Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Herantasten an die neue Normalität
Italien lockert die Maßnahmen. Von seiner Lebendigkeit ist das Land weit entfernt.
ROM Es war kein Ansturm auf das vermeintlich alte Leben, eher ein vorsichtiges Herantasten an die neue Normalität. Am Montag wurden in Italien die infolge der Corona-Pandemie verhängten Sperrmaßnahmen deutlich gelockert. Mehr als vier Millionen Italiener konnten nach zwei Monaten Quarantäne die Arbeit wieder aufnehmen. Fabriken, Firmen, Büros und Bars öffneten teilweise wieder, der Verkehr nahm zu. Italien ist eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder, der Lockdown war hier besonders strikt.
Doch statt Chaos herrschte in allen Landesteilen am Montag eher untypische Übersichtlichkeit. Auf den Straßen allerdings waren mehr Fahrzeuge als bisher unterwegs, das Hupen der Autofahrer war wieder zu hören. In Mailand nahm der öffentliche Nahverkehr seine Dienste wieder voll auf. „Wir haben die Lage heute absolut unter Kontrolle“, sagte Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala. Am Hauptbahnhof bildeten sich wenige Schlangen für den Ticketerwerb, bei Reisenden wurde vor dem Zustieg Fieber gemessen. In Rom fuhr die Verkehrsgesellschaft den ÖPNV-Service auf 50 Prozent seiner Kapazität hoch.
Freude machte einigen Menschen am Montag die Tatsache, nach zwei Monaten erstmals wieder einen Caffè aus der Bar trinken zu können. Vor der Traditions-Bar Palombini in Rom kontrollierte ein Angestellter mit Mundschutz und Latexhandschuhen den Zugang. Auch hier kein Ansturm. Klienten waren zum Tragen von Mundschutz und zum Abstandhalten verpflichtet. Am mit Plexiglasschutz versehenen Tresen konnten Cappuccino und Espresso zum Mitnehmen im Pappbecher bestellt werden. „Endlich wieder ein richtiger Caffè“, sagte ein Kunde. „Den aus der Kaffeemaschine kann ich nicht mehr trinken.“Stammkunden erkundigten sich nach dem Wohlbefinden des Personals, das aufgrund der geringeren Kundschaft zu 90 Prozent beurlaubt ist.
Das berühmte Cafè Gambrinus in Neapel blieb wie die meisten Geschäfte im Land geschlossen. Die Betreiber beteiligten sich an einem Protest gegen die lange Schließung und die Konditionen zur Wiederaufnahme ohne Bewirtung im Inneren und ab Juni mit reduzierter Klientel und Abstandshaltern. Dieses Gefühl, noch Monate unter Ausnahme-Bedingungen tätig sein zu müssen, herrscht offenbar vielerorts in Italien vor, auch im Tourismus. In etwa Venedig sind weiterhin keine Urlauber zu sehen. „Die Hotel-Betreiber haben nach zwei Monaten Lockdown kein Geld mehr, wir rechnen für dieses Jahr mit bis zu 75 Prozent Umsatzeinbußen, das ist brutal“, sagte Maurizio Naro vom Mailänder Hoteliersverband.
Insbesondere aus Norditalien reisten viele Menschen nach zwei Monaten in ihre Heimatregionen im Süden. Auf Sizilien brachen Arbeiter in Richtung ihrer Arbeitgeber im Norden auf. In Messina bildeten sich Warteschlangen vor der Überfahrt per Fähre aufs Festland. An den Bahnhöfen im Land ging es jedoch geordnet zu. Passagiere trugen Schutzmasken, die meisten auch Latexhandschuhe. Diese Schutzmaßnahmen gehören nun zum Alltagsbild in Italien.
Insgesamt gleicht der zaghafte Neubeginn einem kollektiven Erwachen aus einem Koma. Wochenlang waren die Italiener Horrornachrichten im Zusammenhang mit dem Coronavirus und den Meldungen von schlimmen Bedingungen im Norden des Landes ausgesetzt. 29.000 Menschen starben in Italien an Covid-19. Seit Montag sind wieder Spaziergänge, der Besuch von Verwandten sowie Sport außer Haus möglich, im Sicherheitsabstand. Die Schulen öffnen erst im September wieder. Ministerpräsident Giuseppe Conte warnte: „So wie noch nie zuvor liegt die Zukunft des Landes in euren Händen“, schrieb er auf Facebook. Das sollte bedeuten: Wenn die Italiener sich an die Sicherheitsregeln halten, könnten weitere Lockerungen folgen. Sollte es zu neuen Corona-Ausbrüchen kommen, müssten sie rückgängig gemacht werden.