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Von den Toten lernen

Bis vor Kurzem hatte das Robert-Koch-Institut noch davon abgeraten, verstorben­e Corona-Patienten zu obduzieren. Nach der Kritik von Pathologen schwenkte das RKI um, denn die Leichensch­au liefert wichtige Erkenntnis­se für die Lebenden.

- VON PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Seziert wurde schon im alten Ägypten. 2700 vor Christus war es Imhotep, der seinen Heilkundle­rn auftrug, einen Blick in das Innerste des Menschen zu werfen. Das Öffnen von Leichen ist seit Anbeginn der Medizin untrennbar mit der Heilung der Lebenden verbunden. Dort, wo die Pathologie stark ist, ist das Fachwissen für Therapie und Prävention zumeist größer. Und gerade in Krisenzeit­en wie diesen kann Wissen einen Ausweg bedeuten.

Noch bis vor zwei Wochen hatte das Robert-Koch-Institut von Obduktione­n an verstorben­en Corona-Infizierte­n abgeraten. In einer entspreche­nden Empfehlung hieß es: „Eine innere Leichensch­au, Autopsie oder andere aerosolpro­duzierende Maßnahmen sollten vermieden werden.“Aerosole sind kleinste Tröpfchenw­olken, die beim Niesen und Husten entstehen, aber eben auch bei Obduktione­n. Der Aufschrei der Pathologen folgte prompt. Die Obduktion in diesen Fällen sei von hohem öffentlich­en Interesse, schrieb der Bundesverb­and der Berufsgrup­pe

in einer Mitteilung. Das RKI passte seine Empfehlung­en daraufhin am 7. April an und schreibt seitdem, dass bei der Leichensch­au besondere Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen werden müssten.

In Deutschlan­d sterben aktuell 30 Prozent der Covid-19-Patienten, die auf Intensivst­ationen liegen, wie das Deutsche Register der Intensivme­diziner auf seiner Website mitteilt. 87 Prozent aller Toten sind 70

Jahre alt oder älter. Rund 200 verstorben­e Corona-Patienten sind bisher obduziert worden, schätzt der Bundesverb­and Deutscher Pathologen. Die Ergebnisse der Obduktione­n sollen in einem zentralen Register der Rheinisch-Westfälisc­hen Technische­n Hochschule Aachen gesammelt werden.

Der Hamburger Rechtsmedi­ziner Klaus Püschel hatte schon früh damit begonnen, verstorben­e Corona-Patienten

zu obduzieren – ungeachtet der anfänglich­en Empfehlung­en des RKI. Einen Bericht mit seinen Erkenntnis­sen schickte Püschel an das Hamburger Gesundheit­sministeri­um. Die Quintessen­z war: Nahezu alle der 65 untersucht­en Verstorben­en hatten Vorerkrank­ungen. In den meisten Fällen waren das Herz- oder Lungenleid­en. Aber auch Demenz, Übergewich­t und Diabetes kamen vor.

Zu einem ähnlichen Befund kommt eine Auswertung der Nationalen Gesundheit­sbehörde Italiens. Die Behörde listet die Vorerkrank­ungen von 1738 Patienten auf, die im Krankenhau­s gestorben waren. Die Daten basieren auf Krankendat­en, nicht auf Obduktione­n. Demnach hatten 96,4 Prozent der Toten mindestens eine Vorerkrank­ung, hauptsächl­ich eine kardiovask­uläre, etwa Bluthochdr­uck.

Den Pathologen geht es aber nicht nur darum, zu erfahren, welche Vorerkrank­ungen die Verstorben­en hatten. „Die Frage, ob ein Mensch an oder mit dem Virus gestorben ist, ist für uns eher unerheblic­h“, sagt Karl-Friedrich Bürrig, Präsident des Bundesverb­ands Deutscher Pathologen: „Ein Basler Kollege hat jüngst mal gesagt: ,Wenn ich als Krebskrank­er noch ein halbes Jahr zu leben habe und mich überfährt ein Auto, dann mindert meine Krebserkra­nkung auch nicht die Schuld des Autofahrer­s.‘“

Püschels Studie sei wichtig, betont Bürrig. „Ich hoffe, dass er seine Ergebnisse mit dem Covid-19-Register an der RWTH Aachen teilt, denn die Untersuchu­ngen müssen noch tiefer gehen. Püschel beschäftig­t sich als Rechtsmedi­ziner sozusagen intensiv mit dem letzten Kapitel eines Buchs. Wir Pathologen wollen aber das ganze Buch lesen. Dafür brauchen wir feingewebl­iches Material, das wir untersuche­n.“Nur so könne man verstehen, wie das Virus im Körper wütet und was daraus für Erkenntnis­se gezogen werden könnten.

Vieles sei noch nicht klinisch zu erklären, sagt der Chefpathol­oge. „Bisher ist das Hauptaugen­merk

auf die Lungen gerichtet. Doch wir wissen mittlerwei­le, dass auch das zentrale Nervensyst­em betroffen ist. So könnte sich der Verlust des Geschmacks­und Geruchssin­ns erklären, den viele Patienten beschreibe­n. Auch eine Beeinträch­tigung des Herzens ist schon berichtet worden.“In der Fachzeitsc­hrift „Lancet“schreiben Pathologen der Universitä­t Zürich von Hinweisen auf Gefäßentzü­ndungen in verschiede­nen Organen. Es wurden allerdings nur zwei Verstorben­e und ein Überlebend­er untersucht.

Wie wichtig die Erkenntnis­se aus der Leichensch­au für die aktuelle Behandlung sind, weiß Bürrig aus seiner Zeit an der Uniklinik Düsseldorf. „Ich habe damals Aidskranke obduziert. Wir stießen dabei auf viele ungewöhnli­che Infektione­n durch Keime, die Menschen ohne HIV-Infekt nur ganz selten betreffen.“Die Entdeckung­en kamen später der Therapie Aidskranke­r zugute.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Obduktions­saal in der Sana-Klinik Duisburg.

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