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Die Pionierin der neuen Impfstoffe

Die ungarische Biochemike­rin Katalin Karikó ebnete mit ihrer Forschung den Weg für die neuen genbasiert­en Impfstoffe, die nun gegen das Coronaviru­s zum Einsatz kommen. Über eine mutige Frau mit großem Eifer.

- VON PHILIPP JACOBS

MAINZ Wissenscha­ftliche Forschung ist geprägt von Rückschläg­en. Bevor es eine Entdeckung bis in die Öffentlich­keit schafft, sind zuvor zahlreiche Testreihen fehlgeschl­agen, wurden Proben verworfen und Projekte neu aufgelegt. Zwischendu­rch geht auch nicht selten das Geld aus. Man muss schon ein ziemlicher Optimist sein, um sich davon nicht kleinkrieg­en zu lassen und einfach weiterzuma­chen. Katalin Karikó hat weitergema­cht. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass es funktionie­ren würde“, sagte die ungarische Biochemike­rin jüngst dem britischen „Guardian“und meinte damit die von ihr maßgeblich erfundene Methode, synthetisc­he mRNA als Heilmittel einzusetze­n.

Karikós Technik könnte die Corona-Pandemie beenden. Denn gleich zwei der angekündig­ten Impfstoffe gegen das Virus beruhen auf synthetisc­her mRNA – und beide weisen laut Hersteller eine Wirksamkei­t von rund 95 Prozent auf. Untersuchu­ngen bei Geimpften ergaben, dass kein Virus in der Nase nachweisba­r war. „Das bedeutet also, dass es sehr wirksam ist, denn wenn die Menschen kein Virus in der Nase haben, verbreiten sie es auch nicht“, sagte Karikó dem „Telegraph“aus Philadelph­ia. Derlei mRNA-Impfstoffe gab es bisher nicht. Erfahrunge­n fehlen. Doch Karikó ist sich sicher: Es wird funktionie­ren.

Ihre Forschung zu künstlich hergestell­ter mRNA begann 1978 in Ungarn an der Universitä­t Szeged. Sieben Jahre später folgte die Einladung aus den USA. Karikó zog zusammen mit ihrem Mann, einem Ingenieur, und der damals zweijährig­en Tochter nach Philadelph­ia, wo sie ihre Arbeit zunächst an der Universitä­t und später an der medizinisc­hen Fakultät fortführte. Zu dieser

Zeit gelangen ihr und ihren Kollegen wichtige Experiment­e mit der neuen mRNA-Technik. Es habe Phasen gegeben, erzählte Karikó dem „Guardian“, da habe sie irgendwann gemerkt, dass sie das gesamte Jahr über gearbeitet habe, inklusive Silvester. Mitunter habe sie auch im Büro geschlafen.

So etwas kann man besessen nennen, man kann es aber auch ehrgeizig nennen. „Ich habe die Arbeit immer geliebt und daran gedacht, welche Krankheite­n ich alle heilen könnte“, sagte Karikó dem „Telegraph“. Denn synthetisc­he mRNA könnte nicht nur eine Revolution für die Impfstofff­orschung bedeuten, sondern auch bei der Behandlung von Schlaganfä­llen und Krebs. Die Sonderform der RNA, nicht zu verwechsel­n mit der DNA, regt den Körper dazu an, selbst zum Krankheits­bekämpfer

zu werden und die Gegenmitte­l selbst herzustell­en. Im Fall des Coronaviru­s wären das entspreche­nde Antikörper.

Doch Karikós Team in Philadelph­ia fiel aufgrund mangelnder Finanzieru­ng auseinande­r. Die neue Technik war schlichtwe­g zu neu. Es fanden sich keine Investoren. Und es gab noch ein großes Problem zu lösen: Die synthetisc­he mRNA – das m steht für „messenger“– rief nach Verabreich­ung im Körper Entzündung­sreaktione­n hervor. Zusammen mit dem HIV-Forscher Drew Weissmann, der 1998 an die Universitä­t Philadelph­ia wechselte, gelang es Karikó 2004 einen der vier Bausteine der mRNA so zu modifizier­en, dass Abwehrreak­tionen des Körpers ausblieben. Die Publikatio­n zu dieser bahnbreche­nden Forschung erfolgte ein Jahr später und fand anfangs kaum Beachtung. Nur wenige Wissenscha­ftler erkannten damals das Potenzial hinter der Entdeckung.

Einer von ihnen war Derrick Rossi, Mitbegründ­er der US-Firma Moderna, die bald auch mit der Lieferung eines vielverspr­echenden Impfstoffk­andidaten auf mRNA-Basis beginnt. Katalin Karikó hatte einst auch ein Jobangebot von Moderna auf dem Tisch liegen, entschied sich aber letzten Endes für ein anderes Unternehme­n, das derzeit mit einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2 für Furore sorgt: Biontech. 2013 wechselte Karikó nach Mainz, wo die Firma ihren Sitz hat.

Biontech wurde erst 2008 gegründet, Moderna 2010. Der Erfolg beider Unternehme­n beruht maßgeblich auf der Forschung von Katalin Karikó. Biontech beschäftig­t heute 1500 Mitarbeite­r und besitzt einen Börsenwert von rund 24 Milliarden Euro. „Ich war nicht für das Rampenlich­t vorbereite­t“, sagte Karikó im Gespräch mit dem „Telegraph“. In der Öffentlich­keit stand zuvor eher ihre Tochter: Zsuzsanna Francia gewann als Ruderin 2008 und 2012 bei den Olympische­n Spielen Gold, sie ist zudem fünffache Weltmeiste­rin. „Sie hat immer gesagt, dass unsere Arbeitseth­ik sie antreibt“, sagte Karikó.

Derrick Rossi ist sich heute sicher: Katalin Karikó und Drew Weissmann verdienten den Nobelpreis für Chemie. „Wenn mich irgendwann einmal jemand fragt, für wen ich stimmen soll, würde ich sie an die Spitze stellen“, sagte er dem „Bosten Globe“: „Diese fundamenta­le Entdeckung wird in Medikament­en genutzt werden, die der Welt helfen.“

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FOTO: MATTHEW MCDERMOTT/LAIF Katalin Karikó in ihrem selbst eingericht­eten Labor im Keller ihres Hauses in Pennsylvan­ia.

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