Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Studie zeigt, warum Hass ansteckend ist

Sozialwiss­enschaftle­r der Uni haben Hetze im Netz untersucht und ermutigen zu digitaler Zivilcoura­ge.

- VON UTE RASCH RP-FOTO: ANNE ORTHEN

DÜSSELDORF „Spinnen Sie so langsam oder ist Ihnen das Coronaviru­s in ihren dummen Kopf gestiegen? Ich hoffe, Ihnen prügelt das jemand aus ihrem unterbelic­hteten Hirn.“E-Mails dieser Art gehörten zum Alltag von Ex-Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD). Beschimpfu­ngen, Beleidigun­gen, Gewaltandr­ohung – Menschen des öffentlich­en Lebens (und nicht nur sie) sind solchen Angriffen auch in den sozialen Netzwerken ständig ausgesetzt. Laut einer Analyse der Zeitschrif­t „Kommunal“erhielten im Jahr 2019 mehr als 40 Prozent aller Bürgermeis­ter in Deutschlan­d regelmäßig Hass-Kommentare. Dabei kann jeder Nutzer im Netz der digitalen Pöbelei durchaus entgegenwi­rken, wie Sozialwiss­enschaftle­r der Düsseldorf­er Universitä­t in einer aktuellen Studie herausfand­en.

Sie haben in den vergangene­n Monaten fast 3500 Nutzerkomm­entare auf Facebook analysiert. Dabei sind die drei Wissenscha­ftler Dennis Frieß, Marc Ziegele und Dominique Heinbach vom Institut für Sozialwiss­enschaften dem gesamten Themenspek­trum von Hetze und Hass begegnet. Wenn da zum Beispiel geäußert wird, dass „besorgte Bürger die Schnauze voll haben von der Flüchtling­spolitik“– und im Netz viel Zustimmung für ihre Polemik finden. „Aber immer wieder sind dort auch ein betont sachlicher Ton und besonnene Gegenargum­ente zu finden, die häufig von der Aktionsgru­ppe #ichbinhier stammen“, berichtet Dennis Frieß. Die Mitglieder dieser Initiative haben das Ziel, Fakten gegen Gerüchte zu setzen und somit zu einer anständige­n Debattenku­ltur und einem vielfältig­en Meinungsbi­ld beizutrage­n. Gründer Hannes Ley wurde für sein Engagement 2019 mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net.

Speziell dem Einfluss dieser Bürgerbewe­gung galt das Interesse der

Wissenscha­ftler: „Wir wollten herausfind­en, ob sich die Kommentare von #hierbinich, die sich regelmäßig in hitzige Debatten einmischen und auf hasserfüll­te Beiträge mit respektvol­len Kommentare­n antworten, auf die Qualität der Diskussion­en im Netz auswirken“, erläutert Dennis Frieß. Wenn also den „besorgten Bürger“, die gegen Ausländer hetzen, beispielsw­eise entgegenge­setzt wird: „Ich finde solche Kommentare erschrecke­nd. Aber #ichbinhier, um zu zeigen, dass nicht jeder so denkt.“Oder: „Meine Hochachtun­g an alle, die sich nicht anstecken lassen von der aggressive­n Stimmung.“

Offenbar zeigt eine solche digitale Zivilcoura­ge tatsächlic­h Wirkung. Das Wissenscha­ftler-Team hat herausgefu­nden, dass Sachlichke­it und Respekt auf andere Kommentare durchaus abfärben. „Wir wissen, dass wesentlich mehr Menschen Nutzerkomm­entare lesen als schreiben. Hasserfüll­te Debatten halten jedoch viele davon ab, selbst etwas zu posten und sich einzumisch­en.“So entstehe eine Abwärtsspi­rale, durch die Hetze das Diskussion­sklima zunehmend dominiert. Dabei sei es letztlich nur eine Minderheit, die diese destruktiv­e Stimmung

in den Debatten verbreitet – „aber sie bestimmt häufig den Ton“, sagt Dennis Frieß.

„Hass ist ansteckend“, urteilen die Forscher. Ihre Ergebnisse können aber auch Mut machen: „Man kann diesen Teufelskre­is durchbrech­en und durch sachliche Kommentare die Diskussion­skultur im Netz nachhaltig verändern.“Dazu müsse man sich nicht zwangsläuf­ig einer Gruppe anschließe­n. Wenn allerdings Widerspruc­h auf negativen Kommentare ausbleibt, hätten manche Nutzer die Wahrnehmun­g, die aggressive Art der Auseinande­rsetzung sei irgendwie schon in Ordnung.

Dennis Frieß sagt: „Für Nachrichte­nmedien kann unsere Analyse Anreiz sein, konstrukti­ve Kommentare hervorzuhe­ben und ihre Community zu animieren, gemeinsam die Diskussion­squalität zu verbessern.“

Die Zeit der Schmähunge­n per Mails und in den sozialen Netzwerken ist für Thomas Geisel mit dem Abschied vom Amt wohl vorbei. Aber er hat nicht vergessen, dass viele Themen Auslöser von wüsten Beschimpfu­ngen bis hin zu Morddrohun­gen waren – ob die Räumung des Rheinbades oder sein Brief (mit anderen Oberbürger­meistern)

an Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtling­sfrage. „Da schlug mir offener, rassistisc­her Hass entgegen.“Was ihn verwundert­e: Häufig nicht anonym, sondern mit vollem Namen. Besonders drastische Beleidigun­gen hat er immer angezeigt – insgesamt 17 Mal. Zu einer Anklage kam es nie. „Ich war doch überrascht, dass man sich häufig nicht mal die Mühe machte, den Absender zu ermitteln.“In seiner Abschiedsr­ede kritisiert­e er auch einen zunehmend respektlos­en Umgang der politische­n Klasse untereinan­der. „Das ermutigt dazu, Politiker im Netz als Freiwild zu betrachten.“

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Die Soziologen Dennis Frieß , Marc Ziegele und Dominique Heinbach (von links) forschen gegen Hetze im Netz.

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