Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Was bleibt von der Corona-Zeit?
Zwei Düsseldorfer Psychologinnen erforschen die Erinnerung: Bleiben eher positive oder negative Erlebnisse im Gedächtnis haften?
DÜSSELDORF Erinnerungen sind eine Brücke in die Vergangenheit. Sich zu erinnern bedeutet, Vergangenes wieder hervorzuholen: Glück und Schmerz und all die unzähligen Momente eines Lebens, die zu einem Mosaik zusammenwachsen, das Menschen prägt – als Fundament der Persönlichkeit. Die jetzige Zeit wird für die meisten sicher unvergesslich bleiben, noch in vielen Jahren werden sie darüber reden: „Weißt du noch, das war im Jahr von Corona?“Aber wie gehen Menschen mit einem solchen Ausnahmezustand um? Und welche Erinnerungen werden sie daran abspeichern? Lauter Fragen für die Wissenschaft.
„Jetzt wird die Erinnerung an diese Zeit geformt“, sagt Marie Luisa Schaper, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Julie A. Niziurski am Institut für Experimentelle Psychologie der Heine-Uni forscht. Deshalb haben die beiden Wissenschaftlerinnen in den letzten Wochen Menschen zwischen 18 und 90 Jahren für eine Studie befragt. „Wir gehen davon aus, dass Emotionen wie Einsamkeit, Angst und Sorgen die Art und Weise beeinflussen, wie sich Menschen später an diese Zeit erinnern.“Heißt: Wer sich jetzt isoliert fühlt, wer Angst vor der Zukunft hat, wird sich eher mit einem unangenehmen Gefühl besinnen und vor allem negative Erinnerungen an diese Zeit abspeichern.
Grundsätzlich gilt: Menschen erinnern sich unterschiedlich. Das lässt sich leicht bei Klassentreffen erleben. Alle haben die Schulzeit gemeinsam erlebt, aber jeder hat andere Details abgespeichert, und manchmal variiert die Erinnerung auch an dieselbe Situation. Alle waren dabei, aber jeder mit seiner eigenen Wahrnehmung und Gewichtung, da hat der eine längst vergessen, was beim anderen lebenslang im Gedächtnis bleibt. Marie Luisa Schaper berichtet von einem weiteren Phänomen: „Die Erinnerung ist keine Videoaufzeichnung, sie kann sich mit den Jahren verändern.“Kurz nach einer
Trennung kann man nicht begreifen, dass man mal in seine Ex-Frau verliebt war. Aber mit den Jahren kehren auch die schönen Erlebnisse vielleicht zurück – und die Erinnerung bekommt mildere Facetten.
Es ist in der Forschung umstritten, ob Menschen prinzipiell eher positive oder negative Erlebnisse behalten. Dabei spielt wohl die Intensität des Moments eine Rolle und die psychische Stabilität des Einzelnen:
So hat Julie A. Niziurski gezeigt, dass Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen dazu neigen, Emotionen besonders stark zu erleben und ihre schrecklichen Erlebnisse nicht vergessen zu können. Bei gesunden Menschen aber würden die negativen Erinnerungen mit der Zeit eher verblassen und stattdessen die angenehmen Situationen des Lebens haften bleiben. „Dadurch bekommt der Mensch grundsätzlich eine positivere Sicht auf die Vergangenheit.“Das kann geradezu ein Schutzschild für die Psyche sein. Solche Menschen sind offenbar eher bereit, über glückliche Momente in der Vergangenheit nachzudenken, was wiederum die positiven Erinnerungen im Gedächtnis länger frisch hält – eine Art Doppelwirkung.
Nun wollen die beiden Forscherinnen mit ihrer aktuellen Studie herausfinden, was von der Zeit der Einschränkungen während der Corona-Pandemie bleibt. Was haftet im Gedächtnis, wenn man Familienangehörige und Freunde wochenlang nicht getroffen hat? Und: Werden durch die abgespeicherten Emotionen aus dieser Zeit Depressionen, Stress und Angststörungen möglicherweise zunehmen? Die Antworten, die jetzt ausgewertet werden, sind wohl höchst unterschiedlich, je nach Erlebnissen und Persönlichkeitsstruktur. Der Eine wird sich vielleicht an seine Einsamkeit, an Langeweile, an Angst erinnern. Anderen wird positiv im Gedächtnis bleiben, wie sehr sich Nachbarn, die sie vorher kaum kannten, um sie gekümmert haben. Die einen, die schon vor langer Zeit rare Konzertkarten ergattert haben, werden sich trösten, dass sie irgendwann wieder Musik live hören werden, unter dem Motto „ärgerlich, aber nicht so schlimm“. Anderen macht der verlorene Abend, zu dem Freunde von weither anreisen wollten und auf den sie sich als besonderes Ereignis monatelang gefreut haben, lange zu schaffen.
„Wir wollen verstehen, welche psychologischen Auswirkungen diese Zeit hat“, so die Forscherinnen. Mit dem Ziel, sich für die Zukunft möglicherweise gegen solche Ausnahmesituationen besser zu wappnen, aber auch um Psychotherapeuten Handlungsempfehlungen geben zu können. Fest steht: Jeder wird seine ganz speziellen Erinnerungen abspeichern. Und sich in den schönen Momenten des Lebens eher an Positives erinnern. Nur eine Erkenntnis zählt gleichermaßen für alle: Menschen sind nichts ohne ihre Erinnerungen.