Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Haus für den Kinderschu­tz

Wenn Kinder missbrauch­t wurden, müssen sie mitunter acht Befragunge­n über sich ergehen lassen – und das Trauma immer wieder durchleben. Das neue Childhood-Haus am Universitä­tsklinikum soll diesen Prozess verändern.

- VON VERENA KENSBOCK RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

DÜSSELDORF Im Regal neben den bunten Sesseln stehen Bilderbüch­er, darauf sitzen Stofftiere. Die Räume des neuen Childhood-Hauses auf dem Campus des Universitä­tsklinikum­s sind kindgerech­t, wie es so oft heißt. Sie sind aber nicht nur ein Ort zum Spielen, sie haben einen ganz anderen Zweck. Hier werden Kinder versorgt, die missbrauch­t wurden, und hier können sie gegen die Täter aussagen. Es ist kaum vorstellba­r, wie Kinder oder Jugendlich­e leiden, wenn sie Opfer von Gewalt oder Missbrauch werden. Dieses Trauma müssen sie oftmals mehrfach durchleben – wenn sie bei der Polizei und vor Gericht aussagen. Diesen Prozess soll das Childhood-Haus verändern.

Das Haus ist vieles zugleich, vor allem aber ein geschützte­r Raum für gerichtsfe­ste Vernehmung­en. Besteht der Verdacht, dass ein Kind missbrauch­t wurde, muss es eine ganze Reihe von Befragunge­n hinter sich bringen. Vier bis acht Vernehmung­en durch Polizisten, Anwälte und Richter seien normal, sagt Anja Köllen, Koordinato­rin des Childhood-Hauses. „Und nicht alle Leute, die Befragunge­n mit Kindern machen, sind auch dafür geschult“, sagt die Sozialpäda­gogin. Für die traumatisi­erten Kinder kann das zur Tortur werden. Im Childhood-Haus könne das Verfahren auf zwei Vernehmung­en von Polizei und Richter verkürzt werden.

Dazu gibt es drei separate Räume, die mit Kameras und Bildschirm­en verbunden sind. In dem kindgerech­ten Raum mit den bunten Sesseln können Richter die Kinder befragen. Die mutmaßlich­en Täter sehen bei der Vernehmung in einem separaten Raum zu und können per Tablet Fragen stellen. In einem dritten Zimmer sitzen die anderen Prozessbet­eiligten: Staatsanwa­ltschaft,

Vertreter von Polizei und Jugendamt. Auch sie können das Gespräch verfolgen und Fragen schicken. Die Vernehmung wird aufgezeich­net und kann bei einer Verhandlun­g als Beweismitt­el dienen. So müssen die minderjähr­igen Opfer die Täter nicht sehen oder sprechen – und sie müssen nicht bei Gericht erscheinen und sich in einem großen Saal der Befragung stellen.

In dem frisch umgebauten Gebäude gibt es zudem einen Untersuchu­ngsraum, in dem Kinder medizinisc­h versorgt werden können. Ziel ist es, Verletzung­en zu dokumentie­ren und für eine Verhandlun­g bei Gericht festzuhalt­en.

Etwa 200 Kinder, die Opfer von Missbrauch wurden, werden alleine im Universitä­tsklinikum jedes Jahr behandelt. „Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedi­zin. „Die meisten Fällen passieren unbemerkt.“Der Rechtsmedi­zin angeschlos­sen ist die Ambulanz für Gewaltopfe­r, die betroffene Kinder medizinisc­h betreut. Das sozialpädi­atrische Zentrum der Kinderklin­ik leistet mit seinem Therapiean­gebot einen Beitrag zur Prävention und Nachsorge von Gewalttate­n. Stefanie Ritz-Timme und Ertan Mayatepek, Direktor der Kinderklin­ik, haben darum schon viele

Kinder betreut, die Opfer sexuellen oder körperlich­en Missbrauch­s wurden. Für sie ist mit der Eröffnung des Childhood-Hauses aber noch nicht Schluss. Sie sehen es als einen von mehreren Bausteinen für den Kinderschu­tz. Ihr Ziel ist der Bau des Trube-Becker-Hauses – benannt nach der ersten Professori­n für Rechtsmedi­zin. Das Gebäude auf dem Campus soll die Ambulanz für Gewaltopfe­r, das Childhood-Haus und das sozialpäda­gogische Zentrum räumlich zusammenbr­ingen. Von den benötigten acht Millionen Euro sind bislang jedoch nur etwa zwei Millionen durch Spenden zusammenge­kommen.

 ??  ?? Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedi­zin, und Ertan Mayatepek, Direktor der Kinderklin­ik, im neuen Childhood-Haus.
Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedi­zin, und Ertan Mayatepek, Direktor der Kinderklin­ik, im neuen Childhood-Haus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany