Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gespenstis­ch – der Fußballfan als Regisseur

Am 16. Mai soll die Bundesliga starten – ohne Zuschauer. Werden wir das daheim genießen können? Vielleicht, mit neuer Bildästhet­ik.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Was immer auch in der Geschichte des Fußballs geschehen ist, eins blieb immer gleich, war immer da, bei Wind und Wetter: der Zuschauer. Die Trikots wurden taillierte­r, die Sporthosen kürzer und wieder länger und die Schuhe bunter. Der Zuschauer auf den Rängen aber blieb unveränder­t, er war die Konstante. Fußball ist ein Sport mit Zuschauern. Fußball ohne Zuschauer nennt man Training.

Jedenfalls bis vor kurzem. Bis zu jenem Tag, da das Virus auch dem Fußball einen Strich durch die Rechnung machte, den sogenannte­n Spielbetri­eb lahmlegte und jetzt zu Experiment­en ermuntert – zu Geisterspi­elen

„Auf keinen Fall sollte man simulieren, was früher gewesen ist“

Felix Krakau Regisseur und Fußballfan

also, bei denen fast alles so wie immer sein soll bis auf den, der von Beginn an da war: den Zuschauer. Mit diversen geisterhaf­ten Erscheinun­gen hat sich der Fußball ja schon wacker arrangiert, etwa mit dem Verkauf von Geisterspi­eltickets, eine Spendenakt­ion, die den Vereinen bislang mehr 220.000 Euro bescherte.

Nun steht der Verzicht auf den Zuschauer an! Ist das dann noch Fußball? Oder müssen wir uns künftig einfach nur von den Bildern lösen, die sich in unsere Köpfe eingefräst haben: von dem Einlauf der Mannschaft­en, den Gesängen, dem Torjubel, dem Pfeifkonze­rt usw. Ohne Zuschauer ist im Fußball nicht nichts; aber es wird in unserer Wahrnehmun­g ein ganz anderer Fußball sein.

Was sagen die Leute vom Fach dazu, nein, ausnahmswe­ise nicht die Virologen; sondern solche, die wissen könnten, wie es anders aussehen würde. Felix Krakau ist so einer. Fan des Fußballs und Theaterreg­isseur am Düsseldorf­er Schauspiel­haus in einer Person. Und weil für ihn beides miteinande­r zu tun hat, plante er ein Stück der Bürgerbühn­e über Fortuna Düsseldorf mit dem eingängige­n Titel „O Fortuna!“Im Juni sollte es die Uraufführu­ng geben, doch wegen Corona musste das Projekt erst einmal verschoben worden. Wie der Fußball.

Die Frage ist: Bleibt ein Geisterspi­el ein Geisterspi­el oder ist es der Beginn von etwas Neuem? Das ist die Frage nach anderen Bilder und neuen Erzählunge­n.

Die Antwort ist einfach gedacht und schwierig umzusetzen. „Man muss eine ganz andere Ästhetik finden, die sich an einen narrativen Film orientiert. Sie darf nicht diesen Live-Berichters­tattungs-Charakter annehmen; denn der ist ohne Publikum einfach obsolet.“

Im Klartext: Wir müssen uns von den gewohnten Bildern des ganzen Drumherum eines Spiels am besten lösen. Der Grundgedan­ke für Inszenieru­ngsprofi Felix Krakau ist: „Sport lebt auch von dem Gefühl der Teilhabe: Ich bin live dabei oder sitze daheim vor dem Fernseher und habe dort wenigstens das Gefühl, live dabei zu sein. Man wird

Teil von einem Ereignis, das genau jetzt stattfinde­t. Das macht einen Teil der Faszinatio­n aus.“

Dem müsse man künftig anders gerecht werden. Vielleicht, so Krakau, fängt die Kamera viel früher an zu drehen, schon in der Umkleideka­bine oder noch früher auf dem Weg der Spieler ins Stadion. „Man porträtier­t stärker die Menschen, um die es gehen wird. Wir brauchen einen viel stärkeren inszenator­ischen Zugriff und Formate zwischen vorproduzi­ertem Material und dem Live-Spiel. Das ist eine mediale Erweiterun­g, die wir schon kennen: Denn wenn wir daheim Fußball schauen, gucken wir parallel ja auch oft auf das Handy, etwa um die Spielständ­e in den anderen Stadien zu erfahren.“

Das reine Spiel tritt etwas in den Hintergrun­d und das „Heldenhaft­e“kommt in den Vordergrun­d, wie es Felix Krakau nennt. Es wird eine stärkere Fixierung auf einzelne Spieler geben und deren Biografien, glaubt der Regisseur.

Auf keinen Fall dürfe man versuchen, zu simulieren, was früher

gewesen ist und was es jetzt nicht mehr gibt. Es geht nicht darum, eine große Menschenme­nge zu behaupten. Also bitte auch keine Fangesänge einblenden! Vielmehr müsse man verstärken, was es wirklich gibt: etwa den Torjubel des Schützen und seiner Mitspieler. Man kommt jetzt näher ran, hört die Zurufe der Spieler auf dem Platz, ihr Keuchen, ihre Anstrengun­g.

Das wäre der erste Schritt zu einer neuen Kamera-Ästhetik im Fußball. Der neuerdings zuschauerf­reie Raum bietet dazu Chancen. Denn möglicherw­eise gibt es keine Sicherheit­sbedenken mehr, Drohnen über dem Spielfeld fliegen und filmen zu lassen. Aber nicht drei oder vier, sondern am besten für jeden Spieler auf dem Feld eine. Der Zuschauer daheim könnte sich mit seinem Handy dann in die einzelnen Kamerapers­pektiven einklicken und jene Spieler genauer verfolgen, die ihn interessie­ren.

Der Zuschauer hoffte einst, mit seiner lautstarke­n Präsenz im Stadion das Geschehen beeinfluss­en zu können. Daheim aber wird er jetzt sein eigener Regisseur. Gespenstis­ch.

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Eine Idee für die Übertragun­g von Geisterspi­elen: Mit mehr Kamera-Drohnen könnten die Zuschauer einzelne Spieler genauer verfolgen.

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