Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Kemp und die Kunst – eine Liebesgeschichte
Der kunstsinnige Steuerberater ist mit 93 Jahren gestorben. 2011 vermachte er seine bedeutende Sammlung dem Museum Kunstpalast.
DÜSSELDORF Wer zu Gast bei Willi Kemp war, geriet mit dem Betreten der eleganten Altbauwohnung in einen aufgeheizten künstlerischen Kosmos. Über dem Sofa hing ein echter Cy Twombly, vom Außenlicht ausreichend beschienen war das weiße Zero-Rasterbild an der anderen Wand, und im Flur stand eine Beuys-Skulptur aus Lindenholz. Der Hausherr hackte zur Begrüßung Ingwer für den gemeinsamen Tee klein und begann dabei zu erzählen. Es floss nur so heraus aus ihm, wovon sein Herz voll war. Seine Künstler – den Eindruck gewann man – waren sein Leben wie die eindringlichen Begegnungen, die munteren Atelierbesuche, die Käufe und Kalkulationen. Kurzum waren es schon immer die Erinnerungen, die Willi Kemp beseelten. Erinnerungen, die in jedem Werk stecken, das er einst erworben hatte, bis 1986 noch gemeinsam mit seiner verstorbenen Ehefrau Ingrid.
Am vergangenen Samstag ist Willi Kemp im Alter von 93 Jahren gestorben, wie Kunstpalast-Chef Felix Krämer nun mitteilt. Zwei Tage zuvor hatte er noch mit ihm gesprochen. Der Generaldirektor und mit ihm die ältere Generation der rheinischen Kunstszene betrauern den Verlust dieses kunstvernarrten Bürgers, der 2011 den Großteil seiner Sammlung dem Museum Kunstpalast gestiftet hatte. Bis zuletzt – meist am Arm geführt von seiner Partnerin Ursula Kaechele – nahm er regen Anteil am Ausstellungswesen. Es gab in Düsseldorf und Umgebung kaum eine Eröffnung oder Feier, bei der die beiden nicht gesichtet wurden.
Doch zurück zum Kunstfachsimpeln in Kemps Wohnung: Auf dem Couchtisch hatte der sammelnde Steuerberater, der mehr ein steuerberatender Sammler war, Berge von Dokumenten, Schriften, Notizen und Fotos aufgehäuft, über die man sprechen würde. Kleinteilige Aufzeichnungen über Begegnungen waren das in großformatigen Journalen, das meiste stenografierte Bleistiftkritzelei, die er später als anekdotenreiche zweibändige Sammlungsgeschichte herausgegeben hat („Kunst im Dialog“).
60 Jahre hat Kemp gesammelt, viele nationale und internationale Künstler, als sie noch jung, preiswert und unbedeutend waren. Da kommt einiges zusammen. Seine Sammlung zählt heute zu einer der größten und bedeutendsten für die Zeit nach 1950, mit Werken von Kenneth Noland, Ellsworth Kelly, Cy Twombly, Joseph Beuys, Gerhard Hoehme, Carl Buchheister, Winfried Gaul, Peter Brüning, Bernard Schultze, Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker und K.O. Götz. Figurative Malerei und Zero-Kunst sind Schwerpunkte darin wie auch das Informel und die Farbfeldmalerei. Bildhauerzeichnungen und Skulpturen runden die Sammlung ab.
Willi Kemp, der Kölner, der in Düsseldorf die Kunstszene bediente und auf seine Weise durchforstete, wurde selber zu einem wichtigen Teil der jüngeren Kunstgeschichte. Denn Ende der 50er-Jahre begann er, Kunst zu kaufen oder als Gegenleistung mit seiner prominenten Künstlerklientel zu verrechnen. Tolle Geschichten ranken sich um die Beziehung zwischen Sammler und Künstler, die Kemp in seinem autobiografischen Sammlungsband gerne preisgibt, auch, um sich launig und ein wenig selbstkritisch zu erweisen. Gerhard Richter hatte ihn, wie er darin schreibt, schon einmal „schnöde abserviert“. Da war der damals noch unbedeutende Maler Gast bei Kemp gewesen, und soll, auf einen Ankauf angesprochen, geantwortet haben, er hätte gestern erst seine Preise verdoppelt.
Wer den Markt kennt, weiß, dass es immer eine zweite Chance gibt. Auch Richter wurde irgendwann weich, als er ein paar Jahre später Kemps Hilfe bei Fragen zur Einfuhrumsatzsteuer brauchte. Der Künstler erhielt diese Tipps ganz ohne Rechnung. So berichtet Kemp in seinem Buch. Und, wen wundert’s? Richter bedankte sich mit einer kleinen grauen Leinwand.
Willi Kemp wollte nie als Krämerseele gescholten werden, nur weil er penibel und sparsam war. Vieles hatte er sich als junger Mann verkniffen, um Bargeld für Kunstkäufe zu haben. Und er feilschte gern. Als Kemp einst ein Nagelbild von Günther Uecker als zu teuer empfand, ließ er sich indes von Düsseldorfs Galeristenlegende Alfred Schmela umstimmen, der ihm riet: „Die Bilder met de kleine Nägelche, die müssen Se kaufen.“
Angesichts manch lukrativer Tauschgeschäfte wie „Biete Steuertipps gegen Gerhard Richter“muss man sich einmal zurückversetzen in eine Zeit, in der es noch keine Superstars der bildenden Kunst gab, sondern der Broterwerb, der den meisten Künstlern große Sorgen bereitete. Die Künstler waren froh, auf einen Steuerberater zu treffen, der sie verstand und der ihnen half. Eine Win-Win-Situation war der Kunstkauf für beide Seiten öfter als man vielleicht denkt.
Kemp und die Kunst – das ist eine lange Liebesgeschichte. Mit vielen Künstlern unterhielt er Freundschaften über Jahrzehnte. Beim Sightseeing in New York, in jungen Jahren hatte der Mann der Zahlen Feuer für die zeitgenössische Kunst gefangen. Dass gute Kunst ihn förmlich „durchzuckte“gab er einmal an. Ein Kontrapunkt zur trockenen Steuerberatung. Die Kunst wurde bald zum Lebensmittelpunkt. Die wundervolle Sammlung, die sich durch exquisite Einzelstücke auszeichnet, hat er mit dem Museum als Mittler in die Hand der Düsseldorfer Bürgerschaft gegeben. Dafür darf man Willi Kemp sehr dankbar sein.