Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
FDP maßregelt Kemmerich und umwirbt Palmer
Zweimal Corona: Gegen den Ex-Ministerpräsidenten gibt es Austrittsforderungen. Ein Eintrittsangebot dagegen bekommt der Tübinger Oberbürgermeister.
GERA/BERLIN (dpa/RP) Die FDP ist am Wochenende im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gleich zweimal öffentlich hervorgetreten: Zunächst nahm Thüringens Ex-Ministerpräsident Thomas Kemmerich an einem Protest gegen die Beschränkungen der Freizügigkeit teil und zog damit Kritik auf sich. Dann machte der baden-württembergische Landeschef Michael Theurer dem Grünen-Politiker Boris Palmer ein Aufnahmeangebot. Palmer hatte in seiner Partei heftige Proteste ausgelöst, weil er gesagt hatte: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“
Am Samstag war Kemmerich in Gera auf die Straße gegangen. Seine Teilnahme bestätigte er am Abend selbst bei Twitter. Er habe an einer Veranstaltung für „Verhältnismäßigkeit und einen Corona-Exit mit Maß und Mitte“teilgenommen, schrieb Kemmerich. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kritisierte vor allem die mutmaßliche Nicht-Einhaltung von Corona-Regeln bei der Veranstaltung: „Abstand halten oder Mund/Nasenschutz/Bedeckung? Fehlanzeige! Vorbildfunktion? Fehlanzeige!“, twitterte er. Einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge nahmen auch AfD-Politiker an dem „Spaziergang“teil.
Kritik an Kemmerich kam auch aus der eigenen Partei. „Liberal sein heißt nicht, aus Prinzip gegen etwas zu sein, gerade wenn es Menschen schützt“, schrieb die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Twitter. Im „Tagesspiegel“forderte sie Kemmerich auf, die FDP zu verlassen. Der Parteivorsitzende Christian Lindner schloss sich der internen Kritik an. „Die Aktion von Kemmerich schwächt unsere Argumente. Ich habe dafür kein Verständnis“, schrieb Lindner am Sonntag auf Twitter: „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen,
und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz.“
Kemmerich steht nicht zum ersten Mal wegen seines Verhaltens in der Kritik. Kemmerich war am 5. Februar mit Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten gewählt worden, was bundesweit Entrüstung und Proteste auslöste. Drei Tage danach trat er zurück.
Einen Tag nach Kemmerichs Auftritt kam dann das Beitrittsangebot für Palmer. „Bei uns in der FDP Baden-Württemberg ist Boris Palmer herzlich willkommen. Wir sind eine Heimat für kritische Köpfe. Wir halten das aus, wir kämpfen für Meinungsfreiheit“, sagte Theurer der „Bild am Sonntag“. Palmer sei ein streitbarer, kluger Kopf, der manchmal über das Ziel hinausschieße, nicht immer den richtigen Ton treffe, aber auch zur Einsicht fähig sei. Der Vorstand der Südwest-Grünen hatte den Tübinger Oberbürgermeister am Freitag zum Parteiaustritt aufgefordert. Ein Ausschluss ist derzeit aber kein Thema. „Die kursorische Prüfung hat gezeigt, wie schwer die Erfolgsaussichten einzuschätzen sind“, sagte eine Sprecherin der Bundespartei.
Palmer selbst lehnte Theurers Angebot ab. „Als Ökologe kann man unmöglich Mitglied der FDP werden. Da hätte ich jeden Tag Streit in der Sache und nicht nur um Worte“, sagte der Oberbürgermeister.