Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Corona-Zeit ist Transfer-Zeit
Das Virus hat den Spielbetrieb zum Erliegen gebracht, doch das Geschäft um Spielerwechsel, Verträge und Ablösesummen geht weiter. Begehrte Fußballer auf dem globalen Markt: Kai Havertz, Timo Werner und Leroy Sané.
DÜSSELDORF Der Deutschland-Chef von Vodafone freut sich. „Wir sehen bei Telefonie einen Anstieg um 50 Prozent im Mobilfunk und im Festnetz“, sagt Hannes Ametsreiter im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Corona-Krise hat mit dem Rückzug aller Beteiligten ins Homeoffice dafür gesorgt. Niemand weiß, wie groß der Anteil der Fußball-Funktionäre an der wachsenden Zahl von Telefongesprächen ist. Aber es ist bestimmt keine verwegene Behauptung, wenn man sagt: sehr groß. Denn die Krise hat zwar den Spielbetrieb zum Erliegen gebracht, das Geschäft jedoch läuft weiter. Vor allem das Geschäft um Wechsel, um Verträge. Coronazeit ist Transferzeit.
Gegenteilige Behauptungen ändern daran nichts. Der berühmte Spielerberater Reza Fazeli (unter anderem Betreuer von Mario Götze und Emre Can) beteuert im „Kicker“: „Zurzeit ist der Transfermarkt im wahrsten Sinne des Wortes geschlossen.“Doch er weiß, dass das allenfalls die halbe Wahrheit ist. Auch wenn die Fifa das Transferfenster wegen der Pandemie über den Sommer hinaus öffnen will und deshalb feste Abschlüsse noch in weiter Ferne liegen, wird am Telefon oder in Videokonferenzen natürlich gefeilscht, was das Zeug hält. Keiner weiß das besser als ein Agent wie Fazeli.
Der ehemalige Medizinstudent hat auch ganz klare Vorstellungen, wie das Coronavirus den Markt verändern wird, wie es ihn bereits verändert hat. Die erzwungene neue Bescheidenheit im Umgang mit den großen Zahlen, wie sie derzeit in jeder zweiten Sonntagsrede der Branche betont wird, hält Fazeli für ein allenfalls vorübergehendes Phänomen. Es werde wohl „mehr Bereitschaft zu Kompromissen und in diesem Jahr keine sechs, sieben Transfers über 100 Millionen Euro geben“, glaubt er, aber „ich kann garantieren, dass es für Weltklassespieler einen Markt geben wird, weil mit diesen Spielern auch am meisten verdient wird“.
Dem vorübergehend einstigen gelobten Land der wunderbaren Geldvermehrung kommt in dieser Hinsicht
eine besondere Bedeutung zu. Die englische Premier League wird den Markt wieder in Bewegung bringen. Davon ist die gesamte Branche überzeugt. Der Mainzer Sportvorstand Rouven Schröder hat das – ebenfalls im Fachblatt „Kicker“– anschaulich dargestellt. Die Frage für alle sei, „wann kommt Geld in den Markt, investiert zunächst die Premier League als finanzstärkste
Liga?“Und dann gelte wie seit jeher dieses Gesetz: „Der globale Fußballzirkus wird über die Big Player wieder angeschoben.“Die Kleinen wie Mainz halten sich nach guter alter Gewohnheit zurück und ernähren sich schließlich von dem, was vom Tisch der Großen fällt. Vielleicht etwas zurückhaltender als bisher, aber immer noch an der gleichen Stelle in der Hierarchie.
Die Großen bewegen sich bereits, auch wenn sie wie Fazeli das Gegenteil behaupten. So hat Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge vor Wochen festgestellt, die Corona-Krise lege sämtliche Transferaktivitäten auf Eis. Dennoch wird am Team der nächsten Saison gearbeitet. Neben einem „Toptalent aus Europa“will der Rekordmeister „einen internationalen Star nach München bringen, der die Qualität unserer Mannschaft hebt“, sagte Bayern-Sportdirektor Hasan Salihamidzic gerade erst in der „Welt am Sonntag“.
Wie viele große Klubs in Europa befassen sich die Münchner vor allem mit drei Namen: Kai Havertz, Timo Werner und Leroy Sané. Havertz (Bayer Leverkusen) wird sehr aufmerksam vom FC Liverpool und vom Münchner Bundesliga-Rivalen Borussia Dortmund beobachtet. Werner (RB Leipzig) steht auf der Liverpooler Liste, der FC Barcelona und Real Madrid sind ebenfalls interessiert, Sané gehört bei Manchester City zu den Großverdienern. Das macht es für die Bayern nicht leichter. Und sie täuschen sich vermutlich, wenn sie glauben, dass die Krise die Preise enorm in den Keller drücken wird. Das erwartet offenbar Manchester United, das mit Jadon Sancho (Borussia Dortmund) über einen Wechsel bis in die Gehaltsdetails einig sein soll, wie die englische Zeitung „Sun“berichtet. Die entscheidende Größe haben die Engländer aber noch nicht auf der Rechnung, Sanchos derzeitigen Arbeitgeber. Dessen Geschäftsführer
Hans-Joachim Watzke erklärt in der „Bildzeitung“: „Unsere liebste Vorstellung ist, dass Jadon weiter bei uns bleibt. Klar kann ich sagen, dass selbst die ganz reichen Vereine trotz der existenziellen Krise nicht glauben müssen, dass sie bei uns auf Schnäppchentour gehen können.“So verhandelt man im Telefoninterview über Bande. In Manchester wissen sie nun, woran sie sind. Und in München auch, denn niemand bei Bayer Leverkusen wird Havertz leichtfertig und für vermeintlich „kleines“Geld ziehen lassen.
Das ist für Fazeli sicher. „Beide Klubs sind nicht auf einen Verkauf angewiesen“, sagt der Spielerberater, „also wird Dortmund nur zustimmen, wenn der Preis stimmt. Die Erwartung ist eine dreistellige Millionenhöhe. Und Leverkusen wird einen Havertz, für den in der vorigen Saison eine dreistellige Millionensumme möglich war, nicht für 60 oder 70 Millionen abgeben.“Im unwahrscheinlichsten Fall also wird sich nichts bewegen. Wahrscheinlicher aber ist, dass das Wettbieten um die (wenigen) besonders guten Fußballer auch in und nach der Krise anhalten wird.
Noch ist freilich nicht heraus, wie es den anderen ergehen wird, dem Durchschnitt. Eine kleine Ahnung davon, wie das Spiel in dieser Hinsicht laufen wird, bekommt zurzeit Sebastian Rudy. Als selten glänzender, aber stets enorm zuverlässiger Mittelfeldspieler schaffte er es in die Nationalmannschaft und zum FC Bayern. Dort hat er wie alle, die da arbeiten dürfen, sehr ordentlich verdient. Und das blieb so, als er zu Schalke 04 wechselte. Dann waren Rudys Dienste und seine Spielweise auf Schalke nicht mehr gefragt, auf Leihbasis ging er zur TSG Hoffenheim. Obwohl er ordentlich spielte, findet er in den Saisonplanungen der Hoffenheimer offensichtlich keinen Platz. Schalke muss ihn zurücknehmen, auch wenn er nicht mehr ins Konzept passt. Deshalb kann er sich ohne eigenes Verschulden ganz schnell zwischen allen Stühlen finden. Auch das macht die Corona-Krise. Sie erzieht vor allem den Durchschnitt zu Demut und Bescheidenheit.