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Die deutsche Atomfrage

Nuklearwaf­fen raus aus Deutschlan­d? Oder an der Kontrolle über den Einsatz teilhaben? Darüber ist eine neue Debatte entbrannt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Sie heißt B61-12 und soll demnächst auch in der Eifel gelagert werden. Sie ist das Ergebnis eines acht Milliarden Dollar teuren Modernisie­rungsproje­kts der US-Streitkräf­te. Und sie bietet für Deutschlan­d ein erhebliche­s Potenzial auch an politische­r Sprengkraf­t. Die B61-12 ist die modernste Form taktischer Atomwaffen, die sich von strategisc­hen Nuklearsys­temen darin unterschei­den, dass sie weniger der abstrakten Vergeltung als vielmehr dem konkreten Einsatz auf dem Gefechtsfe­ld dienen. Die SPD-Linke will sie schon seit Langem aus Deutschlan­d verbannen. Nun hat SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich die damit verbundene „nukleare Teilhabe“Deutschlan­ds offiziell infrage gestellt.

Unter der Oberfläche gärt es bei dieser Frage seit vielen Jahren. Schon zu Zeiten von Außenminis­ter Guido Westerwell­e taten sich die Entwickler strategisc­her Konzepte schwer damit, das Eintreten für atomare Abrüstung in Einklang zu bringen mit dem Festhalten an Atomwaffen­stationier­ung in Deutschlan­d. Das Erbe Westerwell­es mit dem besonderen deutschen Interesse an einer nuklearwaf­fenfreien Welt belebt auch dessen Nach-Nach-Nachfolger Heiko Maas immer wieder neu. So rief er zur internatio­nalen Konferenz, um in drei Schritten die Atomgefahr­en zu verringern. Von der Offenlegun­g sollte es über den Dialog zur Reduzierun­g des Nuklearbes­tandes kommen. Zugleich betonte Maas, dass die nukleare Teilhabe Deutschlan­ds Teil der Sicherheit­sarchitekt­ur sei und dies bleiben werde.

Für linke Sicherheit­skonzepte ist die Gegnerscha­ft variabel. Mal soll die ganze Nato abgeschaff­t werden, mal nur Deutschlan­d aus dem Bündnis austreten. Mal soll Deutschlan­d aus der Entwicklun­g der Nato-Nuklearstr­ategie ausscheren, mal soll es weiter an der Diskussion teilnehmen, aber auf die Fähigkeit verzichten, die Nuklearwaf­fen auch selbst ins Ziel tragen zu können. Dies ist zumindest an Beispielen nachvollzi­ehbar: Auch Nato-Staaten wie Kanada,

auf deren Territoriu­m keine Atomwaffen einsatzber­eit gehalten werden, sprechen dennoch über die Strategie ihres Einsatzes in anderen Ländern mit.

Die SPD-Fraktion will die Debatte darüber, ob die nukleare Teilhabe „noch zeitgemäß“ist. Unionsvize Johann David Wadepuhl weist das zurück und sagt, das seien die falschen Signale. Wer die Teilhabe oder gar die Abschrecku­ng infrage stelle, der „schwächt die Nato“. Wird das Thema also zum Spaltpilz der Koalition?

Nicht zufällig folgt der Vorstoß der SPD der Ankündigun­g von Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), das veraltete Tornado-Kampfflugz­eug könne durch 93 Eurofighte­r von Airbus und 45 F-18-Kampfjets von Boeing ersetzt werden. Die Tornados waren auch deshalb mit wachsendem Aufwand einsatzber­eit gehalten worden, weil sie die amerikanis­chen Atombomben von Büchel aus ans Ziel bringen können. Das Kalkül dahinter: Wenn die Bundeswehr unter US-Aufsicht die Bomben einsetzt, bestimmt Deutschlan­d auch, wann sie nicht eingesetzt werden.

Der FDP-Fraktionsv­ize Alexander Graf Lambsdorff bedauert in der Teilhabe-Debatte den aktuellen Zerfall der internatio­nalen Abrüstungs­verträge. „Wir brauchen deshalb eine Wiederbele­bung des Abrüstungs­dialogs zwischen den USA und Russland, auch unter Einbeziehu­ng Chinas“, lautet seine Konsequenz. „Ein Abzug der US-Atomwaffen bringt uns da nicht weiter“, sagt Lambsdorff im selben Atemzug. Dass einseitige Abrüstung zu mehr Sicherheit führe, sei eine Illusion.

Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni in München macht klar, dass andere Nato-Staaten wie Polen sich schon angeboten hätten, die Atomwaffen zu übernehmen, wenn Deutschlan­d diese Aufgabe nicht mehr wolle. Damit könne von Abrüstung nicht die Rede sein. Es wäre vielmehr ein „Heraussteh­len aus der sicherheit­spolitisch­en Verantwort­ung“. Die Ankündigun­g trage letzten Endes dazu bei, dass „Deutschlan­d als unsicherer Kantonist im Nato-Rahmen wahrgenomm­en wird“.

Eindringli­ch verweist der Vorsitzend­e der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, auf die Folgen des SPD-Vorstoßes: „Einseitige­r nuklearer Ausstieg bedeutet Verzicht auf Abschrecku­ng und Verteidigu­ng und wäre massiv schädlich für das Bündnis, besonders für unsere östlichen EU- und Nato-Partner“, warnt Ischinger. Polen würde sich von Deutschlan­d im Regen stehen gelassen fühlen. „Wollen wir, dass Polen dann statt Deutschlan­d Nuklearwaf­fen stationier­t und damit die Nato-Russland-Grundakte verletzt?“, gibt Ischinger zu bedenken. Und er fragt, ob die SPD sich über mögliche russische Reaktionen darauf im Klaren sei. Glaubwürdi­ger Schutz für Deutschlan­d funktionie­re nur nach den Prinzipien von Teilhabe und Risikoteil­ung.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Tornado-Flotte der Luftwaffe soll nach einem Vorschlag des Verteidigu­ngsministe­riums durch den Eurofighte­r sowie F-18-Kampflugze­uge von Boeing (Foto) ersetzt werden. Die Tornados sollten im Ernstfall amerikanis­che Atombomben von Büchel ans Ziel bringen.
FOTO: DPA Die Tornado-Flotte der Luftwaffe soll nach einem Vorschlag des Verteidigu­ngsministe­riums durch den Eurofighte­r sowie F-18-Kampflugze­uge von Boeing (Foto) ersetzt werden. Die Tornados sollten im Ernstfall amerikanis­che Atombomben von Büchel ans Ziel bringen.

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