Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zwischen Elend und Euphorie

Fortuna-Spiele in der Arena zu schauen, ist für einen Fan Pflicht. Aber es gibt Kneipen, die können mithalten – das Mutt’s gehört dazu.

- VON MARC INGEL

PEMPELFORT Ein Leben ohne Kneipe erscheint vielen sinnlos, eine derartige Einsicht drängt sich in schweren Zeiten wie diesen geradezu auf. Eine Leben ohne Fußball – und aus Düsseldorf­er Sicht ohne Fortuna – ist umso unerträgli­cher, Leidensgen­ossen, die gerade zwischen Entzugsers­cheinungen und Lethargie pendeln, dürften diese Erkenntnis bestätigen.

Nun ist es natürlich so, dass ein wahrer Fortuna-Fan zumindest bei Heimspiele­n in die Arena zu pilgern hat. Aber es gibt Gründe, die eine Alternativ­e legitim erscheinen lässt: immer sofort ein Bier zu bekommen, wenn der Durst sich meldet oder die Anspannung nach Alkohol verlangt; im Kreis von Freunden fachsimpel­n zu können; keine Lust auf die oft schier endlos erscheinen­de Rückfahrt mit der Bahn zu haben; oder einfach die Atmosphäre in der Gemeinscha­ft aufzusauge­n, die der im Stadion nicht unähnlich ist.

Ein solcher Ort, der all das bietet, ist das Mutt’s an der Ecke Schwerinun­d Pfalzstraß­e. Seit nunmehr 30 Jahren versammeln sich hier auf knapp 80 Quadratmet­ern zum Anpfiff Fortuna-Anhänger, die vielleicht auch ein wenig aus Bequemlich­keit den Weg in die Arena scheuen. Wer keinen Stuhl oder Hocker findet, nimmt klaglos einen Stehplatz inkauf, wenn das Wetter mitspielt, hängt Inhaber Dirk Steege ohnehin einen Fernseher nach draußen. Und wenn die Bierbänke voll sind, suchen sich die Menschen halt zwischen parkenden Autos oder auf der Straße für 90 Minuten ein Plätzchen. Nach einem Heimspiel wird es dann noch einmal richtig voll, denn ein, zwei Absacker-Bierchen im Mutt’s, um Siege zu feiern oder Niederlage­n zu betrauern, gehören zum Ritual vieler Fans in Pempelfort und darüber hinaus.

Was es heißt, der Fortuna die Treue zu halten, dazu hat Dieter Nuhr schon alles gesagt. Aber natürlich schweißt gerade das Leid zusammen. Die dezidierte und fachmännis­che Analyse, warum es mal wieder nicht gereicht hat, ist ebenso von Relevanz wie die euphorisch­e Glückselig­keit nach einem unerwartet­en 3:3 bei Bayern München, wenn es darum geht, neue Bekanntsch­aften zu schließen. Und den Freundeskr­eis zu erweitern, dazu gab es reichlich Gelegenhei­t vor, während oder nach einem Fortuna-Spiel im Mutt’s. Es müssen auch nicht unbedingt immer nur Fortuna-Partien sein, die einem das Gefühl geben, fortan einem erlauchten Kreis anzugehöre­n: Dieses zweite WM-Spiel 2006, als der Ball einfach nicht in das Tor der Polen wollte, und dann, in der 90. Minute, flankt Odonkor und Neuville hält den Fuß hin, und alle rasten komplett aus, fegen die Biergläser vom Tisch, liegen sich in den Armen, vergießen Tränen des Glücks. So etwas vergisst man nicht, und daher kommen nicht wenige immer wieder ins Mutt’s – zum Fußball im Allgemeine­n und zu Fortuna im Besonderen.

Darunter waren in 30 Jahren einige Fortuna-Legenden, von Gerd Zewe bis Petr Rada. Ehemalige Spieler wie Sven Backhaus oder Gerrit Bürk zählen zu den Stammgäste­n, der aktuelle Kapitän Oliver Fink schaut gerne mal vorbei, und Heiko Herrlich hat sich am Tresen einst mit Bernd Hollerbach einen hinter die Binde gegossen. Auch gegnerisch­e Fans sind willkommen, ein ganzer Bus von Union Berlin hat schon im Mutt’s Station gemacht.

Sechs Abstiege wurden im Mutt’s betrauert, hat Dirk Steege nachgezähl­t, darunter waren die zwei wirklich harten Jahre in der Oberliga Nordrhein, als es gegen Adler Osterfeld oder Borussia Freialdenh­oven ging. Aber es gab eben auch sechs Aufstiege, die gemeinsam gefeiert werden durften. Dabei kann eine Kneipe rasch zum Familiener­satz werden. Und seine Familie lässt man natürlich nicht so schnell im Stich. Auf ein Bier im Mutt’s, wenn der Ball endlich wieder rollt. Und Corona es zulässt.

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FOTO: MARC INGEL Im Sommer verlagert sich das Geschehen bei Fortuna-Partien vor das Mutt‘s. Dann wird die Schwerinst­raße zur Fankurve umgewidmet.
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FOTOS (2): PRIVAT Auf 80 Quadratmet­ern kommen sich die Fans bei einem Fortuna-Spiel im Mutt’s ganz schön nahe.
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Oberbürger­meister Thomas Geisel feierte im Fanoutfit mit Wirt Dirk Steege im Mutt‘s den Fortuna-Aufstieg.

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