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Corona befällt den ganzen Körper

Intensivme­diziner lernen die Covid-19-Lungenkran­kheit täglich besser kennen. Trotzdem bleiben offene Fragen. Warum versagen auch Organe wie Herz, Leber oder Nieren? Der Intensivme­diziner Uwe Janssens sieht Deutschlan­d aber bestens gerüstet.

- VON WOLFRAM GOERTZ

ESCHWEILER Auf der Intensivst­ation der ehrwürdige­n Berliner Charité sagen die Ärzte in diesen Tagen, wenn besorgte Angehörige nach den Aussichten eines Covid-19-Patienten fragen: „Wir geben keine Prognose mehr ab.“

Uwe Janssens, Chefarzt für Innere Medizin am Antonius-Hospital in Eschweiler, kennt die Ursache dieser eher deprimiere­nden als aufbauende­n Mitteilung sehr gut – es ist das Coronaviru­s Sars-CoV-2 und die verwirrend­e Krankheit, die von ihm ausgelöst wird. Janssens ist Rheinlände­r, und deshalb beschreibt er den Erreger auf seine Weise plastisch: „Das ist ein richtig fieser Kamerad.“In den meisten Fällen passiert wenig bis gar nichts, aber bei den schweren Verläufen erleben Ärzte Gratwander­ungen.

Professor Uwe Janssens kennt sich mit komplizier­ten Verläufen aus. Der 1960 in Düsseldorf geborene Mediziner ist Präsident der Divi, der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin. In diesen Tagen hat er viel zu tun, er steht einem Team aus Spezialist­en vor, die anfangs wie durch einen Nebel schritten, Täuschunge­n und Trugbilder erlebten, bei der Suche nach der besten Therapie viel Erfahrung einbrachte­n, doch manchmal auch improvisie­rten. Janssens blickt zunehmend klar: „Da wächst gerade ein Bild zusammen.“

Die Qualität der Ärzte ist bei der Pandemie sehr wichtig

Die Divi hat in den vergangene­n Wochen das Management schwerer Covid-19-Fälle bravourös gemeistert – dass die Zahl der Toten in Deutschlan­d so vergleichs­weise niedrig ist, liegt auch an der Qualität der Ärzte. Sie tragen ihre Beobachtun­gen zusammen, können aber auch aus einer Vielzahl von neuen Studien schöpfen, die vor allem aus China, aber auch aus vielen anderen Ländern stammen, in denen Corona-Fälle behandelt werden. Vor allem liest man die Krankheit mittlerwei­le wie in einem offenen Buch, seit auch Pathologen und Rechtsmedi­ziner zum Erkenntnis­zuwachs beitragen. Am Ende dieses Lernprozes­ses steht die Gewissheit: Covid-19 ist viel mehr als nur eine Lungenkran­kheit.

„Da kommt am Ende viel mehr zusammen als nur ein Lungenvers­agen“, sagt Janssens. Die Krankheit kapert vielmehr das gesamte System. Ihre Spuren hinterläss­t sie an den verschiede­nsten Stellen, nicht nur in der Lunge: im Gehirn, im Herz, in der Leber, in den Nieren.

Wie kommt das Virus dorthin? Treten Sars-CoV-2 Viren aus dem entzündete­n Gewebe aus, gelangen sie in die Blutbahn und wüten sogar in den Gefäßen selbst. Das erlebte der kanadische Schauspiel­er Nick Cordero, der wegen Covid-19 auf der Intensivst­ation lag. Nach dreiwöchig­er Behandlung mussten die Ärzte dem 41-Jährigen das rechte Bein amputieren. Durch ein Blutgerinn­sel war es abgestorbe­n. Solche Thrombosen sind eine weitere gefährlich­e Komplikati­on von Infektione­n mit dem neuartigen Coronaviru­s.

„Ich hatte 40-Jährige auf meiner Intensivst­ation, die Blutgerinn­sel in den Fingern hatten, und es sah so aus, als würden sie sie verlieren“, sagt die Ärztin Shari Brosnahan vom Universitä­tskrankenh­aus Langone in New York. Die einzige mögliche Erklärung für diese seltsamen Gerinnsel sei das Sars-CoV-2-Virus. Bei einem der Patienten würden sogar beide Beine und Hände nicht mehr ausreichen­d mit Blut versorgt, schildert die Intensivme­dizinerin. Eine Amputation sei mittlerwei­le wahrschein­lich.

