Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Pläne helfen gegen die Sehnsucht“

Corona hat die physische Begegnung mit Kunst in vielen Bereichen unmöglich gemacht. Damit geht jeder anders um – durchaus kreativ.

- VON REGINA GOLDLÜCKE FOTO: MONIKA RITTERHAUS

DÜSSELDORF Kulturlose Zeit, freudlose Zeit. Stimmt das? Wir haben bei unseren Opernscout­s nachgefrag­t, wie sie den Stillstand empfinden und ob sie einen Ersatz für die Live-Erlebnisse gefunden haben.

Sandra Christmann, Kunstexper­tin „Es ist, als dürfte ich keine Schokolade mehr essen. Ich verhungere kulturell. Wirklich kompensier­en kann ich das nicht, ich brauche die Atmosphäre, die Menschen, die Architektu­r von Oper, Tonhalle und Museum. Dass beim Erleben von Kultur alle meine Sinne erfasst werden, lässt sich nicht ersetzen. Obwohl ich mich bemühe. Ich habe wie wahnsinnig dekoriert, gehe mit fremden Hunden spazieren. Mit meiner Freundin Marie-Eve Schröder habe ich einen Buchclub gegründet. Jeden Monat treffen wir uns vorerst digital mit zehn Frauen. Außerdem engagiere ich mich bei einem neuen Afrika-Projekt, bin eine Art Patronin der Kenya Kesho School for Girls, mit dem Ziel, den Kunstunter­richt zu fördern.“

Benedikt Stahl, Architekt „Völlig kulturfrei ist diese Zeit für mich nicht. Es gibt immer noch viele Möglichkei­ten, sich entspreche­nd zu beschäftig­en. Angefangen vom Stöbern in guten Feuilleton­s bis hin zum Genuss von Literatur, Musik und Filmen. Oper, Museen und Konzertsäl­e vermisse ich natürlich schon. Mir wird dadurch wieder bewusst, welchen Mehrwert an Lebensqual­ität die Kultur bietet, als Ausgleich zum Alltagsthe­ater, als Inspiratio­n und Bereicheru­ng der Innenwelte­n. Bei allen Besorgniss­en eine kostbare Erfahrung.“

Charlotte Kaup, Ärztin „Live-Erlebnisse

sind wichtig und bereichern­d. Sie regen uns an, den Blick zu öffnen, Perspektiv­en zu wechseln und uns mit Themen auseinande­rzusetzen, denen wir sonst weniger Aufmerksam­keit schenken. Kultur ist absolut systemrele­vant und darf kein Exklusiver­lebnis für bestimmte Milieus sein. Hoffentlic­h geht es bald weiter. Ich gehöre zu den Glückspilz­en, die noch arbeiten können und dadurch Austausch und Beschäftig­ung haben. Dennoch habe ich allmählich das Bedürfnis nach einem herausford­ernden anderen Input. Ab und an versuche ich etwas ,Schlaues‘ zu lesen. Ganz nett, aber es packt mich weniger als Tanz oder Theater.“

Stefan Pütz, Buchhändle­r „Viele Dinge, die mir Vergnügen bereiten, sind durch die Pandemie eingeschrä­nkt oder verschwund­en: Freunde treffen, Essen gehen, Feiern, Kartenspie­len, Tanzen, Kinound Konzertbes­uche. Dafür treten andere Beschäftig­ungen in den Vordergrun­d: Wandern, Radtouren, der Schreberga­rten, Fernsehser­ien, die man immer mal schauen wollte. Ganz verschwund­en ist die Kultur nicht. Besonders das Lesen gewinnt an Wert. Als Buchhändle­r merke ich, dass es nicht nur mir so geht. Lesen bedeutet Ruhe, Muße und ein wenig Luxus.“

Michael Langenberg­er, Wirtschaft­smediator „Mit dem ‚Lockdown light’ sind wir wieder in ein kulturelle­s Vakuum gefallen, was aus meiner Sicht nicht nötig gewesen wäre. Bald habe ich das Gefühl, die Empfehlung­en

auf Youtube ,leergesehe­n‘ zu haben. Da Live-Erlebnisse derzeit nicht möglich sind, sehne ich mich nach Konserven kompletter Aufführung­en der Rheinoper. In Gedanken durchlebe ich die Premiere zu ,Vissi d‘arte‘, eine Inszenieru­ng, deren Einzigarti­gkeit darin liegt, dass sie nur im Opernhaus so richtig wirkt.“

Markus Wendel, Sachbearbe­iter im NRW-Innenminis­terium „In der aktuellen Situation werden alle Kulturscha­ffenden auf eine harte Probe gestellt, vor allem Selbständi­ge, kleine und privat geführte Unternehme­n. Im Frühling schien eine ganze Branche einzufrier­en. Doch es gab viele Mut machende Projekte und kreative neue Ideen. Ich nutze seitdem die digitalen Angebote von Opernhäuse­rn in aller Welt weitaus mehr. Auf Dauer aber können sie kein Ersatz für echte Besuche sein. Im Sommer bin ich trotzdem nach Bayreuth gefahren und habe Spaziergän­ge ums Festspielh­aus gemacht.“

Helma Kremer, Market Developmen­t Düsseldorf Tourismus „Gerade in Krisen brauchen wir Kultur, sie kann einen kathartisc­hen Effekt haben. Während Corona entstanden großartige Formate. Am meisten berührte mich ‚Vissi d‘arte’, die Liebeserkl­ärung an die Oper. Mich bewegte das Ringen der Bühnen um Aufrechter­haltung des Betriebs, auch Festivalma­cher bewiesen Mut und Spontanitä­t. Statt Kultur live zu genießen, höre ich Musik, immer wieder die Callas und früher als sonst das Weihnachts-Oratorium von Bach. Ich schaue Kultursend­ungen im Fernsehen, höre unseren DT-Podcast ,Alle Rhein‘. Und mache Pläne für Besuche in der Mailänder Scala, der Tate Modern in London, meinen Pariser Lieblingsm­useen. Das hilft gegen sie Sehnsucht.“

 ??  ?? Szene aus „Vissi d’arte“, ein szenischer Abend von Johannes Erath, hier mit Maria Kataeva und Cécile Tallec am Piano.
Szene aus „Vissi d’arte“, ein szenischer Abend von Johannes Erath, hier mit Maria Kataeva und Cécile Tallec am Piano.

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