der Bundesverband Deutscher Pathologen. Die Ergebnisse der Obduktionen sollen in einem zentralen Register der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen gesammelt werden.
Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel hatte schon früh damit begonnen, verstorbene Corona-Patienten
zu obduzieren – ungeachtet der anfänglichen Empfehlungen des RKI. Einen Bericht mit seinen Erkenntnissen schickte Püschel an das Hamburger Gesundheitsministerium. Die Quintessenz war: Nahezu alle der 65 untersuchten Verstorbenen hatten Vorerkrankungen. In den meisten Fällen waren das Herz- oder Lungenleiden. Aber auch Demenz, Übergewicht und Diabetes kamen vor.
Zu einem ähnlichen Befund kommt eine Auswertung der Nationalen Gesundheitsbehörde Italiens. Die Behörde listet die Vorerkrankungen von 1738 Patienten auf, die im Krankenhaus gestorben waren. Die Daten basieren auf Krankendaten, nicht auf Obduktionen. Demnach hatten 96,4 Prozent der Toten mindestens eine Vorerkrankung, hauptsächlich eine kardiovaskuläre, etwa Bluthochdruck.
Den Pathologen geht es aber nicht nur darum, zu erfahren, welche Vorerkrankungen die Verstorbenen hatten. „Die Frage, ob ein Mensch an oder mit dem Virus gestorben ist, ist für uns eher unerheblich“, sagt Karl-Friedrich Bürrig, Präsident des Bundesverbands Deutscher Pathologen: „Ein Basler Kollege hat jüngst mal gesagt: ,Wenn ich als Krebskranker noch ein halbes Jahr zu leben habe und mich überfährt ein Auto, dann mindert meine Krebserkrankung auch nicht die Schuld des Autofahrers.‘“
Püschels Studie sei wichtig, betont Bürrig. „Ich hoffe, dass er seine Ergebnisse mit dem Covid-19-Register an der RWTH Aachen teilt, denn die Untersuchungen müssen noch tiefer gehen. Püschel beschäftigt sich als Rechtsmediziner sozusagen intensiv mit dem letzten Kapitel eines Buchs. Wir Pathologen wollen aber das ganze Buch lesen. Dafür brauchen wir feingewebliches Material, das wir untersuchen.“Nur so könne man verstehen, wie das Virus im Körper wütet und was daraus für Erkenntnisse gezogen werden könnten.
Vieles sei noch nicht klinisch zu erklären, sagt der Chefpathologe. „Bisher ist das Hauptaugenmerk
auf die Lungen gerichtet. Doch wir wissen mittlerweile, dass auch das zentrale Nervensystem betroffen ist. So könnte sich der Verlust des Geschmacksund Geruchssinns erklären, den viele Patienten beschreiben. Auch eine Beeinträchtigung des Herzens ist schon berichtet worden.“In der Fachzeitschrift „Lancet“schreiben Pathologen der Universität Zürich von Hinweisen auf Gefäßentzündungen in verschiedenen Organen. Es wurden allerdings nur zwei Verstorbene und ein Überlebender untersucht.
Wie wichtig die Erkenntnisse aus der Leichenschau für die aktuelle Behandlung sind, weiß Bürrig aus seiner Zeit an der Uniklinik Düsseldorf. „Ich habe damals Aidskranke obduziert. Wir stießen dabei auf viele ungewöhnliche Infektionen durch Keime, die Menschen ohne HIV-Infekt nur ganz selten betreffen.“Die Entdeckungen kamen später der Therapie Aidskranker zugute.