Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Pläne helfen gegen die Sehnsucht“
Corona hat die physische Begegnung mit Kunst in vielen Bereichen unmöglich gemacht. Damit geht jeder anders um – durchaus kreativ.
DÜSSELDORF Kulturlose Zeit, freudlose Zeit. Stimmt das? Wir haben bei unseren Opernscouts nachgefragt, wie sie den Stillstand empfinden und ob sie einen Ersatz für die Live-Erlebnisse gefunden haben.
Sandra Christmann, Kunstexpertin „Es ist, als dürfte ich keine Schokolade mehr essen. Ich verhungere kulturell. Wirklich kompensieren kann ich das nicht, ich brauche die Atmosphäre, die Menschen, die Architektur von Oper, Tonhalle und Museum. Dass beim Erleben von Kultur alle meine Sinne erfasst werden, lässt sich nicht ersetzen. Obwohl ich mich bemühe. Ich habe wie wahnsinnig dekoriert, gehe mit fremden Hunden spazieren. Mit meiner Freundin Marie-Eve Schröder habe ich einen Buchclub gegründet. Jeden Monat treffen wir uns vorerst digital mit zehn Frauen. Außerdem engagiere ich mich bei einem neuen Afrika-Projekt, bin eine Art Patronin der Kenya Kesho School for Girls, mit dem Ziel, den Kunstunterricht zu fördern.“
Benedikt Stahl, Architekt „Völlig kulturfrei ist diese Zeit für mich nicht. Es gibt immer noch viele Möglichkeiten, sich entsprechend zu beschäftigen. Angefangen vom Stöbern in guten Feuilletons bis hin zum Genuss von Literatur, Musik und Filmen. Oper, Museen und Konzertsäle vermisse ich natürlich schon. Mir wird dadurch wieder bewusst, welchen Mehrwert an Lebensqualität die Kultur bietet, als Ausgleich zum Alltagstheater, als Inspiration und Bereicherung der Innenwelten. Bei allen Besorgnissen eine kostbare Erfahrung.“
Charlotte Kaup, Ärztin „Live-Erlebnisse
sind wichtig und bereichernd. Sie regen uns an, den Blick zu öffnen, Perspektiven zu wechseln und uns mit Themen auseinanderzusetzen, denen wir sonst weniger Aufmerksamkeit schenken. Kultur ist absolut systemrelevant und darf kein Exklusiverlebnis für bestimmte Milieus sein. Hoffentlich geht es bald weiter. Ich gehöre zu den Glückspilzen, die noch arbeiten können und dadurch Austausch und Beschäftigung haben. Dennoch habe ich allmählich das Bedürfnis nach einem herausfordernden anderen Input. Ab und an versuche ich etwas ,Schlaues‘ zu lesen. Ganz nett, aber es packt mich weniger als Tanz oder Theater.“
Stefan Pütz, Buchhändler „Viele Dinge, die mir Vergnügen bereiten, sind durch die Pandemie eingeschränkt oder verschwunden: Freunde treffen, Essen gehen, Feiern, Kartenspielen, Tanzen, Kinound Konzertbesuche. Dafür treten andere Beschäftigungen in den Vordergrund: Wandern, Radtouren, der Schrebergarten, Fernsehserien, die man immer mal schauen wollte. Ganz verschwunden ist die Kultur nicht. Besonders das Lesen gewinnt an Wert. Als Buchhändler merke ich, dass es nicht nur mir so geht. Lesen bedeutet Ruhe, Muße und ein wenig Luxus.“
Michael Langenberger, Wirtschaftsmediator „Mit dem ‚Lockdown light’ sind wir wieder in ein kulturelles Vakuum gefallen, was aus meiner Sicht nicht nötig gewesen wäre. Bald habe ich das Gefühl, die Empfehlungen
auf Youtube ,leergesehen‘ zu haben. Da Live-Erlebnisse derzeit nicht möglich sind, sehne ich mich nach Konserven kompletter Aufführungen der Rheinoper. In Gedanken durchlebe ich die Premiere zu ,Vissi d‘arte‘, eine Inszenierung, deren Einzigartigkeit darin liegt, dass sie nur im Opernhaus so richtig wirkt.“
Markus Wendel, Sachbearbeiter im NRW-Innenministerium „In der aktuellen Situation werden alle Kulturschaffenden auf eine harte Probe gestellt, vor allem Selbständige, kleine und privat geführte Unternehmen. Im Frühling schien eine ganze Branche einzufrieren. Doch es gab viele Mut machende Projekte und kreative neue Ideen. Ich nutze seitdem die digitalen Angebote von Opernhäusern in aller Welt weitaus mehr. Auf Dauer aber können sie kein Ersatz für echte Besuche sein. Im Sommer bin ich trotzdem nach Bayreuth gefahren und habe Spaziergänge ums Festspielhaus gemacht.“
Helma Kremer, Market Development Düsseldorf Tourismus „Gerade in Krisen brauchen wir Kultur, sie kann einen kathartischen Effekt haben. Während Corona entstanden großartige Formate. Am meisten berührte mich ‚Vissi d‘arte’, die Liebeserklärung an die Oper. Mich bewegte das Ringen der Bühnen um Aufrechterhaltung des Betriebs, auch Festivalmacher bewiesen Mut und Spontanität. Statt Kultur live zu genießen, höre ich Musik, immer wieder die Callas und früher als sonst das Weihnachts-Oratorium von Bach. Ich schaue Kultursendungen im Fernsehen, höre unseren DT-Podcast ,Alle Rhein‘. Und mache Pläne für Besuche in der Mailänder Scala, der Tate Modern in London, meinen Pariser Lieblingsmuseen. Das hilft gegen sie Sehnsucht.“