Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Königin der Weihnachtslieder
Mariah Carey versucht in einer neuen TV-Gala, die Menschen mit Flitter und Gold in weihnachtliche Stimmung zu bringen. Sie ist so unerbittlich, dass man sich irgendwann tatsächlich ergibt.
DÜSSELDORF Schönste Stelle: Mariah Carey plant ein Konzert, damit die Menschen nach diesem trüben Jahr endlich in Weihnachtsstimmung kommen. Stattfinden soll der Auftritt natürlich ganz rasch und über Nacht, denn Heiligabend ist ja bald. „Schaffen wir das denn?“, fragt der übervorsichtige Attaché des Weihnachtsmanns. Da schaut Mariah sehr ernst, wartet einen Moment und sagt: „Jemand, der 15 Alben, zwei Kinder und eine Autobiografie vorzuweisen hat und Sport in High Heels macht, kriegt das ganz sicher hin.“
„Mariah Careys magische Weihnachtsshow“heißt das Special, das nun bei Apple TV+ zu sehen ist. Wer bisher nicht in weihnachtlicher Stimmung war, wird dort durchgeschüttelt, willenlos gemacht und mit Lametta an den Tannenbaum gefesselt. Alles ist so dermaßen überwürzt und cartoonhaft überzeichnet, so süß und warm, dass man gar nicht anders kann als zu karamellisieren: Christmas Candy Cream Kitsch.
Mariah Carey ist ja so etwas wie die Godmother of Glitter, und seit ihr 1994 veröffentlichtes Lied „All I Want For Christmas“in den weihnachtlichen Beliebtheitscharts „Last Christmas“von Wham! den Rang abgelaufen hat, auch noch die Königinmutter von Winter Wonderland. Und so ruft der Weihnachtsmann natürlich sie an, als er merkt, dass die Corona-gebeutelten Menschen
vergessen haben, die Lichter in ihren Fenstern anzuzünden, an denen er sich beim Geschenkeaustragen orientiert. „Okay, ich bin auf dem Weg“, spricht Mariah Carey also in ihr strassbesetztes rotes iPhone, und dann sitzt sie auch schon in einem Schlitten, der aussieht wie der rotlackierte Porsche von James Dean und rauscht singend rüber zum Nordpol.
Ehrlich: Man kann gar nicht anders, als sich diesem Trash zu ergeben. Am Anfang der Revue steht die 50-Jährige in einem Einteiler da, der aussieht, als habe sie den Anzug von Spiderman nachgestrickt. Alle sieben Minuten wird sie sich im Folgenden umziehen. Jeder Quadratmillimeter Haut ist mit Glanzlack überzogen.
Und einmal heißt es, dass Mariah nun in den Wald gehen wolle, und dann sieht man sie in Plateau-Stilettos in einem Swarovski-Forst aus Kunstschnee und Strass thronen und begreift: Eine Mariah Carey geht nicht in die Natur, die Natur kommt zu Mariah Carey.
Sie spielt augenzwinkernd mit ihrem Diven-Image, und das ist zum Schmunzeln. Zumal es immer wieder Szenen wie jene in der Werkstatt von Santa Claus gibt: Carey in der Mitte, Jennifer Hudson und Ariana Grande links und rechts, und dann singen sie gemeinsam „Oh, Santa“, und die Queen zeigt den Prinzessinnen mal, wo der Hammer
hängt: Powerhouse sagen die Amerikaner dazu. Das Stück ist inzwischen das zweitmeistgestreamte der Welt. Nach „All I Want For Christmas Is You“.
Der Rapper Snoop Dogg und die Tänzerin Misty Copeland schauen auch noch vorbei, und dass das Special eine Rahmenhandlung hat, in der jemand aus einem Märchenbuch vorliest und es in der Geschichte grob gesagt um das Thema „Mariah rettet Weihnachten“ geht, ist völlig egal.
Carey gospelt, sie singt „Stille Nacht“, sie hat ein bisschen Mitleid mit den Leuten, die gerade so „super depressed“sind, sie schart Menschen aus allen Ländern und allen Religionen um sich, sie spreizt sich und bewegt eigentlich nie die Füße. Sie ist eine Statue ihrer selbst. Und während man das sieht, nimmt man sich vor, gleich im Anschluss die legendäre MTV-Sendung zu googeln, in der sie einst eine Stadtführung durch ihren begehbaren Kleiderschrank veranstaltete.
Mariah Carey war der Superstar der 90er-Jahre. Anfang der Nuller Jahre machten sich viele lustig über sie, als ihr Film „Glitzer“böse floppte. Und wer sie je live erlebte, weiß, dass sie es eine Zeitlang ziemlich übertrieben hat auf der Bühne, wo sie sich nicht mehr selbst bewegte, sondern bewegen ließ – wenn sie nicht gerade auf eine Chaiselongue drapiert dalag. Aber seit einiger Zeit wird sie wieder verehrt als diejenige, die Hip-Hop mit Pop und R’n’B vermählte. Und 19 Nummer-einsHits in den USA muss ihr erstmal jemand nachmachen. Außer Madonna ist niemand über eine so lange Zeit hinweg auf diesem Niveau erfolgreich.
Ihr lukrativster Song ist jener, den sie einst in ihrem Schlafzimmer an einem billigen Keyboard schrieb. Um diese Nummer ist die Show denn auch gebaut, sie wird immer wieder angetriggert, und schließlich in Minute 37:32 in vollem Ornat und mit mächtig viel Pomp zelebriert: „Make my wish come true / All I want for Christmas is you, yeah“. Schneefall, Kristallglanz und Marshmallows.
Am Ende hält sie eine kleine Ansprache, die ein bisschen wie eine Predigt wirkt. „Es war ein hartes Jahr“, sagt Mariah Carey, „aber wir sind nun zusammen und können das Leben und die Liebe feiern. Und darum geht es an Weihnachten.“
Ach, sie hat ja so recht.