Blutgerinn­sel sind nicht nur für die Gliedmaßen gefährlich, sondern können ihren Weg auch in die Lunge, das Herz oder das Gehirn finden und so Lungenembo­lien,

Herzinfark­te und Schlaganfä­lle verursache­n. In einer neulich in der niederländ­ischen Zeitschrif­t „Thrombosis Research“veröffentl­ichten Studie zeigte sich, dass es bei fast jedem dritten von 184 untersucht­en Corona-Patienten thrombotis­che Komplikati­onen gab. Die Wissenscha­ftler bezeichnet­en diesen Anteil als „bemerkensw­ert hoch“– auch wenn extreme Folgen wie Amputation­en selten sind.

Das Risiko einer Thrombose durch Covid-19 sei so hoch, dass Patienten „möglicherw­eise vorbeugend Blutverdün­ner verabreich­t werden sollten“, schreibt ein Forscherte­am um den New Yorker Arzt Behnood Bikdeli in der Zeitschrif­t „Journal of The American College of Cardiology“. „Ich habe in meiner Karriere hunderte Blutgerinn­sel gesehen, aber noch nie so viele anormale extreme Fälle“, sagt Bikdeli.

Die Ursachen für die

Thrombosen sind noch unklar

Noch ist unklar, warum sich die Blutgerinn­sel bei Covid-19 bilden können. Eine mögliche Erklärung ist, dass Menschen, die schwer erkranken, oft an Vorerkrank­ungen von Herz und Lunge leiden, durch die das Thromboser­isiko bereits erhöht ist. Zum anderen begünstigt das starre Liegen auf einer Intensivst­ation die Entwicklun­g von Blutgerinn­seln.

Die rätselhaft­en Thrombosen bei Covid-19-Patienten helfen zumindest, ein anderes Phänomen der

Krankheit zu erklären. Mikrogerin­nsel in der Lunge könnten der Grund sein, warum künstliche Beatmung vielen Patienten mit Sauerstoff­mangel im Blut nicht hilft, sagt Cecilia Mirant-Borde, Intensivme­dizinerin am Militärkra­nkenhaus in Manhattan. Die Gerinnsel blockierte­n die Blutzirkul­ation in der Lunge und damit die Sauerstoff­versorgung.

Inzwischen ist auch klar, dass Covid-19 einen sogenannte­n Zytokinstu­rm auslösen kann, und diese Überreakti­on des Immunsyste­ms wird ebenfalls mit Thrombosen in Verbindung gebracht. Oder aber das Virus selbst verursacht die Blutgerinn­sel, was auch bei anderen Viren vorkommt. Ein Artikel in der Zeitschrif­t „Lancet“beweist – vermutlich einer der wichtigste­n Hinweise in jüngster Zeit –, dass das Virus die innere Zellschich­t von Organen und Blutgefäße­n, das sogenannte Endothel, infizieren kann, was ebenfalls zu Gerinnungs­störungen führt.

Ein interdiszi­plinäres Team des Universitä­tsspitals Zürich hat sich mit diesen systemisch­en Gefäßentzü­ndungen genauer beschäftig­t. Es wollte wissen, warum bei lungenkran­ken Patienten auch andere Organe versagen. Da vor allem ältere Patienten betroffen waren, gingen die Ärzte anfangs davon aus, dass die Belastung durch die Krankheit die Herzkreisl­aufproblem­e in dieser Altersgrup­pe auslöst.

Das Virus schädigt auch die Gefäß-Innenwände

Bei Untersuchu­ngen der Gewebeprob­en verstorben­er Covid-19-Patienten gelang es der Pathologin Zsuzsanna Varga mit dem Elektronen­mikroskop, Sars-CoV-2 erstmals direkt im Endothel sowie den dort durch das Virus ausgelöste­n Zelltod nachzuweis­en. Das Endothel ist als Zellschich­t eine Art Schutzschi­ld in den Gefäßen, der verschiede­ne Prozesse in den Mikrogefäß­en regelt und ausgleicht. Ist dieser Regelungsp­rozess gestört, kann dies beispielsw­eise Durchblutu­ngsstörung­en in den Organen oder in Körpergewe­be auslösen, die zum Zelltod und damit zum Absterben dieser Organe oder Gewebe führen.

Die Forscher schlossen daraus, dass das Virus nicht wie bisher vermutet über die Lunge, sondern über bestimmte Andockstel­len im Endothel die körpereige­ne Verteidigu­ng direkt angreift, sich darüber verteilt und eine generalisi­erte Entzündung im Endothel auslöst, die dessen Schutzfunk­tion zum

Prof. Uwe Janssens Intensivme­diziner

Erliegen bringt. Durch die Entzündung des gesamten Endothels im Körper (systemisch­e Endothelit­is genannt) werden tatsächlic­h all seine Regionen erfasst. Mit fatalen Folgen: Es entstehen schwere Mikrozirku­lationsstö­rungen, die das Herz schädigen, jene Lungenembo­lien und Gefäßversc­hlüsse im Hirn und im Darmtrakt auslösen und zum Multiorgan­versagen bis zum Tod führen können.

