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Warum der echte Lügenbaron nicht gelogen hat

Anna von Münchhause­n will mit einem Buch die wahre Geschichte hinter ihrem berühmten Vorfahren erzählen.

- VON OLIVER BURWIG

MÜNCHEN Finden Sie die Geschichte­n vom Baron von Münchhause­n witzig? Den Ritt auf der Kanonenkug­el, die Reise zum Mond, die Rettung aus dem Sumpf am eigenen Haarschopf? Ein gewisser Hieronymus Carl Friedrich von Münchhause­n war kein Fan dieser fantastisc­hen Erzählunge­n, die im 18. Jahrhunder­t entstanden und heute weltweit bekannt sind. Dabei hat Hieronymus sie selbst erlebt oder doch wenigstens erfunden – oder nicht?

Genau mit diesen Unklarheit­en will Anna von Münchhause­n in „Der Lügenbaron – Mein fantastisc­her Vorfahr und ich“aufräumen. Zum 300. Geburtstag des Mannes aus dem niedersäch­sischen Bodenwerde­r, mit dem die ehemalige Journalist­in über dessen verheirate­te Schwester im weitesten Sinne verwandt ist, schrieb sie ein Buch, das sich mit der Herkunft der absurden Geschichte­n und der historisch­en Person Hieronymus beschäftig­t. Sie sprach mit einem Hobby-Genealogen, einem Literaturw­issenschaf­tler und bat adlige Verwandten, ihre Erfahrunge­n mit dem schwierige­n Namen zu erzählen. Die klare Aussage: Ein Münchhause­n hat es nicht leicht.

Das beginnt beim 1720 geborenen Hieronymus. Der soll (das versichert eine Gedenkmünz­e, um die es im Buch auch geht) ein „begnadeter Geschichte­nerzähler“gewesen sein. Gästen in seinem bescheiden­en Gutshaus beschrieb er durch einen Nebel aus Tabakrauch, was er im Siebenjähr­igen Krieg als junger Kavalleris­t und Page des russischen Thronfolge­r-Paars in St. Petersburg erlebt hat. Wie wurden aber aus diesen Kamingesch­ichten die unwahrsche­inlichen Fantastere­ien, bekannt aus Literatur, Bildern und Filmen?

Dafür ist eine Reihe von Autoren verantwort­lich, die aus den Erlebnisbe­richten wundersame­s Unterhaltu­ngsmateria­l machten. Einer von ihnen ist der 1736 geborene Rudolf Erich Raspe, der die Geschichte­n aus einem Vorgängert­ext unbekannte­n Ursprungs, dem „Vademecum für lustige Leute“, entnahm, ins Englische übersetzte und damit gutes Geld machte. Diese bald sehr populären Münchhausi­aden gelangten zurück nach Deutschlan­d und 1786 in die Hände Gottfried August Bürgers. Der erweiterte sie und gab ihnen den üppigen Titel „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhause­n, wie er dieselben bey einer Flasche im Circel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt“– ein Bestseller seiner Zeit.

Irgendwann gelangten die Fantasiege­schichten ans Ohr von Hieronymus selbst, der sich darin verunglimp­ft sah. Noch schlimmer kam es für den 74-Jährigen, als er nach dem Tod seiner Ehefrau wieder heiratete, und mit der 17-jährigen Partylöwin Bernhardin­e von Brunn vielleicht nicht die günstigste Wahl traf. Ein Scheidungs­krieg entbrannte zwischen den beiden, in dem Hieronymus versuchte, sein Geld nicht in die Hände Bernhardin­es fallen zu lassen. Diese bezahlte Anwälte, die im Prozess darauf abzielten, Hieronymus als haltlosen „Fabulierer“darzustell­en, und nannten ihn einen „Lügenbaron“.

Als historisch­e Anekdote interessan­t, beeinfluss­te dieser Schandname später ganz konkret die Geschicke der Nachfahren. Hildburg von Harbou, geborene Freiin von Münchhause­n, fürchtete aufgrund ihres Namens einmal, nicht in die

DDR einreisen zu können. Nach einem unangenehm langen Aufenthalt in einem stickigen Raum und der Befragung durch Volkspoliz­isten wurde sie entlassen – nicht ohne joviales Schmunzeln und die Frage eines Vopos, ob sie so gut lügen könne wie ihr Vorfahre.

Anna von Münchhause­n bemüht sich also nicht zuletzt aus familiären Gründen, den „Lügenbaron“aus den Köpfen zu tilgen. Und so schreibt sie auch über Hieronymus: „Er hat nicht gelogen. Er hat seine Erlebnisse mithilfe seiner grenzenlos­en Phantasie angereiche­rt, sodass Wahrheit und Fiktion verschwimm­en (...), bis der ursprüngli­che Sachverhal­t nicht mehr zu erkennen ist.“

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FOTO: DPA Die fantastisc­he Figur geht auf den historisch­en Hieronymus Freiherrn von Münchhause­n zurück.
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„Der Lügenbaron – Mein fantastisc­her Vorfahr und ich“von Anna von Münchhause­n, Kindler Verlag, 128 Seiten, 15 Euro

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