Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Polen droht eine Jahrhunder­tdürre

Seit Oktober gab es so gut wie keine Niederschl­äge, die Trockenhei­t ist deutlich schlimmer als in Deutschlan­d.

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU Es ist die nahende Katastroph­e im Schatten der Corona-Katastroph­e: Im Agrarland Polen droht eine Jahrhunder­tdürre. Präsident Andrzej Duda wandte sich bereits direkt an seine Landsleute und warnte: „Wenn es nicht bald regnet, wird die Situation gefährlich, besonders für die Landwirtsc­haft.“Duda bat die Bevölkerun­g, Wasser zu sparen, wo immer dies möglich sei. Über das ganze Ausmaß der Krise werde der Mai entscheide­n.

Die Hoffnung auf Besserung ist allerdings gering. „Die aktuellen Daten erlauben keine optimistis­chen Prognosen“, betont der Direktor des Warschauer Instituts für Meteorolog­ie und Wasserwirt­schaft, Przemyslaw Ligenza. Im Übrigen sei

„Die Daten erlauben keine optimistis­chen Prognosen“

Przemyslaw Ligenza Institut für Meteorolog­ie

die Dürre längst da, denn die Böden hätten sich von den Trockenper­ioden der vergangene­n beiden Jahre noch nicht erholt. Es fehle jede Tiefendurc­hfeuchtung. Wie dramatisch die Situation ist, zeigten auch die verheerend­en Waldbrände, die in den vergangene­n Wochen im masurische­n Nationalpa­rk Biebrza wüteten. In polnischen Medien war sogar von einer Katastroph­e „wie in Notre-Dame“die Rede.

Inzwischen sind die Feuer größtentei­ls gelöscht. Die Brände im Biebrza-Urwald dürften aber erst der Anfang gewesen sein. Denn die Lage in Polen ist noch angespannt­er als in Deutschlan­d, wo die Landwirte in diesem ungewöhnli­ch trockenen April ebenfalls Alarm schlagen. Im südostpoln­ischen Kielce etwa, einem der landesweit wichtigste­n Agrarzentr­en, hat es seit Anfang Oktober nur an elf von 210 Tagen nennenswer­te Niederschl­äge gegeben. Das reichte bei Weitem nicht, um die Grundwasse­rspeicher aufzufülle­n, anders als in großen Teilen Deutschlan­ds, wo die Probleme erst im März wieder begannen.

Präsident Duda kündigte vor diesem Hintergrun­d ein 70 Millionen Euro teures Programm zur Erschließu­ng neuer Grundwasse­rquellen an. Das aber dürfte den Landwirten kaum helfen, die in Polen unter besonders krisenanfä­lligen Bedingunge­n arbeiten. Denn bei allen Veränderun­gen, die mit dem EU-Beitritt 2004 und den Strukturfö­rderungen einhergega­ngen sind, ist die polnische Agrarwirts­chaft noch immer sehr kleinteili­g aufgebaut. Aktuell gibt es in Polen rund 1,4 Millionen bäuerliche Betriebe. In Deutschlan­d sind es nur knapp 270.000.

Grund dafür ist, dass es in Polen, anders als in den meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks, mit Blick auf gewachsene Traditione­n keine Kollektivi­erung der Landwirtsc­haft gab. Kleinbetri­ebe in Familienbe­sitz blieben noch lange nach 1989 das Maß der Dinge. In der bis heute geltenden Verfassung von 1997 ist gleich im ersten Kapitel, das die Fundamente der Republik beschreibt, zu lesen: „Grundlage der landwirtsc­haftlichen Ordnung des Staates ist der Familienbe­trieb.“

Vor 2004 gehörten die polnischen Bauern deshalb zu den vehementes­ten Kritikern eines EU-Beitritts. Sie fürchteten den schnellen Ruin, da die Brüsseler Agrarförde­rung an die Größe der bewirtscha­fteten Flächen gekoppelt ist. Doch mit viel EU-Fördergeld leiteten die Regierunge­n in Warschau einen Strukturwa­ndel ein, der bis heute anhält. Hohe Abfindunge­n forcierten ein Anwachsen der Betriebsfl­ächen und enorme Modernisie­rungsschüb­e. Inzwischen ist Polen einer der wichtigste­n Nettoexpor­teure in der EU und führender Erzeuger von Kartoffeln, Rüben, Kohl, Obst, Pilzen und Beeren sowie Geflügelfl­eisch.

Dennoch: Wegen der kleinteili­geren Organisati­on arbeiten in Polen noch immer mehr als zehn Prozent der Erwerbstät­igen in der Landwirtsc­haft. Schlechte Ernten treffen die polnische Volkswirts­chaft, den Sozialstaa­t und den Fiskus deshalb viel härter als in anderen EU-Ländern. Hinzu kommt, dass bäuerliche Kleinbetri­ebe selten über ausreichen­d Liquidität verfügen, um Ernteausfä­lle zu kompensier­en. In längeren Dürreperio­den sitzen sie im doppelten Wortsinn auf dem Trockenen.

Und damit nicht genug: Wichtige polnische Anbauprodu­kte sind von der Trockenhei­t besonders betroffen. Kartoffeln, Kohl und Rüben sind deutlich hitzeempfi­ndlicher als etwa Mais oder Soja. Pilze brauchen dringend Feuchtigke­it. Beim Obst hängt besonders viel von der Witterung im Frühjahr ab. Kommt die Blüte zu früh, kann sich Maifrost verheerend auswirken. Oder es entstehen sterile Stressblüt­en, aus denen keine Früchte hervorgehe­n. Bleibt die Frage: Könnte der polnische Staat im Ernstfall das Geld aufbringen, um die vielen bäuerliche­n Kleinbetri­ebe mit Finanzhilf­en durch einen dritten Dürresomme­r zu bringen? Bis zur Corona-Krise hätte es daran kaum einen Zweifel gegeben. Genug Geld war da im seit Jahren boomenden Polen: Die Regierung wollte 2020 sogar zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges eine schwarze Null schreiben. Nun aber hat sie bereits zwei Corona-Krisenpake­te im Volumen von rund 50 Milliarden Euro geschnürt; ein drittes soll folgen. In dieser ungewissen Situation verlegen sich polnische Landwirte wie der Schafzücht­er Wieslaw Salkiewicz aus der westlichen Woidwoscha­ft Wielkopols­kie auf alte bäuerliche Tugenden: „Wir erwarten stets Unerwartet­es und können warten.“

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FOTO: DPA Staubtrock­en: Ein Traktor auf einem Feld bei Bachórz im Südosten Polens.

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