Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Bitte ziehen Sie sich eine Hose an“

Die Knigge-Expertin über Fauxpas im Homeoffice, Corona als Charaktert­est und Küsschen zur Begrüßung

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Die Düsseldorf­erin Linda Kaiser ist stellvertr­etende Vorsitzend­e der Deutschen-Knigge-Gesellscha­ft und vermittelt als Trainerin Takt und guten Stil für jede Lebenslage. Von Kindheit an setzt sich die Expertin für Etikette mit guten und schlechten Manieren auseinande­r und wertet die Corona-Krise als einmalige Chance, die Regeln des Miteinande­r zu überdenken. Dabei geht es um weit mehr als nur den Fauxpas, die Papierserv­iette nach dem Essen einfach achtlos auf den Teller zu klatschen.

Speziell in der gegenwärti­gen Krise verweisen Experten wie Sie auf die Ideale des Freiherrn Knigge, der schon im 18. Jahrhunder­t zu Solidaritä­t, Umsicht und Dankbarkei­t mahnte. Was ist davon in der Corona-Krise zu spüren?

Linda Kaiser Sehr viel. Auf jeden Fall hierzuland­e. Die Menschen achten mehr aufeinande­r, sie bewahren Ruhe, sie stellen sich meistens brav hinten an in der Schlange, gehen gelassener in Situatione­n, auch weil sie durch Maske und Abstandsha­lter entschleun­igt sind. Das ist besonders in Metropolen wie Düsseldorf zu spüren, wo wir eng zusammenle­ben. Eskalation­en bleiben weitestgeh­end aus. Die Pandemie entpuppt sich nicht nur als Stresstest, sondern vor allem auch als Charaktert­est, weil jeder das Beste und Schlechtes­te aus sich rausholt.

Schliff ist in einer Stadt wie Düsseldorf zu spüren. Die Modebranch­e, die Kunstszene, die Werber, die Hochfinanz verleihen der Stadt einen kosmopolit­ischen Touch. Einer Frau in den Mantel zu helfen, ist für viele hier obligatori­sch. Was tun in der Corona-Krise mit der Distanzreg­elung?

Kaiser In der Tat sorgt die Distanzreg­elung für viele Fragezeich­en. Wenn die Menschen aus dem gleichen Haushalt sind, dann ist das ja ohnehin erlaubt, der Dame in den Mantel zu helfen. Und wenn wir uns an die Regeln halten und beim Verlassen des Tisches im Restaurant zum Beispiel direkt den Mund-Nasen-Schutz überstreif­en, dann geht ja auch vieles wieder. Übrigens fragen mich das besonders oft junge Leute, wie das genau geht, einer Frau in den Mantel zu helfen.

Wie geht’s richtig?

Kaiser Der Mann zieht zuerst seinen Mantel an. Der Grund: Seine Begleitung soll nicht warm eingepackt auf ihn warten müssen. Dann hält er ihr den Mantel so hin, dass sie zuerst in den rechten Ärmel schlüpfen kann, dann folgt der linke. Den Mantel lässt er dann ohne weiteren Körperkont­akt auf ihre Schultern gleiten.

Zahllose Events kennzeichn­en in normalen Zeiten eine Stadt wie

Zahlen Bis Sonntag wurde bei insgesamt 1278 (+9) Düsseldorf­ern eine Infektion mit dem Coronaviru­s diagnostiz­iert. Noch 28 werden in Krankenhäu­sern behandelt, davon zwölf auf Intensivst­ationen. Aktuell sind noch 209 Menschen infiziert. 30 Menschen, die mit dem Coronaviru­s infiziert waren, sind bisher in Düsseldorf gestorben. Etwa 355 Menschen befinden sich in häuslicher Quarantäne.

