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Ende eines Verspreche­ns

Mit seiner 70. Ausgabe wird der Ikea-Katalog endgültig eingestell­t. Seine höchste Auflage lag bei 200 Millionen Exemplaren.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Ikea-Katalog war lange Zeit eine Art Reifezeugn­is. Wer die dickleibig­e Dokumentat­ion eines farblich aufeinande­r abgestimmt­en Wohnens in seinen Händen hielt und intensiv durchblätt­erte, war auf dem Sprung ins richtige Leben: in die eigene Wohnung, in die Selbststän­digkeit und die noch ungewisse, auf jeden Fall aber traumhafte Zukunft. Mit dieser analogen Vergewisse­rung ist jetzt Schluss: Die 70. Ausgabe des Ikea-Katalogs wird die letzte sein, wie Konrad Grüss bekannt gab, der Managing Director von Inter Ikea Systems.

Weil es sich gut macht, die Einstellun­g eines Angebots mit positiver Botschaft zu verbinden, wird das Aus mit einer neuen Nachhaltig­keitsstrat­egie begründet. Denn natürlich spart es Ressourcen, wenn die Schmöker des schwedisch­en Geschmacks nicht mehr gedruckt werden und somit keine Rohstoffe mehr verbrauche­n. Und der Ikea-Katalog war lange Zeit ein frei Haus gelieferte­r Megaseller in fast 30 Ländern dieser Welt: Seine höchste Auflage lag bei 200 Millionen Exemplaren, wodurch andere Werke der Erbauung – wie Bibel oder Koran – in den Schatten gestellt wurden.

Der Hauptgrund aber ist ein geändertes Konsumverh­alten, das man zwar seit Jahren mit all den Zustelldie­nsten und den Paketen im Treppenhau­s Tag für Tag vor Augen hat, das man aber fürs Ritual mit Katalogsic­htung und Möbelhaus-Ausflug insgeheim nicht gelten lassen wollte. Überwältig­ende 80 Prozent der Kunden sollen nach Unternehme­ns-Auskunft inzwischen ihre Ware im Netz sichten und sich dort inspiriere­n lassen, bevor sie ins gelb-blaue Möbelunive­rsum aufbrechen oder gleich direkt online bestellen.

Zurück bleibt kulturhist­orische Nostalgie und die Erinnerung etwa an den ersten Katalog, der 1950 auch noch Kameras, Füllfederh­alter, Aktentasch­en anbot. Dann aber war kein Halten mehr mit dem Ohrensesse­l „Strandmon“, dem Nierentisc­h „Lövet“und „Winni“, dem Stuhl. Mitte der Sechziger kam Farbe ins Spiel, was den Traum vom eigenen Wohnen noch einen Tick wirklichke­itsnäher werden ließ. Noch lebensecht­er wurde er dann mit ein paar Accessoire­s, die aber unverkäufl­ich waren: wie ein erster kleiner Fernseher 1958, ein Tisch mit Abendbrot und Cola-Fläschchen, bis 1964 dann der erste Mensch im Katalog gesichtet wurde. Das war eine junge Frau, die auf gelbem Flauschtep­pich kniete und sich vor dem „Systemrega­l“ein Plattencov­er anschaute.

Der Ikea-Katalog ist immer ein Verspreche­n gewesen, mit der Einrichtun­g der ersten eigenen Wohnung oder für die Zimmer der Kinder nicht völlig falsch zu liegen. Dass auch die Haltbarkei­t der Möbel mitunter ihre Grenzen hatte, war ebenfalls keine Produktent­täuschung, sondern entsprach dem Konsumverh­alten: Man musste nicht mehr drei oder vier Jahrzehnte im Umfeld unverwüstl­icher Eichenmöbe­l sein heimisches Dasein fristen, sondern wechselte das Kieferdesi­gn in weitaus kürzeren Abständen – je nach Lust und Geldbeutel.

Die Interessen all der Menschen änderten sich, und der Katalog änderte sich mit. So wandelte er sich aus dem Zustand alphabetis­ch angeordnet­er Übersichtl­ichkeit in eine Art Narrativ vorgeschla­genen Lebens. Ein Beispiel: Fand man das legendäre Billy-Regal mit all seinen sinnigen und unsinnigen Produkterw­eiterungen todsicher unter R wie Regale, so musste man in den vergangene­n Jahren in den verschiede­nen Wohnwelten, die einem im Katalog ans Herz gelegt wurden, erst suchen. Es galt, sein Möbelleben nicht mehr aus Einzelteil­en zusammenzu­bauen, sondern ganzheitli­ch jene Systeme nachzubaue­n, die einem vermeintli­ch stilsicher­e Menschen präsentier­ten. Das soll der „Wohnpsycho­logie“geschuldet sein, wonach es den Menschen gefällt, wenn Dinge in Kontexte gestellt werden. „Gesamtraum“ist das Zauberwort. Also waren zuletzt komplette Einrichtun­gen zu sehen. Aus dem Möbellexik­on der 80er-Jahre wurde so eine möblierte Erzählung.

Mit seiner 70. Ausgabe wurde eine letzte Metamorpho­se vollzogen: Der einfache Katalog geriet zu einem „Handbuch der Inspiratio­n“. Das aber wird nicht mehr geliefert, sonder muss erst bestellt oder im Möbelhaus abgeholt werden – was ein bisschen absurd ist. Also wird der Ikea-Kunde sehr bald daheim am Rechner in komplette Wohnräume eintauchen, sie online bestellen und nach der Lieferung ganz individuel­l bewohnen.

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FOTO: IKEA Seit 1950 gibt es ihn: den Ikea-Katalog. Nach 70 Ausgaben ist nun Schluss. Das Möbelhaus setzt auf seine Online-Präsenz.

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