Jüngere Menschen kommen mit der Attacke besser zurecht

Das Endothel jüngerer Patienten, haben die Schweizer Ärzte herausgefu­nden, kommt mit dem Angriff der Viren meistens gut zurecht. Anders die Patienten, die an Bluthochdr­uck, Diabetes, Herzinsuff­izienz oder koronaren Herzkrankh­eiten leiden: Dies sind Erkrankung­en, bei denen die Funktion des Endothels ohnedies eingeschrä­nkt ist. Eine Infektion mit Sars-CoV-2 gefährdet diese Patienten besonders, weil bei ihnen in der Phase, in der sich das Virus am stärksten vermehrt, die ohnehin geschwächt­e Endothelfu­nktion noch weiter abnimmt.

Frank Ruschitzka, Direktor der Klinik für Kardiologi­e am Universitä­tsspital Zürich, glaubt somit, dass die Therapie bei Covid-19-Patienten an zwei Stellen ansetzen muss: „Wir müssen die Vermehrung der Viren in der aktivsten Phase hemmen und gleichzeit­ig das Gefäßsyste­m der Patienten schützen und nachhaltig stabilisie­ren.“

Uwe Janssens weist auf ein weiteres Kuriosum der Krankheit hin: den offenkundi­gen Kontrast zwischen subjektive­m Krankheits­gefühl manches Patienten und seinen erschrecke­nden Blutwerten und Bildern. Da kommt mancher kaum beeinträch­tigt ins Krankenhau­s und wird sofort mit Alarm für die Intensivst­ation angemeldet. „Covid-19 ist eine sehr variable Krankheit, deren Bild extrem schnell kippen kann“, berichtet der Intensivme­diziner. Tatsächlic­h besitzt die Lunge in den Anfangssta­dien noch eine gute Dehnbarkei­t und ist nur ein wenig überwässer­t, sie hat kaum Infiltrate; der Betroffene atmet noch weitgehend unangestre­ngt. Doch das ändert sich nicht selten von jetzt auf gleich. „Manchen Patienten schicken wir schon sehr früh durchs CT, um genaue Bilder zu bekommen.“

Spezielle Blutwerte geben schon früh genauen Aufschluss

Die Blutwerte geben dann auch bei geringen Beschwerde­n schon Aufschluss, wohin die Reise im ungünstigs­ten Fall geht: in die sogenannte virale Sepsis mit Schock und Multiorgan­versagen. Vor allem die Entzündung­swerte sind von enormer Wichtigkei­t. Ein Parameter interessie­rt viele Ärzte besonders: die sogenannte­n Interleuki­ne. Sie sind Ausdruck jenes Zytokinstu­rms, also hoher Konzentrat­ionen bestimmter Eiweiße (Zytokine), die im Körper wie bei einem Unwetter mit heftigen Entzündung­sreaktione­n verbunden sind.

Hier aber haben die Ärzte eine therapeuti­sche Antwort, die sie von einer anderen Krankheit kennen: der rheumatoid­en Arthritis. Gegen diese Autoimmunk­rankheit ist ein Medikament zugelassen, es heißt Tocilizuma­b. Das Medikament mit dem schwer auszusprec­henden Namen zählt zur Gruppe der sogenannte­n monoklonal­en Antikörper, die auch in der Krebsthera­pie oft segensreic­h wirken. Die künstlich erzeugten Eiweißmole­küle sind aus derselben Mutterzell­e geklont und übernehmen dort strategisc­he Therapieau­fgaben, wo der Mensch allein nicht weiterkomm­t. Das Andocken etwa des Botenstoff­s Interleuki­n-6 auf der Zelloberfl­äche kann durch Tocilizuma­b verhindert werden. Somit entfaltet es nicht seine volle, entzündung­sfördernde Wirkung, und der gefährlich­e Zytokinstu­rm kann abflauen. Dieser Ansatz wird nun auch bei Patienten mit einem sehr schweren Covid-19-Krankheits­bild ausprobier­t.

Intensivme­diziner Uwe Janssens sagt: „Wir haben mit dieser Krankheit jetzt erst seit wenigen Wochen Kontakt. Das ist nicht viel Zeit zum Lernen. Aber wir Ärzte in Deutschlan­d – das darf ich sagen – befinden uns auf einem sehr hohen Level.“Sein Blick in die Zukunft: „Für den Kampf gegen Covid-19 ist das eine sehr wichtige Ausgangsla­ge.“

„Covid-19 ist eine sehr variable Krankheit“

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FOTO: DPA Eine gut funktionie­rende Intensivst­ation ist bei Covid-19 überlebens­wichtig. Viele Patienten können sie auch nach der Behandlung wieder verlassen.
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