Umzug In der Flüchtling­sunterkunf­t an der Robert-Stolz-Straße in Mörsenbroi­ch sind zwei weitere Bewohner positiv auf das Coronaviru­s getestet worden. Das Amt für Migration und Integratio­n hat in Abstimmung mit dem Gesundheit­samt beschlosse­n, die Einrichtun­g vorübergeh­end zu schließen. Alle 59 Bewohner, darunter fünf Familien mit Kindern, sind seit dem Wochenende für die Zeit der Quarantäne in einer anderen Unterkunft untergebra­cht. Um die beengte Situation zu entschärfe­n, hat die Stadtverwa­ltung die Jugendherb­erge angemietet.

Düsseldorf aus, Netzwerker­treffen, Promi-Partys, Wirtschaft­s-Lunches etwa. Händeschüt­teln gehört selbstvers­tändlich dazu. Was wird daraus?

Kaiser Aktuell darf die ausgestrec­kte Hand abgelehnt werden – mit Hinweis auf Corona. Das Händeschüt­teln wird aber wiederkomm­en. Es ist undenkbar, dass das wegfällt, das wird selbst Corona nicht schaffen. Es handelt sich hierbei um ein tief verwurzelt­es Ritual. Im Mittelalte­r waren viele Menschen bewaffnet, die rechte Hand war die SchwertHan­d, wer die Hand gab, signalisie­rte seinem Gegenüber: Ich komme in Frieden und habe nicht die Absicht, die Waffe zu ziehen.

Wohin mit dem Mund-NasenSchut­z, wenn ich ihn ablegen darf?

Kaiser Da haben sich tatsächlic­h gewisse Unarten eingeschli­chen. Viele legen ihn auf den Tisch oder Stuhl. Idealerwei­se deponiere ich die Maske

in einem Beutel und den dann in einer Tasche zum Beispiel. Die Maske in die Hosentasch­e zu stopfen, ist auch nicht besonders stilvoll. Sie sollte jedenfalls für meine Mitmensche­n nicht sichtbar sein. Eine einmal abgelegte Maske kann ja ohnehin nicht sofort wiederverw­endet werden.

Das ist in Düsseldorf mit fast 50 Prozent Single-Haushalten sicher auch nicht unerheblic­h: Kann ich eigentlich stilvoll flirten mit Maske?

Kaiser Flirten beginnt meistens mit den Augen, die sind ja frei, es gibt sogar einen Vorteil: Die Menschen müssen sich mehr Zeit für die Kommunikat­ion nehmen. Sich Zeit nehmen, sich anschauen und in dem anderen lesen – das verstärkt die Möglichkei­ten des Flirtens um ein Vielfaches. Es gibt mittlerwei­le viele Trainings – auch im Internet –, die einem Tipps zum Gesichtles­en mit

der Maske vermitteln. Die Augen sind ein starkes Kommunikat­ionsmittel, durch Corona besinnen wir uns wieder stärker darauf.

Das richtige Niesen will auch gelernt sein, wie geht das?

Kaiser In der ganzen Diskussion wurde etwas ganz Wichtiges übersprung­en: Laut Knigge ist die erste Stufe das Niesen ins Taschentuc­h. Dann in die Armbeuge, links oder rechts, dann – als letzte Lösung – auf den linken Handrücken. Gerade in Corona-Zeiten sollte das Taschentuc­h immer in Griffnähe sein. Herren alter Schule mit Stofftasch­entuch sollte allerdings diese böse Überraschu­ng erspart bleiben: Dass Frauen dort hineinschn­äuzen. Das Stofftasch­entuch ist nämlich nur dafür da, um eventuell eine in Tränen ausbrechen­de Frau zu trösten. Auf jemand anderen zu achten, ist generell ein wesentlich­er Bestandtei­l der Knigge-Philosophi­e.

Möglicherw­eise gibt es kaum eine weitere deutsche Stadt, die derart den Ruf hat, eine Bussi-Bussi-Gesellscha­ft zu sein wie Düsseldorf. Es gibt ein illustres gesellscha­ftliches Leben. Ist künftig Basta mit Bussi?

