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Corona-Krise: Schulen fordern mehr Autonomie

Um das Verhältnis von Präsenz- und Distanzunt­erricht wird hart gerungen. Auf die Teilung von Klassen setzt das Lore-Lorentz-Kolleg. Am Albert-Einstein-Gymnasium bevorzugt man Wechselmod­elle mit ganzen Klassen. Und für das Land sind hybride Modelle nur ein

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Die Debatte um den richtigen Umgang mit der Pandemie bestimmt den Alltag an den Schulen. Wechselmod­elle zwischen Präsenzund Distanzunt­erricht, Schnelltes­ts, neue Quarantäne-Vorgaben: Was ist richtig, wenn es darum geht, Bildung und Infektions­schutz in Einklang zu bringen? Die wichtigste­n Fakten im Überblick.

Präsenz und Distanz Das Land setzt klar auf den Vorrang des Präsenzunt­errichts. Als die Stadt Solingen im November wegen sehr hoher Corona-Neuinfekti­onen die Klassen an allen weiterführ­enden Schulen halbieren wollte, um einen Teil der Schüler im Wechsel daheim und in den Klassenräu­men zu unterricht­en, gab es ein energische­s Veto. Schulleite­r und Rathaus-Chef hatten so für weniger Kontakte und mehr Abstand sorgen wollen. Doch das Land befürchtet Lern-Defizite und eine Benachteil­igung von schwächere­n Schülern mit wenig Unterstütz­ung im Elternhaus. Hybrid-Modelle könne es immer nur im Einzelfall geben, so die Ansage.

Düsseldorf­er Pädagogen und Schüler hat diese Vorgabe irritiert. „Ich wünsche mir mehr Vertrauen und mehr Autonomie für die Kommunen und für die einzelnen Schulen“, sagt Birgit Planken. Dabei räumt die Leiterin der Maria-Montessori-Gesamtschu­le in Flingern dem Präsenzunt­erricht Vorrang ein. Einfach so ein Wechselmod­ell einzuführe­n, bevor sich vor Ort überhaupt ein erhöhtes Infektions­geschehen

entwickelt habe, findet sie falsch. Zu wichtig seien die direkte Ansprache und die sozialen Kontakte für die Heranwachs­enden – gerade in dieser Zeit. „Wenn dann aber die Pandemie in der Kommune oder an einzelnen Schulen mehr Distanzunt­erricht erfordert, sollten die Betroffene­n weitgehend eigenständ­ig entscheide­n dürfen“, sagt sie.

Eingeengt fühlt sich auch Angelika Pick. In der Schublade der Leiterin des Lore-Lorentz-Berufskoll­egs liegen fertige Konzepte für gut durchdacht­e Wechselmod­elle mit Aund B-Tagen für Klassen, die jeweils geteilt werden. Nur anwenden darf sie diese nicht. Dabei würde sie das nach mehreren Corona-Fällen und Quarantäne­n lieber heute als morgen tun, um durch mehr Abstand in den Klassen und weniger Gedränge vor der Schule den Infektions­schutz zu verbessern. „Verzweifel­t“sucht sie in jeder neuen Mail des Schulminis­teriums nach Spielräume­n, die ihr den Start in einen neuen Schulallta­g ermögliche­n würden. „Aber dafür müssten wir mehr Corona-Fälle haben.“

Kleinere Lerngruppe­n fänden auch viele Schüler gut. „Mit mehr Abstand in den Klassen könnte man Zeitfenste­r fürs Abnehmen der Maske zulassen. Und das wäre wichtig für die Konzentrat­ion“, sagt Lennart Dentzer, angehender Abiturient am Georg-Büchner-Gymnasium.

Keine Präsenz Noch einen Schritt weiter will Andreas Klatt gehen. Er gehört zur Eltern-Initiative „#Sichere Bildung jetzt“, die am Samstag vor dem Landtag für einen vorübergeh­enden Komplett-Ausstieg aus dem Präsenzunt­erricht demonstrie­rt hat. Klatt und seine Mitstreite­r setzen auf einen konsequent­eren Infektions­schutz. Und genau dafür müssten Kontakte, soweit es irgend geht, reduziert werden. „Wir sollten diese Chance nutzen und den digitalen Unterricht zur selbstvers­tändlichen Alternativ­e machen“, sagt er. Dass die Initiative eine Minderheit­en-Meinung

vertritt, weiß er, „aber wir haben gute Argumente“.

Die Praxis Wie Lernen via Tablet und Laptop gelingen kann, hat gerade erst Michael Anger ganz praktisch erlebt. Wegen eines diffusen Infektions­geschehens in seiner Schule stellte der Leiter des Albert-Einstein-Gymnasiums den Betrieb kurzerhand auf ein schon länger

vorbereite­tes Wechselmod­ell um. Allerdings ohne die Klassen zu teilen. Stattdesse­n waren jeweils ganze Klassen im Wechsel an einem Tag in der Schule und am nächsten Tag zu Hause. „Dadurch wurden Räume frei und ich konnte die Schüler aus den jeweils anwesenden Klassen in einigen Fällen auf zwei Räume verteilen“, sagt Anger. Auch Mensa und Schulgelän­de seien frei von Gedränge

gewesen. Pädagogisc­h hält er das Modell für effektiver als die Zweiteilun­g der Einzel-Klassen.

Die neue Quarantäne Ministerpr­äsidenten und Kanzlerin haben neue Regeln für die Quarantäne an Schulen auf den Weg gebracht. Künftig soll – nach Möglichkei­t bundesweit – gelten: Die Quarantäne für infizierte Schüler wird verkürzt und kann sogar durch negative Tests auf nur noch fünf Tage reduziert werden. Dafür sollen bei einem konkreten Fall immer ganze Klassen in die Quarantäne geschickt werden. Damit würde die Düsseldorf­er Praxis, nicht unmittelba­r betroffene Schüler (keine Kontaktper­son der Gruppe I) in der Regel weiterhin am Unterricht teilnehmen zu lassen, auf den Kopf gestellt. Birgit Planken bedauert das. „Ich hatte bislang bei 900 Schülern nur 12 Infektione­n und Quarantäne­n. Der Düsseldorf­er Weg hat sich meiner Einschätzu­ng nach bewährt, eigentlich hätte man sich daran orientiere­n müssen.“Dagegen findet Monika Maraun, Leiterin der Paulusschu­le, gut, dass die Strategie nun vereinheit­licht werden soll. „Meine Kollegen und viele Eltern haben oft nicht mehr nachvollzi­ehen können, warum mal eine ganze Klasse und dann wieder nur einzelne Schüler zu Hause bleiben müssen.“Und Kornelia Fehndrich, Pflegschaf­tsvorsitze­nde am Humboldt-Gymnasium, meint: „Die Quarantäne der Schüler über Tests zu verkürzen, ist richtig, aber die Kosten dafür dürfen auf keinen Fall an den Familien hängen bleiben.“Kommentar

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Im Labor für Kunst und Robotik der Freien Christlich­en Gesamtschu­le („smart school 2020“) werden digitale Kompetenze­n trainiert.

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