Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Letzter Versuch vor dem No Deal
Die Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt stehen unter größtem Zeitdruck, denn es sind nur noch etwas mehr als drei Wochen bis zum Ende der Übergangsphase. Doch eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU ist nicht in Sicht.
LONDON Immer noch kein weißer Rauch. Dabei droht in nur etwas mehr als drei Wochen das Ende der Übergangsphase beim Brexit und ein chaotischer Klippensturz an Neujahr. Die Verhandlungen über einen Handelspakt zwischen der EU und Großbritannien schreien angesichts des wachsenden Zeitdrucks nach einer Lösung, aber es ist keine in Sicht. Am Freitag wurden die Gespräche zwischen dem britischen Verhandlungsführer Lord David Frost und dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier abgebrochen, nachdem die britische Seite entrüstet protestiert hatte, dass die EU neue Forderungen auf den Tisch gelegt habe. Und auch ein einstündiges Telefonat zwischen Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen konnte am Samstag keine Klärung bringen. Immerhin einigte man sich darauf, dass die Verhandlungen weitergehen sollen.
Am heutigen Montagabend wollen Johnson und von der Leyen wieder telefonieren – aber ob dann ein Durchbruch möglich ist, dürfte mehr als fraglich sein. Britische Medien sprechen schon jetzt von einem „finalen Würfelwurf“. Das lässt nichts Gutes hoffen.
Der No Deal ist wieder in Sicht. Von der Leyen und Johnson hatten in einem gemeinsamen Statement darauf hingewiesen, dass „nach wie vor erhebliche Meinungsverschiedenheiten in drei entscheidenden Fragen“bestehen und „dass es kein Abkommen geben wird, wenn diese Dinge nicht geklärt werden“. Bei den Streitpunkten handelt es sich um faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrollmechanismen für einen künftigen Handelspakt und zu guter Letzt um das leidige Thema Fangrechte für europäische Fischer. Obwohl die Fischerei eigentlich von völlig untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist, scheint sie jetzt zum Zünglein an der Waage zu werden. Zuletzt hatte Frost eine dreijährige Übergangsphase bei der Fischerei
angeboten, während die EU den ungehinderten Zugang zu britischen Gewässern für die nächsten zehn Jahre verlangte und Großbritannien nur eine Fangquote von maximal 18 Prozent zugestehen wollte. Kein Wunder, dass dies bei der britischen Seite auf wütenden Protest stieß.
London wittert hinter der Verhärtung der europäischen Verhandlungsposition die Handschrift des französischen Staatspräsidenten
Emmanuel Macron. Man werde ein Veto einlegen, hatte Europa-Staatssekretär Clément Beaune gedroht, wenn französische Interessen nicht berücksichtigt würden. Dahinter steht die Überlegung, dass das unvermeidliche Chaos eines No Deal die Briten schon schnell genug weichkochen und ihre Rückkehr zum Verhandlungstisch erzwingen werde. „Macron will de Gaulle spielen“, hieß es dazu in der „Times“: „Das Manöver ist sehr innenpolitisch fokussiert, aber es hat die diplomatische Raffinesse eines Elefanten im Porzellanladen. Es könnte alles zerschlagen.“
Dabei ist das Kalkül auf europäischer Seite hochriskant, ein paar Monate eines No Deal zu riskieren, um danach unter besseren Bedingungen neu verhandeln zu können. Der irische Außenminister Simon Coveney, dessen Land wohl am meisten unter einem harten Bruch zu leiden hätte, warnte ausdrücklich vor dieser „gefährlichen Vorstellung“: Ohne Abkommen wären „jede Menge politischer Spannungen“zu erwarten, es werde „gestörte Geschäftsabläufe, Kosten, Stress und Schuldzuweisungen zwischen Brüssel und London“geben. Tatsächlich ist die Vorstellung naiv, dass ein Premierminister Boris Johnson, der am Sonntag die volle Rückendeckung seines Kabinetts für einen No Deal bekam, nach einer Brüskierung durch Frankreich zu Kreuze kriechen würde. Wahrscheinlicher wäre, dass der Streit zwischen der EU und Großbritannien weiter eskaliert. Das aber sollte sich niemand wünschen.