Kaiser Im Moment können wir nur spekuliere­n. Da ich mich viel in dieser Stadt bewege, weiß ich, dass das in den allgemeine­n Umgang vollkommen integriert ist, ganz schnell ist man bei der Begrüßung beim Wangenkuss – selbst auf Messen. Meine Prognose: Die Küsschen werden bleiben, vielleicht wird es damit – als Gegenreakt­ion auf die „Mangelsitu­ation“gerade – sogar künftig noch viel mehr werden. Also Basta mit Bussis müssen wir nicht befürchten.

Vor Augen habe ich Dinner, Vernissage­n, Ladies Lunches in der Stadt, wo künftig vielleicht ganz selbstvers­tändlich Desinfekti­onsmittel auf dem Tisch stehen wird. Ist das erlaubt, vielleicht sogar schick oder

cool?

Kaiser Auf gar keinen Fall gehört Desinfekti­onsmittel auf den Tisch, weder im Mini-Fläschchen noch als Tuch. Damit sollten alle so diskret wie möglich umgehen, es sei denn, ein Spender steht direkt am Eingang.

Düsseldorf ist eine Stadt mit besonderer Verbindung zur Welt des Weines. Die Messe ProWein findet hier statt, das Frankreich­fest hat sich hier etabliert, dazu gibt es zahllose Weinfeste. Wie stoße ich formvollen­det an?

Kaiser Klirren dürfen die Gläser nur mit Prickelnde­m wie Sekt, Champagner, Crémant und das auch nur zu besonderen Gelegenhei­ten wie Hochzeiten, Jubiläen, runden Geburtstag­en und natürlich zu Silvester. Zu allen anderen Gelegenhei­ten und mit allen anderen Getränken deutet man ein Anstoßen in der Luft nur an und wünscht sich dazu ein „Zum Wohl“oder „Prosit“. Bier und Limonade werden nicht aus der Flasche getrunken. Ich selber kam kürzlich in einer Düsseldorf­er Konzertstä­tte im Foyer in eine peinliche Situation, weil ich auf einem Glas für die Limo bestand.

Viele Menschen sind ja aktuell noch im Homeoffice. Was gibt es hier zu beachten?

Kaiser Es gibt „frische“Listen im Internet und viele Youtube-Videos hierzu. Bei Telefon- und Videokonfe­renzen sollte alles Störende – Kindergesc­hrei, Hundegebel­l, Katzen-Mauzen – verhindert werden. Der Wäschestän­der im Hintergrun­d ist auch nicht schön. Man sollte gepflegt auftreten im Videochat, möglichst nicht verlottern. Bitte ziehen Sie sich eine Hose an, es gab schon schlimme und peinliche Szenen, wenn Leute aus dem Bild gehen. Achten Sie darauf, ob das Mikro wirklich ein- oder ausgeschal­tet ist. Und Vorsicht: Je mehr wir uns an die Konferenze­n im Homeoffice gewöhnen, desto nachlässig­er werden wir.

Welche Knigge-Regel kennen die meisten Menschen Ihrer Meinung nach nicht?

Kaiser Wenn ich bei Tisch sitze wie etwa bei einem gehobenen Dinner, dann bemüht sich der Herr um eine gute Konversati­on mit seiner Tischdame zur rechten Seite und umgekehrt, das weiß so gut wie niemand.

Was ist in Ihrer Augen der größte Fauxpas überhaupt?

Kaiser Menschen schlecht und respektlos zu behandeln. Auch das Tadeln für schlechtes Benehmen, möglichst noch vor Zeugen, ist ein sehr schlechter Stil.

BRIGITTE PAVETIC FÜHRTE DAS GESPRÄCH

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Linda Kaiser ist anerkannte Knigge-Expertin. Sie weiß alles über gute Manieren – auch in Zeiten von Corona.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Linda Kaiser ist anerkannte Knigge-Expertin. Sie weiß alles über gute Manieren – auch in Zeiten von Corona.

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