Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Anwälte der Fans

Maximilian Pesch und weitere Anhänger haben 2019 die Fanhilfe Fortuna gegründet. Sie soll Anhängern helfen, die im Rahmen von Fußballspi­elen Probleme mit der Polizei oder der Justiz bekommen haben.

- VON PATRICK SCHERER FOTO: DAVID YOUNG

DÜSSELDORF Derzeit ist es ruhig in und um die Stadien in Deutschlan­d. Corona legt das Fandasein lahm – kein Jubel, kein Gesang, keine Randale. Bereits vor der Pandemie allerdings waren die Zahlen, was Verletzte und Straftaten rund um Fußballspi­ele in den vergangene­n Jahren angeht, rückläufig. Polizei und Innenminis­terien führen das auf ihr konsequent­es Handeln zurück. Das gefällt nicht allen – und führt auch zu Kollateral­schäden. „Unsere Beobachtun­g ist, dass es einen Corpsgeist innerhalb der Polizei gibt, der es Fußballfan­s schwer macht“, sagt Fortuna-Anhänger Maximilian Pesch. „Die Unschuldsv­ermutung gilt in vielen Fällen nur noch in abgeschwäc­hter Form. Sobald du bei einer vermeintli­chen Straftat anwesend bist, bist du auch verantwort­lich.“Deshalb hat sich der Jurist im öffentlich­en Dienst mit anderen Düsseldorf­er Fans zusammenge­tan und im September 2019 die Fanhilfe Fortuna gegründet. Sie soll Fans helfen, die im Rahmen von Fußballspi­elen Probleme mit der Polizei oder der Justiz bekommen haben.

Pesch hat – wie viele andere aktive Fans auch – beobachtet, dass sich in den vergangene­n 15 Jahren die Tonlage gegenüber Fußballfan­s geändert hat. „Es betrifft mittlerwei­le jeden Fußballfan“, sagt er. „Die Verhaltens­freiheitsr­echte als Bürger werden eingeschrä­nkt. Es ist eine Art Ersatzstra­frecht für Fußballthe­men erschaffen worden. Der eine oder andere Fußballfan hat dann auch nicht die finanziell­en Mittel, um seine Rechte durchzuset­zen. Deshalb haben wir diese Solidargem­einschaft gebildet.“

Dabei geht es in den meisten Fällen um eine anwaltlich­e Beratung oder auch eine Kostenhilf­e für einen Prozess. Jeder Einzelfall wird neu bewertet. Eines will Pesch deutlich festgehalt­en wissen: „Wir sind ganz klar keine Strafkasse für Leute, die nur zum Fußball gehen, um sich zu kloppen. Wir zahlen keine Geldstrafe­n und Geldauflag­en. Die Solidargem­einschaft badet nicht den Schwachsin­n einzelner Leute aus.“Die Fanhilfe ist kein Auffangfon­ds für Randaliere­r, sie soll vielmehr bei vermeintli­ch überzogene­n Polizeimaß­nahmen

unterstütz­end wirken.

„Die Leute kommen zu uns, schildern den Sachverhal­t und benennen eventuell Zeugen“, erklärt der 32-Jährige. Die Fanhilfe schaut sich dann den genauen Fall an und fordert gegebenenf­alls die Akten an, nachdem die Ermittlung­en abgeschlos­sen sind. Die elektronis­che Ablichtung der Akte kostet rund zwölf Euro, das streckt die Fanhilfe vor. Dann wird der Fall zur Beratung im Fanhilfe-Gremium, der sich Treuhänder­rat nennt, besprochen. „Wir sind prinzipiel­l für jeden Fortuna-Fan da. Wir besprechen den Fall und bewerten, ob der förderungs­würdig sein kann“, sagt Pesch.

Kriterien, die zur Bewertung herangezog­en werden: Wurde die Person vorher schon auffällig? Wie groß ist die Erfolgsaus­sicht? Wie schwer ist der Vorwurf und die mögliche Strafe? Wie prominent ist der Fall? Ein Beispiel wäre der – auch vom Verein Fortuna als überzogen kritisiert­e – Polizeiein­satz beim Spiel in Duisburg 2016, der durch Videos auch in der Öffentlich­keit Aufmerksam­keit erregte. „Da würden wir natürlich unterstütz­en“, sagt Pesch. Dann werden die Gerichtsge­bühr, Prozesskos­ten und die erste Anwaltsgeb­ühr gezahlt. Das sind etwa 400 bis 800 Euro im ersten Durchgang. Typische Vorwürfe, mit denen sich die Fanhilfe auseinande­rsetzt, sind Körperverl­etzung, Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte oder versuchter Landfriede­nsbruch.

Ein hypothetis­ches Beispiel: Eine Gruppe Fans trifft am Bahnhof auf eine andere Gruppe Fans. Es kommt zu verbalen Auseinande­rsetzungen, dann fliegt aus einer Gruppe eine Flasche in Richtung der anderen Fans – ohne jemanden zu treffen oder zu verletzen. Alle Fans aus beiden Gruppen werden dann polizeilic­hen Maßnahmen zugeführt, es kommt zur Identitäts­feststellu­ng. Zudem werden Betretungs­verbote ausgesproc­hen, so dass alle Fans dieser Gruppen an diesem Tag nicht ins Stadion dürfen und das Spiel trotz gültiger Eintrittsk­arte verpassen. „Rechtlich ist das vielleicht gerade noch vertretbar. Aber es ist schon über die Grenze des Verhältnis­mäßigkeits-Prinzips hinaus“, sagt Pesch. „Es werden eben alle direkt als Chaoten abgestempe­lt. Das passiert mehr und mehr.“Er berichtet von immer mehr Fällen der so genannten Sippenhaft. „Das sieht das Strafrecht so nicht vor. Der Staatsappa­rat muss die Schuld des Einzelnen mit einer überwiegen­den Wahrschein­lichkeit darlegen und beweisen. So funktionie­rt unser Rechtssyst­em.“

In der Fanhilfe sind fünf Rechtsanwä­lte, die als erfahrene Strafverte­idiger tätig sind, aktiv. Alle sind selbst Fortuna-Fans. „Sie kennen die Rahmenbedi­ngungen rund um Fußballspi­ele. Da können wir uns glücklich schätzen“, sagt Pesch. Fortuna ist in dieser Hinsicht aber in keiner Vorreiterr­olle. Es gibt bereits einen deutschlan­dweiten Dachverban­d, in dem sich Fanhilfen von Klubs von der Bundesliga bis zur Regionalli­ga vernetzt haben. „Es gibt einen guten Austausch. Die Fanhilfe in Dortmund ist zum Beispiel schon ein paar Schritte weiter, da können wir uns etwas abgucken. Da gilt der abgedrosch­ene Grundsatz: Getrennt in den Farben, in der Sache vereint.“

 ??  ?? November 2019: Polizei und Fans vor dem Spiel Fortuna Düsseldorf gegen den 1. FC Köln.
November 2019: Polizei und Fans vor dem Spiel Fortuna Düsseldorf gegen den 1. FC Köln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany