Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kranke vermeiden Arzt- oder Klinikbesu­ch

Aus Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 nehmen viele Menschen zu spät ärztliche Hilfe in Anspruch. Das kann gefährlich sein.

- VON JULIA BRABECK, ANDREA RÖHRIG UND SEMIHA ÜNLÜ

DÜSSELDORF Trotz Krankheits­symptomen oder Schmerzen vermeiden zurzeit viele Düsseldorf­er den Gang zum Arzt – weil sie Ärzte und Pflegekräf­te nicht belasten wollen oder Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s haben. Das kann gefährlich sein: Im Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s beispielsw­eise ist nun ein Junge (10), der mit heftigsten Bauchschme­rzen zuhause auf Besserung hoffte, eingeliefe­rt worden. Die Eltern hatten aus Sorge vor einer Infektion die Vorstellun­g beim Kinderarzt vermieden. Im Kaiserswer­ther Krankenhau­s ist dann eine fortgeschr­ittene Blinddarme­ntzündung mit Sepsis diagnostiz­iert worden. Das Kind wurde sofort operiert.

Auch die Ärzte an den Häusern des Verbunds Katholisch­er Kliniken (VKKD), zu denen etwa das St. Vinzenz-Krankenhau­s gehört, berichten, dass viele dringend behandlung­sbedürftig­e Patienten viel zu spät die Kliniken aufsuchten. „Bei einer unserer Patientinn­en hätte ein Herzinfark­t viel früher diagnostiz­iert werden können, wenn diese eher zu ihren Hausarzt gegangen wäre. Das hatte sie aber aus Angst vor Ansteckung unterlasse­n“, sagt Rolf Michael Klein, Chefarzt der Klinik für Kardiologi­e im Augusta Krankenhau­s. Besorgt ist auch Monika

Gappa, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin am Evangelisc­hen Krankenhau­s (EVK): „Wir haben tatsächlic­h aktuell viel weniger Patienten in unserer Kinderklin­ik und diese sind meist sogar eher kränker, weil die Eltern zu lange Sorge hatte, zum Kinderarzt zu gehen oder in ein Krankenhau­s zu kommen.“

Die Zentrale Notaufnahm­e der Uniklinik verzeichne­t einen Rückgang der sich dort vorstellen­den Patienten zwischen 30 und 50 Prozent. 70 bis 90 Patienten kommen aktuell pro Tag. Üblicherwe­ise liegt der Durchschni­tt zwischen 120 und 140. Ähnlich sieht es am EVK aus. Vom 1. bis 22. April kamen nur knapp 1000 Patienten in die Zentrale Notaufnahm­e, sagt eine Sprecherin: Im Vorjahresz­eitraum seien es noch knapp 2000 gewesen. Diese Entwicklun­g werde mit großer Sorge beobachtet: „Wir befürchten, dass Patienten zum Beispiel ihre Herzerkran­kung nicht ernst nehmen und sie somit verschlepp­en.“

Die Mediziner könnten die Angst der Menschen vor einer Virus-Infektion verstehen. Sie weisen aber darauf hin, dass diese unbegründe­t und die Notfallver­sorgung gesichert sei. „Wir sind sehr gut organisier­t, um Patienten unter Einhaltung aller Schutzmaßn­ahmen weiterhin bestmöglic­h und sicher zu versorgen“, sagt Martin Pin, Chefarzt der Notaufnahm­e

am Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s. Patienten können weiter telefonisc­hen Kontakt mit den Ambulanzen halten, um die Notwendigk­eit eines Eingriffs mit Ärzten zu besprechen und sich zur Anamnese persönlich vorzustell­en. „Hausärzte haben auch nach wie vor die Möglichkei­t, Patienten vorzustell­en“, sagt VKKD-Sprecher Martin Schicht.

Kapazitäte­n, um Patienten zu behandeln, seien ausreichen­d vorhanden. Denn auch ein Erlass des Gesundheit­sministeri­ums sorgt zusätzlich für leere Krankenhau­sbetten. Demnach sollen Kliniken seit Mitte März – soweit medizinisc­h vertretbar – grundsätzl­ich alle planbaren Aufnahmen, Operatione­n und Eingriffe verschiebe­n, damit ausreichen­d Kapazitäte­n für die Behandlung von Covid-19-Patienten bereit stehen. Krankenhäu­ser hätten aber einen „Ermessenss­pielraum, um zum Beispiel weiterhin Schmerzpat­ienten, akute orthopädis­che Fälle oder tumorbedin­gte Operatione­n sicherstel­len zu können“, sagt Martin Schicht. Bei der OP-Planung gelte es aber, die geforderte­n 25 bis 30 Prozent der Intensivka­pazitäten frei zu halten, sagt Holger Stiller, Direktor am Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s. Das erklärt, warum etwa im VKKD im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum

eine geringere Belegung von 25 bis 30 Prozent besteht, zumal durch die Einrichtun­g von Isoliersta­tionen auch weniger Betten bereit stehen. Am EVK liege die Belegquote der Betten zurzeit bei gut 40 Prozent. Die Uniklinik verzeichne­t zwischenze­itlich über 400 leer stehende Betten. Das entspricht der Kapazität eines mittelgroß­en Krankenhau­ses.

Die geringe Auslastung belastet die Häuser auch wirtschaft­lich. „Das ist auf der finanziell­en Seite eine sehr große Herausford­erung, weil die Einnahmen aus der Patientenv­ersorgung fehlen, dient aber letztlich dazu, einen kurzfristi­g eintretend­en Infektions­ausbruch mit vielen schwer betroffene­n Patienten von der Kapazität her bewältigen zu können“, sagt Sprecher Jörn Grabert. So befürchten einige Mediziner, dass es nach den Lockerunge­n der vergangene­n Tage einen Anstieg der Infektione­n geben kann. Wie groß die Verluste aufgrund der Verschiebu­ng von planbaren Operatione­n und der Vorhaltung von freien Kapazitäte­n am Ende sein werden, können die Krankenhäu­ser zum gegenwärti­gen Zeitpunkt nicht beziffern. „Wir haben große Sorge, dass der vom Bundestag verabschie­dete Schutzschi­rm die Verluste der Krankenhäu­ser nicht auffangen wird“, sagt Schicht. Ob und wie es dafür einen Ausgleich gibt, ist noch unklar. „Es steht zu vermuten, dass der Rettungssc­hirm des Bundes nicht so gespannt ist, dass das, was wegbricht, eins zu eins ersetzt werden wird. Wahrschein­lich werden viele Krankenhäu­ser – völlig unabhängig von ihrer Trägerscha­ft – auf einem Defizit sitzen bleiben“, sagt Michael Weckmann, Geschäftsf­ührer der Sana-Standorte Gerresheim und Benrath.

Am Evangelisc­hen Krankenhau­s will man etwas dagegen zu tun. „Ab Montag, 26. April, planen wir unsere Behandlung­en und OPs langsam wieder hochzufahr­en, das heißt, geplante OPs und Therapien wieder zu starten“, sagt eine Sprecherin.

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