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Trumps Tote

Rund 100.000 Corona-Tote verzeichne­n die USA inzwischen. Die Verantwort­ung für diese Misere sieht das Volk zunehmend beim Präsidente­n. Dessen politische­s Überleben ist durch Covid-19 akut in Gefahr.

- VON JULIAN HEISSLER

Vor den amerikanis­chen Regierungs­gebäuden flogen die Flaggen in den vergangene­n Tagen auf halbmast. Am Montag begingen die USA den Memorial Day, einen Gedenktag für die Soldaten, die im Dienst ums Leben gekommen sind. Doch in diesem Jahr trauerten die Amerikaner nicht nur um ihre Gefallenen. Die gesenkten Fahnen sollten auch die mittlerwei­le fast 100.000 Menschen ehren, die allein in den Vereinigte­n Staaten mittlerwei­le durch die globale Covid-19-Pandemie verstorben sind. So hatte es US-Präsident Donald Trump vergangene Woche angeordnet.

Es ist eine Geste, die über die Parteigren­zen hinweg gewürdigt wurde. Und doch wirkt sie auf viele Amerikaner leer. Dass die Zahl der bestätigte­n Corona-Toten nun ins Sechsstell­ige gehen wird – eine Schwelle, von der Trump noch im April behauptete, dass das Land sie nie überschrei­ten werde –, ist ein Schock. Und auch wenn in allen 50 Bundesstaa­ten derzeit die Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n stückweise abgebaut werden, erwartet die US-Bevölkerun­g nicht, dass der Schrecken bald vorbei sein wird. Einer aktuellen Umfrage zufolge glauben zwei Drittel der Amerikaner, dass es noch mindestens sechs Monate dauern wird, bis die Normalität in ihren Alltag zurückkehr­t

Die Verantwort­ung für die Misere schreibt die Bevölkerun­g zunehmend dem Mann im Weißen Haus zu. Sie stellen dem Krisenmana­gement der Trump-Administra­tion ein vernichten­des Urteil aus. Nicht einmal mehr ein Drittel der US-Bürger glaubt, die Bundesregi­erung mache in der Pandemie einen guten Job. Auch die Zustimmung­swerte für den Präsidente­n rutschen immer weiter ab. Weniger als ein halbes Jahr vor der Wahl bedroht Covid-19 damit nicht nur die Gesundheit der Bevölkerun­g, sondern auch das politische Überleben von Donald Trump.

Dabei hätte es anders kommen können. Nachdem das Virus im März die USA mit voller Wucht erreicht hatte, versammelt­en sich die Amerikaner zunächst hinter dem Präsidente­n. Seine traditione­ll schwachen Zustimmung­swerte stiegen spürbar. Doch Trump verspielte den Vertrauens­vorschuss, da er die Bedrohung zunächst nicht ernst nahm.

Die Bundesregi­erung brauchte Monate, bis sie etwa Corona-Tests halbwegs flächendec­kend zur Verfügung stellen konnte. Krankenhäu­ser beklagten das Fehlen von Schutzklei­dung und andere wichtige Ausrüstung­sgegenstän­de wie Beatmungsg­eräte. Gleichzeit­ig verwirrte der Präsident die Bevölkerun­g, indem er die Ratschläge der medizinisc­hen Experten in seiner Regierung infrage stellte und sich in Kleinkrieg­en mit demokratis­chen Gouverneur­en verzettelt­e.

Noch als in New York die Leichen bereits mit dem Gabelstapl­er in Kühl-Lkw verladen wurden, empfahl Trump vom Podium des Weißen Hauses unerprobte Medikament­e als Wundermitt­el gegen Covid-19 und lobte nicht nur die Leistung seiner Mannschaft, sondern auch die Einschaltq­uoten seiner Pressekonf­erenzen. Die Verhandlun­gen über die teils billionens­chweren Rettungspa­kete, die Millionen Amerikaner zumindest ein wenig entlasten sollten, überließ er hingegen seinem Finanzmini­ster.

Mit Blick auf die Wahl verzichtet­e Trump zudem lange Zeit auf drastische Maßnahmen, die eine Ausbreitun­g von Corona womöglich verlangsam­t hätten. Zu groß war die Sorge im Weißen Haus vor einem Absturz der Wirtschaft.

Das Zögern kostete wohl Tausende Menschenle­ben. Laut einer aktuellen Studie der Columbia University könnte die Zahl der Toten heute um bis zu 36.000 niedriger liegen, hätten die USA ihre Anti-Corona-Maßnahmen nur eine Woche früher verhängt. Gleichzeit­ig konnte die verhaltene Reaktion der Administra­tion die Konjunktur nicht retten. Allein im ersten Quartal stürzte das

Nicht einmal mehr ein Drittel der US-Bürger glaubt, die Regierung mache in der Pandemie einen guten Job

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