Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Eine Frage der Verantwortung
Kardinal Reinhard Marx gründet eine Stiftung für Missbrauchsopfer und finanziert diese mit 500.000 Euro aus seinem Privatvermögen. Dennoch tut sich die Kirche schwer, aus der eigenen Schuld Konsequenzen zu ziehen.
Es sollte ein wirkmächtiger Akt der Buße und auch der Demut sein: als die deutschen Bischöfe in den Dom zu Paderborn ohne Bischofsstab und ohne Mitra einzogen. Kein Zeichen von Macht sollte bei ihrer Buße für den sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Priester im Wege sein. Das war vor knapp zehn Jahren, und aus heutiger Sicht ist dieser Auftritt der Würdenträger ein Skandal. Als wäre das Ablegen von Stab und Kopfbedeckung auch nur ansatzweise eine angemessene Reaktion auf das unfassbare Leid, das die Kirche vielen, vor allem jungen Menschen angetan hat.
Nun sorgt diese Nachricht für Aufmerksamkeit: Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx gründet eine Stiftung für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Und er stellt dafür den „allergrößten“Teil seines Privatvermögens zur Verfügung, wie es heißt: 500.000 Euro. Ihm sei es ein Anliegen als Erzbischof und auch als Privatperson „alles mir Mögliche zu tun, um Missbrauch zu bekämpfen und aufzuarbeiten“, sagt er. Die Stiftung heißt „Spes et Salus“(„Hoffnung und Heil“).
Auf die zwei Fragen, die sich spontan zu stellen scheinen, gibt es zwei leichte Antworten. Zum einen das Privatvermögen des Kardinals betreffend: Das ist zusammengekommen aus seinen Bezügen als Direktor des Sozialinstituts Kommende Dortmund, als Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät Paderborn und schließlich als Erzbischof mit der staatlichen Besoldungsgruppe B 10 und einem Monatsbrutto von 13.654 Euro.
Die andere Frage: Was sind weitere Gründe dieser Spende? Da ist zum einen seine Zeit als Bischof in Trier mit einem Missbrauchsfall durch einen Diözesanpriester, dem Marx 2006 nach eigenem Eingeständnis nicht nachgegangen ist. Zum anderen soll im Februar ein weiteres unabhängiges Gutachten über
Versäumnisse bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Münchner Erzbistum veröffentlicht werden, das auch die Amtszeit von Marx umfassen wird.
Aber auch das ist bedeutsam: Dass in der Aufarbeitung zwischen der hilflosen Geste der Bischöfe in Paderborn und der Stiftungsgründung jetzt Welten liegen; manche sprechen gar von einer kopernikanischen Wende. Große Worte, die nicht so sehr das Verdienst der Verantwortlichen sind. Denn diese sind in den zurückliegenden Jahren der quälenden, mitunter verletzenden Aufklärungsarbeit erst dazu gebracht worden, Verantwortung für die Verbrechen der Kirche wahrzunehmen. Persönliche Verantwortung für das, was die Kirche Menschen antat.
Wer übernimmt Verantwortung und muss sich dieser stellen? Verantwortung hat mit dem öffentlichen Amt zu tun, das man innehat – und zu dem niemand gezwungen wird. Der Philosoph Hans Jonas hat das in seinem Werk „Das Prinzip Verantwortung“so beschrieben: „Der Freie nimmt die herrenlos wartende Verantwortung für sich in Anspruch und steht dann allerdings unter ihrem Anspruch“– und demnach in ihrer Pflicht. Mit diesem unausgesprochenen Vertrag wird niemand an den Pranger gestellt; selbst wer als Verantwortlicher zurücktritt, würde damit keine eigene Schuld eingestehen. Aber es bedeutet die Abgabe von Macht als Zeichen der Vergebungsbitte. Und so kann ein Satz wie „Ich übernehme die Verantwortung“befreiend und hilfreich auch für Betroffene sein.
Nach der großen Missbrauchsstudie 2018 mit der Ermittlung von mindestens 1670 Priestertätern und 3677 Betroffenen kreist die Frage zunehmend um die Verantwortung. Und noch hat die Kirche darauf keine befriedigende Antwort gefunden. Dass die Kirche „heilig und sündig zugleich“sei – wie es gebetsmühlenartig zu hören ist –, mag eine befreiende Formel sein, indes nur für die Kirche selbst. Es reicht aber nicht für einen Beitrag, mit der eigenen Haltung
Die Formel, die Kirche sei heilig und sündig zugleich, hilft nur der Kirche
auch zur Heilung des Leids der Opfer beizutragen.
Jüngst bemühte sich Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck mit einem Schuldeingeständnis als Verantwortlicher um eine Handreichung an die Opfer, andere reagierten auf vergleichbare Vorwürfe hingegen mit Anwälten – wie der Hamburger Erzbischof Stefan Heße – oder mit Zurückweisung, so der emeritierte Bischof von Aachen, Heinrich Mussinghoff.
Und jetzt die Stiftung von Marx mit den Mitteln aus seinem Privatvermögen. Geld ist nicht alles, und vielleicht ist es sogar nichts für das Ausmaß der Verbrechen. Aber selbst darin stolpert die Kirche immer wieder auf dem Weg von Aufklärung und Aufarbeitung. Wurden den Betroffenen früher pauschal bis zu 5000 Euro gezahlt, merkte man bald, dass dies den Fällen nicht gerecht würde. Experten wurden eingesetzt, die den Bischöfen Zahlungen von bis zu 400.000 Euro empfahlen. Von der Bischofskonferenz beschlossen wurden unlängst dann bis zu 50.000 Euro, wobei es den einzelnen Diözesen überlassen bleibt, wie sie die Zahlungen finanzieren. Auch das ist berechtigterweise umstritten. Sollten dafür tatsächlich Steuermittel verwendet werden, also das Geld aller Kirchenmitglieder, die für Verbrechen ihrer Priester aufkommen? Die Kirche ist eine Solidargemeinschaft, keine Haftungsgemeinschaft.
Und der Unmut unter Kirchenmitgliedern und Betroffenenbeiräten ist groß. Der Münsteraner Bischof Felix Genn ist der Erste, der Betroffene aus der Kasse seines bischöflichen Stuhls, also dem Diözesanvermögen, entschädigen will. Und die Bischofskonferenz rät, dass immer zuerst der Täter – sofern er noch lebt – auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden muss.
Damals in Paderborn machte auch ein Memorandum von 309 Theologen die Runde, das auf reichlich Kritik der Bischöfe stieß. Eine Anregung daraus: Warum sollte nicht ein echtes Synodalwesen eingeführt werden mit der Möglichkeit, Bischöfe vom Kirchenvolk wählen zu lassen – und sie damit in die Verantwortung ihres Kirchenvolkes zu stellen?