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IHK: Dachverband im Fadenkreuz der Kritik
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bringt den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) unter Druck. Austrittsgesuche beschäftigen auch die IHK Mittlerer Niederrhein. Heute wird die Vollversammlung informiert.
RHEIN-KREIS Fünf Mitgliedsunternehmen der IHK Mittlerer Niederrhein fordern den Austritt der Kammer aus ihrem Dachverband, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem bundesweit 79 Kammern angehören. IHK-Präsident Elmar te Neues und Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz werden am Dienstag (1.) über den Vorgang in der Vollversammlung informieren, die als „Parlament“der Kammer zusammentritt. Beschlüsse sind indes nicht zu erwarten. „Wir nehmen das Thema sehr ernst“, sagt Steinmetz zwar, aber er fügt hinzu: „Eine qualifizierte Behandlung ist erst möglich, wenn schriftliche Urteilsgründe vorliegen.“
Die Austrittsgesuche folgen auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Mitte Oktober. Die Leipziger Richter hatten in letzter Instanz mit ihrem Spruch einen dreizehn Jahre währenden Rechtsstreit beendet: Die IHK Nord-Westfalen muss den Dachverband DIHK verlassen. Begründung: Kompetenzüberschreitung und mangelnde Berücksichtigung von Mindermeinungen. Erfolgreich geklagt hatte ein Windkraft-Unternehmer aus Münster.
Im Kern geht es um die Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Dessen Verlautbarungen müssen, so sagt es der Gesetzgeber, einen klaren Wirtschaftsbezug haben und müssen ausgewogen sein. Nach Ansicht des Gerichts hat sich der DIHK aber in der Vergangenheit zu allgemein politischen Themen außerhalb seines Kompetenzbereichs geäußert. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet, er habe sich in Fragen der Umweltund Klimapolitik einseitig positioniert. Die Leipziger Entscheidung, von der das Handelsblatt als „Maulkorb-Urteil“berichtet, führte dazu, dass der DIHK seine Öffentlichkeitsarbeit nahezu komplett auf Null gefahren hat, wohl auch, um eine Wiederholungsgefahr auszuschließen.
Der „Weckruf aus Leipzig“wird in der IHK-Landschaft vielfach diskutiert, so auch am Mittleren Niederrhein, wo 78.000 Unternehmen der Kammer angehören; darunter die Unternehmen aus dem RheinKreis. Die Botschaft ist angekommen. „Diese Klarstellung durch das Gericht hilft uns“, sagt Christoph Buchbender. Der Vorstand der Neusser Rheinland-Versicherung forciert als Vize-Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein das regionale Element in Meinungsbildung und Entscheidungsprozessen: Das Engagement in den Workshops zur Formulierung der Wirtschaftspositionen im Vorfeld der Kommunalwahlen sei in Neuss so groß gewesen, dass vier Veranstaltungen erforderlich gewesen seien, wo lediglich zwei geplant waren. Buchbender: „Die IHK ist für ihre Mitgliedsunternehmen da – und nicht umgekehrt.“Für Susanne Thywissen (Live-/Unternehmenskommunikation), ebenfalls Vize-Präsidentin aus Neuss, ist die Beteiligung kleiner Betriebe extrem wichtig: „Meinung wird von unten aufgebaut.“
Joerg Dederichs, Manager beim Multitechnologiekonzern 3M, komplettiert das Trio der Neusser Vize-Präsidenten. Er zeigt Verständnis für den Münsteraner Kläger: „Wenn ich als Unternehmer in der Sparte Erneuerbare Energie engagiert bin und meine Interessen nicht beachtet werden, dann bin ich natürlich unzufrieden.“Susanne Thywissen bricht aber auch eine Lanze für die Bedeutung des Dachverbandes:
„Wir als exportstarker Niederrhein benötigen den Bezug zu Europa und zur Welt. Eine starke IHK, ein starker DIHK mit seinen Auslandshandelskammern hilft uns, dass sich auch kleine und mittelständische Unternehmen international gut aufstellen können.“
Damit steht die Frage im Raum: Wo endet in einer globalisierten Welt der Wirtschaftsbezug und wo beginnt die Allgemeinpolitik? Für Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz schafft das Leipziger Urteil vor allem eins: „Klarheit!“. Wichtig sei die konsequente Ausrichtung der IHK-Arbeit auf den Wirtschaftsbezug und die Regionalität. Steinmetz nennt mit den kommunalpolitischen Positionen, den lokalen Klimaschutzkonzepten und dem Lieferkettengesetz
Beispiele wie „das hier vor Ort gut umgesetzt worden ist“. Er kündigt an, dass sich die IHK-Gremien weiter mit dem Thema befassen werden. Sein Ziel der Neuausrichtung: „Wir müssen alles tun, um der IHK Westfalen-Nord den Wiedereintritt zu ermöglichen und zu vermeiden, dass andere IHKs auch austreten müssen, denn wir brauchen einen starken Dachverband, der die Arbeit der IHKn koordiniert und die Politikberatung in Berlin und in Brüssel vornimmt.“
Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer beim Bund für freie Kammern (bffk), hegt Zweifel an der Lernfähigkeit der IHK-Gewaltigen. Richtig wäre, so Boeddinghaus gegenüber der NGZ, wenn die IHK Mittlerer Niederrhein noch in diesem Jahr seine Mitgliedschaft im DIHK aufkündige. Der Dachverband habe angesichts früherer Urteile strukturell und vorsätzlich rechtsbrechend gehandelt. Der Austritt der IHK Mittlerer Niederrhein wäre ein „Warnschuss nach Berlin“und sei geeignet die selbstkritische Frage nach inhaltlichen und personellen Konsequenzen zu stellen.
Nach Einschätzung des bffk haben bundesweit bis zu 200 Unternehmen einen Austrittsgesuch jeweils für ihre IHK aus dem Dachverband gestellt.