Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Menschen sehnen sich nach Licht im Dunkel“
Der Präsident des Schaustellerbundes spricht über die ausgefallenen Weihnachtsmärkte, die Not der Branche und das Hoffen auf 2021.
Noch im Oktober hatten Sie die Hoffnung, Weihnachtsmärkte könnten trotz der Corona-Pandemie stattfinden. Jetzt kommt das Aus. Eine auch für Sie nachvollziehbare Entscheidung der Politik?
RITTER Wir haben von Anfang an mit externen Fachleuten Hygienemaßnahmen erarbeitet, die auch für große Freizeitparks solche Konzepte erstellt haben. Genauso verantwortlich haben wir ein Konzept für die Weihnachtsmärkte geschrieben. Und da die ja im Freien stattfinden, waren wir sehr positiv gestimmt. Aber der „Lockdown light“hat unsere Hoffnungen zerstört.
Sie sprachen seinerzeit vom Weihnachtsmarkt als „sicheres Frischluft-Freizeitangebot im CoronaWinter 2020“. Hat sich Ihre Einschätzung geändert?
RITTER Absolut nicht. Wenn Baumärkte geöffnet haben und man auch fliegen darf – was spricht dann dagegen, an der frischen Luft auf einem Kinderkarussell zu sitzen oder mit Familienmitgliedern in einem Riesenrad? Aber es ist müßig, darüber zu diskutieren. Wir müssen uns den Entscheidungen fügen.
Misst die Politik mit zweierlei Maß?
RITTER Was im Moment passiert, ist ja eine Umkehr des Grundgesetzes: Die Unschuldigen werden bestraft. Wir haben das selbst im Sommer in Hamm erlebt. Da gab es einen vorübergehenden Freizeitpark auf 30.000 Quadratmetern mit Abtrennungen und Einbahnstraßen. Dann gab es in Hamm Infektionen nach einer Großhochzeit. Aber man hat nicht im privaten Bereich Konsequenzen gezogen, sondern unseren Freizeitpark geschlossen. Noch ein Beispiel: Innenveranstaltungen mit Lufttauscher sind eventuell genehmigungsfähig, aber wir dürfen im Freien nichts machen.
Was erwarten Sie jetzt von der Politik?
RITTER Wir haben eine klare Grundforderung, die heißt: Solange für uns ein faktisches Berufsverbot gilt, muss es Hilfszahlungen geben. Keine Kredite, denn die muss man ja zurückzahlen. Wir haben seit dem Weihnachtsmarkt 2019 kein Geld mehr verdienen können. Wenn wir nicht mit unserer Hände Arbeit unser Brot verdienen können, dann muss der Staat, der uns abschaltet, zahlen. Wir sind aber dankbar, dass anerkannt wird, dass wir Schausteller zu denen gehören, die ein Sonderopfer bringen.
Kommen die Hilfen schnell genug?
RITTER Nicht immer. Nehmen Sie die Überbrückungshilfe II: Da wurden für die gesamte deutsche Wirtschaft 25 Milliarden Euro zugesagt, von denen aber bisher nur 2,8 Milliarden Euro abgerufen worden sind. Das liegt nicht daran, dass es den Unternehmen plötzlich bessergeht.
Sondern?
RITTER An der Bürokratie bei der Antragstellung. Wenn ich ein Karussell lease, kann ich das ansetzen. Wenn ich dafür einen Kredit aufnehme, um Vermögen zu schaffen, kann ich die Tilgung nicht beantragen. Aber das soll ja mit der Überbrückungshilfe III im Januar anders werden. Da kommt dann – wenn auch nur in geringem Umfang – der Unternehmerlohn
rein. Man darf sich von der Überbrückungshilfe keine Lebensmittel kaufen. Sie darf nur für Betriebsausgaben verwendet werden.
Wie wichtig wären die Weihnachtsmärkte für Sie gewesen?
RITTER Es gibt ungefähr 7500 Kirmesveranstaltungen während des Jahres mit 190 Millionen Besuchern und ungefähr 3000 Weihnachtsmärkte mit 160 Millionen Besuchern, die in der vorweihnachtlichen Stimmung entsprechend ausgabefreudig sind. Daran können Sie absehen, welche Bedeutung die Weihnachtsmärkte haben. Das Weihnachtsgeschäft macht etwa 40 Prozent der Umsätze aus.
Wann rechnen Sie wieder mit normalen Verhältnissen und Kirmesveranstaltungen, wie wir sie kennen?
RITTER
Da sind wir auch abhängig von der Politik. Wenn man dem Bundesgesundheitsminister glaubt, sind Volksfeste erst dann möglich, wenn die Bevölkerung in großen Teilen geimpft ist. Wir müssen also abwarten.
Haben Sie unter solchen Voraussetzungen nicht Angst davor, dass zumindest auch die Volksfeste im Frühjahr 2021 ausfallen müssen?
RITTER Natürlich haben wir diese Angst. Die Ungewissheit, wann wir wieder loslegen können. ist das Schlimmste. Das belastet die Psyche extrem.
Experten sagen für 2021 eine Pleitewelle voraus. Was heißt das für Sie?
RITTER Sollte es diese Welle tatsächlich geben, dann schlägt das natürlich auf uns durch.
Unabhängig von der Finanzkraft der Besucher: Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass viele
sich ins Private zurückführen. Kann dieser Rückzug ins Private das öffentliche Feiern auf Dauer verändern oder gar gefährden?
RITTER Das glaube ich nicht. Lassen Sie es mich mit Papst Franziskus formulieren. Der hat über uns gesagt: Die Schausteller bringen Licht in das Dunkel der Welt. Die Menschen sehnen sich nach solchen Veranstaltungen. Kirmes und Weihnachtsmarkt sind Tradition, das sind Veranstaltungen mit besonderem Flair, die die Menschen haben möchten.
Was vermissen Sie persönlich am meisten, wenn jetzt die Weihnachtsmärkte ausfallen? Glühwein, Lebkuchen, Bratwurst?
RITTER Am meisten vermisse ich die Menschen, dieses Miteinander und die Gespräche mit den Besuchern.
HORST THOREN UND GEORG WINTERS STELLTEN DIE FRAGEN.