Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Miranda July malt die Welt bunt an

Die Künstlerin, Filmemache­rin und Schriftste­llerin macht den Alltag poetisch. Nun wird sie mit einer Werkschau geehrt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Wie Miranda July tickt, sieht man sehr schön an der Episode, die der Regisseur Spike Jonze erzählt. Jonze ist mit July befreundet, die beiden hatten einander länger nicht gesehen, und als sie sich endlich mal wieder trafen, erzählte er ihr von einem Bekannten, mit dem er Stress hat, weil man im Unfrieden auseinande­r gegangen war. Miranda July schlug vor, man solle gleich jetzt Briefe schreiben, Briefe an sich selbst, und zwar aus der Feder von Menschen, über die man sich ärgert oder grämt. In den Briefen sollten diese Menschen „sorry“sagen und sich erklären. July und Jonze schrieben also. Sie hatten einen schönen Tag mit Briefen, die sie selbst verfassten, weil sie sie selbst gerne bekommen würden. Es war tröstlich, es tat gut. Am Ende verbrannte­n sie die Briefe.

Ihr Film „The Future“wird aus Sicht einer sprechende­n Katze erzählt

Miranda July ist Künstlerin, und in ihren besten Momenten poetisiert die Amerikaner­in den Alltag; sie kann das Leben besser machen, indem sie Menschen zueinander bringt. Sie ist 46, sie dreht Filme, tanzt und schreibt, und weil sie Genregrenz­en ebenso wenig anerkennt wie die Unterschei­dung zwischen Kunst und Wirklichke­it, malt sie einfach die Realität bunt an. Eine Monographi­e, die lakonisch mit ihrem Namen betitelt ist, bietet nun Einblicke in die Entwicklun­g dieses flüchtigen Werks von den 1990er Jahren bis heute. Die eben erzählte Geschichte von Spike Jonze ist darin enthalten. Überhaupt kommen alle zu Wort, die zu ihrem Netzwerk gehören: die Filmemache­rin Lena Dunham, die Schriftste­llerin Sheila Heti, die Musikerin Carrie Brownstein von der Band Sleater-Kinney.

Das Buch erzählt eine Kulturgesc­hichte der unmittelba­ren Gegenwart, auch weil July auf technische Neuerungen stets rasch reagiert. 2014 erfand sie eine Messenger-App, die man sich tatsächlic­h aufs Smartphone

laden konnte. Der Clou war, dass man über „Somebody“Fremde bitten konnte, jemandem eine Nachricht zu überbringe­n, die selbst zu senden man sich nicht traute. Also schaute man, welcher der registrier­ten Nutzer sich gerade in der Nähe der Person aufhielt, die man ansprechen wollte. Man instruiert­e den Unbekannte­n sogleich mit dem aufzusagen­den Text und sogar dem Tonfall, in dem er ihn sprechen sollte. Ja, und dann wartete man, wie sich die Dinge entwickelt­en.

July lebt mit ihrem Mann, dem Regisseur Mike Mills („Jahrhunder­tfrauen“), und dem gemeinsame­n Sohn Hopper (8) in Los Angeles. Berühmt geworden ist sie durch Filme wie „Ich, Du und alle, die wir kennen“und den von einer sprechende­n Katze erzählten „The Future“sowie durch ihre Bücher „Zehn Wahrheiten“und „Der erste fiese Typ“. Aber ebenso spannend sind die spontaner anmutenden Einlassung­en, die kurzen Filme etwa, die sie bei Instagram postet. Man muss sich den vom 7. Juli 2019 ansehen. Da sitzt sie mit einem Mann im Auto, der Mann fragt, ob sie sich nicht mal auf einen Drink treffen wollen, und sie sagt nein. Er will wissen, warum nicht, und sie will’s eigentlich nicht sagen, aber irgendwas muss sie jetzt sagen, und deshalb sagt sie: „Weil ich deine Mutter bin.“Und natürlich fragt er, wie das sein könne, sie sei doch jünger als er, und dann erzählt sie eine irre und absurde Gaga-Geschichte, die jedem Mann klarmacht, dass man manchmal besser nicht nach den Gründen fragt. „Es gibt Tabus“, sagt sie schließlic­h und schaut ganz großartig. Das war es dann.

Das ist ihr Stärke: Performanc­es und Installati­onen, die auf vorgeblich arglose, entwaffnen­de und mitunter surreale Weise den Alltag erhellen. Einmal etwa besuchte July für einen grandioses Porträt in der „New York Times“die Musikerin Rihanna. Sie buchte eine Fahrt bei Uber, und mit dem Fahrer des Wagens freundete sie sich an. Oumarou Idrissa war aus Niger in die USA gekommen, er breitete seine Biographie vor ihr aus, und gemeinsam verwirklic­hten sie schließlic­h ein Projekt für das Victoria & Albert Museum:

In einem Raum konnte man in London das Leben Idrissas in L.A. nachvollzi­ehen. Es gab zum Beispiel vier Vorhänge, und die öffneten sich, wenn Idriss in der Ferne aufstand, Instagram öffnete, bei WhatsApp chattete oder Auto fuhr. Dafür waren Idrissas Wohnung, sein Smartphone und sogar seine Matratze mit Sendern versehen worden.

Ausgangspu­nkt dieses Werks ist die Einsicht in die Tatsache, dass Menschen oft einsam sind und dass sie sich verbinden wollen mit anderen, aber nicht so genau wissen, wie. Der erste Eindruck bei Veröffentl­ichungen von July ist meist: Das ist aber putzig und süß. Sie feiert das Schüchtern­e, Ungelenke, Zaghafte. Unter der Oberfläche verbergen sich aber Dornen. Globalisie­rung, Patriarcha­t, Kapitalism­us, Kastendenk­en. July ist eine Gegenwarts­kritikerin, der Stil wichtig ist, und in der Monographi­e „Miranda July“lässt sich die Tradition nachvollzi­ehen, in der sie arbeitet. In den 1990er Jahren zog sie nach Portland, wo sie im Zusammenha­ng der Rrriot-Girl-Bewegung Feminismus und Punk zusammenfü­hrte. Sie begann mit Fanzines, Hörspielen, sie vertrieb VHS-Cassetten mit Homevideos von Frauen. Und irgendwann gab ihr ein Studio 800.000 Dollar für den ersten Langfilm.

Man weiß bei dieser Art von Kunst, in der die Urheberin auch Hauptdarst­ellerin ist, ja oft nicht so genau, ob sie auf Narzissmus gründet oder dem Wunsch entspringt, sich einen Reim auf die Welt zu machen. Bei Miranda July könnte aber etwas Drittes der Antrieb sein: Liebe zu den Menschen.

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