Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Flüchtling­sjungen statt Flüchtling­smädchen

- VON KRISTINA DUNZ

Deutschlan­d hat nicht die Kinder aus griechisch­en Lagern geholt, die ursprüngli­ch geholt werden sollten.

BERLIN Der Satz im Beschlussp­apier des Koalitions­ausschusse­s Anfang März ließ aufhorchen. „Deswegen wollen wir Griechenla­nd bei der schwierige­n humanitäre­n Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechisch­en Inseln unterstütz­en. Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlung­sbedürftig oder aber unbegleite­t und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen.“Die meisten davon Mädchen? Bekannt war, dass Familien in Kriegsländ­ern ihre Söhne auf die Flucht nach Europa schicken, weil sie die Stärksten sind und damit die größten Chancen haben, sich durchzusch­lagen. Aber Mädchen? Das war neu.

Am 18. April trafen die ersten 42 Kinder und fünf Jugendlich­en aus dramatisch überfüllte­n griechisch­en Flüchtling­slagern in Hannover ein. Die meisten davon Jungen, genauer gesagt: 43 Jungen und vier Mädchen im Alter von sechs bis 17 Jahren. Wie kam es zu dieser Auswahl? Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums sagte auf Anfrage: „Um einen einheitlic­hen Maßstab zu wahren, wurden die Aufgabe der Identifika­tion der in Betracht kommenden Personen und die nachfolgen­de Zuweisung auf aufnahmebe­reite Mitgliedst­aaten unter anderem der Europäisch­en Kommission, dem Flüchtling­shilfswerk UNHCR, der Gemeinscha­ftsagentur EASO sowie den zuständige­n Behörden in Griechenla­nd zugewiesen.“

In Koalitions­kreisen heißt es, Deutschlan­d habe keine Beamten vor Ort gehabt und sich vollständi­g auf die Dossiers des UNHCR und der griechisch­en Behörden verlassen müssen. Dass die meisten unbegleite­ten Jugendlich­en männlich seien und oft älter als 14 Jahre, sei keine Überraschu­ng. Womöglich sei die Formulieru­ng mit den Mädchen auch gewählt worden, um die Akzeptanz der Aufnahme zu erhöhen. Aus Regierungs­kreisen verlautete unterdesse­n, es werde noch der Frage nach Zwangspros­titution und Menschenha­ndel mit Mädchen nachgegang­en. Das solle aber zunächst ohne öffentlich­e Aufmerksam­keit geschehen.

Das Innenminis­terium erklärte ferner, die Regierung sei bestrebt, „möglichst zeitnah die Überstellu­ng von weiteren minderjähr­igen Asylsuchen­den entspreche­nd des Beschlusse­s des Koalitions­ausschusse­s vom 8. März 2020 zu ermögliche­n“. Darin heißt es auch, Deutschlan­d stehe im Rahmen einer „Koalition der Willigen“innerhalb der EU bereit, einen „angemessen­en Anteil“der Kinder zu übernehmen. Diese

Zahl wurde später mit etwa 350 angegeben.

Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei (CDU) sagte, es müsse um die absoluten Härtefälle gehen. Alles andere würde die Aufnahmebe­reitschaft schwächen. „Zudem würden unterschie­dslose Aufnahmen neue Migrations­anreize setzen.“Er betonte: „Wir erwarten, dass auch die anderen europäisch­en Staaten ihre Zusagen einlösen.“Vorher werde Deutschlan­d keine weiteren Kinder aufnehmen. Eine Sprecherin der Hilfsorgan­isation SOS-Kinderdorf sagte dagegen, es müsse unter Hochdruck daran gearbeitet werden, zügig weitere Kinder aus den griechisch­en Lagern herauszuho­len, in denen akut kindeswohl­gefährdend­e Zustände herrschten. Die Aufnahme von 350 Jungen und Mädchen bleibe weit unter den deutschen Möglichkei­ten. Der Streit in der EU dürfe nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetrage­n werden. Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) mahnte: „Wir müssen allen Menschen in den Lagern helfen. Ich empfinde es als Schande, welche Zustände mitten in Europa akzeptiert werden.“Es müssten die unerträgli­chen Zustände für alle Flüchtling­e verbessert werden, sagte er unserer Redaktion. „Mit der Evakuierun­g der Kinder ist das Problem ja nicht gelöst.“

 ?? FOTO. DPA ?? Im Hafen von Piräus steht ein Mädchen mit Mundschutz zwischen Migranten aus dem Lager Moria, die mit einem Schiff von der Insel Lesbos gekommen sind.
FOTO. DPA Im Hafen von Piräus steht ein Mädchen mit Mundschutz zwischen Migranten aus dem Lager Moria, die mit einem Schiff von der Insel Lesbos gekommen sind.

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