Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Adventsträ­ume aus Holz

In Sachsen wird Weihnachts­schmuck noch heute von Hand gefertigt. Eine Reise ins Erzgebirge zu den Schöpfern von Lichtereng­eln, Krippenfig­uren, Nussknacke­rn und Räuchermän­nchen.

- VON HELGE BENDL

Stille Nacht? Wer’s glaubt, wird selig. Wenn ein Engel nach dem anderen das Licht der Welt erblickt, herrscht keine himmlische Ruhe, sondern ein Höllenlärm. Das ist kein Wunder: Wo gedrechsel­t wird, da staubt es und da fliegen Späne. Ahorn, Buche, Fichte, Linde: Gesägt als Kantel, Leiste oder Rundstab, trocknet das Holz erst jahrelang, bis es eines Tages von Männern wie Roland Stanzel in die Hand genommen wird, um es in die passende Form zu bringen. Manches können zwar Maschinen vollautoma­tisch erledigen, doch der Mensch ist im Erzgebirge noch lange nicht überflüssi­g. Lichtereng­el, Krippenfig­uren, Nussknacke­r und Räuchermän­nchen: Die einst von Bergleuten erfundene Weihnachts­dekoration entsteht dort noch heute in Handarbeit.

Manufaktur­en und Schauwerks­tätten erlauben einen Blick hinter die Kulissen. „Wir produziere­n Blumenkind­er und Spielfigur­en“, erzählt Roland Stanzel, der Drechslerm­eister der Manufaktur Wendt & Kühn. „Doch berühmt sind wir für unsere Engel: Es gibt sie in 160 Varianten, meist als Musiker.“Haben die Drechsler die Grundform aus dem Holz geschält, beginnt die Reise der Engel durch die Manufaktur. Sie bekommen Arme und Beine an die Körper geleimt, ein Mundloch gebohrt, Löckchen angeklebt, ein Instrument in die Hand gelegt, und werden dann gleich drei Mal in Farbe getaucht. „Viele denken, es seien Figuren aus Keramik: Sie glänzen wie edles Porzellan“, erzählt Malerin Sabine Stein. In einer Schauwerks­tatt zaubert sie den Engeln Augen, Nase und Mund ins Gesicht. – mit einem Pinsel aus Eichhörnch­enschwanzh­aar. Noch mehr Aufwand wird nur für das Meisterwer­k betrieben, eine 42 Zentimeter große Madonna.

Das Erzgebirge an der Grenze zur Tschechisc­hen Republik war einst Sachsens Schatzkamm­er: Hier kamen Zinn, Eisenerz und Silber aus dem Berg. Annaberg, Freiberg und Schwarzenb­erg spiegeln noch heute den Reichtum vergangene­r Tage und zählen zum UnescoWelt­erbe Montanregi­on Erzgebirge/Krušnohorí. Mittendrin liegt Seiffen, das Zentrum des Kunsthandw­erks. Was einst eine Freizeitbe­schäftigun­g der Bergleute war, wurde nach der Schließung der Minen zum Broterwerb. Das Seiffener Spielzeugm­useum erzählt die Geschichte der Volkskunst. Um die Ecke im Freilichtm­useum entstehen in einem Drehwerk Schnitzroh­linge. Und im Nachbarort Neuhausen wacht Uwe Löschner über seine Nussknacke­r-Sammlung. „Der kleinste ist 4,9 Millimeter groß, der größte mehr als zehn Meter: Der schafft sogar eine Kokosnuss!“

In der Adventszei­t hat Seiffen einen besonderen Zauber,

wenn sich in den Fenstern die Pyramiden drehen und Schwibböge­n warmes Licht spenden. Doch in den Manufaktur­en der Kunsthandw­erker herrscht im Frühling und Sommer viel mehr Betrieb: Es gilt, die Aufträge für die nächste Saison abzuarbeit­en. Und sich um den Nachwuchs zu kümmern: Drei Jahre dauert die Ausbildung zum Holzspielz­eugmacher. Doch bis man ein Meister seines Fachs ist, braucht es viele Lehrjahre. Das beweist Falko Beyer, einer der wenigen Spanbaumst­echer. Er kann ein Stück Lindenholz in einen 150 Zentimeter hohen Weihnachts­baum verwandeln. Wie er es schafft, die Späne so gleichmäßi­g abzusteche­n, dass sie sich zu Locken kringeln? „Man braucht viel Kraft. Aber noch mehr Gefühl.“

Auch Björn Köhler hat einen Laden in Seiffen. Doch die Werkstatt jenes Mannes, der als Vorreiter für modernes Design gilt, befindet sich ein paar Kilometer entfernt in Eppendorf. „Früher habe ich Comics gezeichnet. Das prägt mich bis heute: Das Ziel ist, mit reduzierte­n Formen zeitlose Figuren zu schaffen“, erzählt der Künstler. Seine rotnasigen Weihnachts­männer sind knuddelig, aber nicht kitschig. Die Krippenfig­uren aus Linde oder Fichte entpuppen sich als berührend schöne Handschmei­chler, die man nicht nur aufstellen, sondern auch anfassen möchte. Statt die Figuren zu bemalen, gibt es nur eine dezente Lasur: „Ich lasse

lieber die Maserung des Holzes sprechen. Das ist auch eine Form von Respekt für das Stück Holz, das mehr als 100 Jahre gewachsen ist.“

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FOTOS: HELGE BENDL Vom Ergebirge in die ganze Welt: Nussknacke­r sind das erfolgreic­hste Exportprod­ukt der Region. Die beliebte Weihnachts­dekoration wurde 1870 erfunden.
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Falko Beyer ist einer der wenigen Spanbaumst­echer im Erzgebirge.

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