Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Hierarchie der Feiertage

NRW will die Corona-Maßnahmen zu Weihnachte­n lockern, zum Jahreswech­sel aber in den harten Lockdown. Armin Laschet begründet das wie Markus Söder damit, dass Heiligaben­d wichtiger sei. Ist das gerecht – und rechtens?

- VON JULIA RATHCKE

Dass dieses Jahr anders zu Ende gehen dürfte als die meisten seiner Vorgänger, steht seit Langem fest. Im Grunde sind es bloß Feinheiten, die die Politik jetzt im letzten Moment noch zu justieren versucht, um die Infektions­zahlen im Januar nicht erneut hochschnel­len zu lassen. Doch der Tonfall, wenn es um Regeln, Verordnung­en und Empfehlung­en geht, variiert je nach Feiertag: Während zu Weihnachte­n die Lockerunge­n wie selbstvers­tändlich weitgehend bestehen bleiben sollen, wird über Silvester ein harter Lockdown anvisiert, ebenfalls ohne große Debattensp­ielräume.

Ist Weihnachte­n also grundsätzl­ich wichtiger als die Zeit um Silvester und Neujahr? Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte das als Erster für Bayern entschiede­n und es so auch schon bei der Ankündigun­g in die Kameras gesagt. Er halte das Weihnachts­fest mit der Familie eben für wichtiger und selbstvers­tändlicher. Silvester sei für ihn die größere Herausford­erung. Ähnlich hat Söders Kollege, der Christdemo­krat Armin Laschet, am Mittwoch seinen Vorstoß begründet, Nordrhein-Westfalen ab dem 27. Dezember für zwei Wochen so wie im März herunterzu­fahren.

Abgesehen davon, dass viele Bürger selbst einen sofortigen harten Lockdown befürworte­n würden, um die Zahlen schneller sinken zu lassen – wer darf entscheide­n, welches Fest wichtiger ist als das andere? Kann ein Staat rein rechtlich bestimmen, ob nun Weihnachte­n, Ostern oder Pfingsten der bedeutende­re Feiertag im Jahr ist? Und ist es gerecht, Heiligaben­d so hoch zu hängen – angesichts all der Singlehaus­halte, die die Tage danach und auch den Jahreswech­sel mehr schätzen und nutzen, weil zum Beispiel Freunde ihre (einzige) Familie sind?

Alles ist ein großer Kompromiss, ein kleinster gemeinsame­r Nenner im

Kampf gegen die Jahrhunder­tseuche. So viel ist klar. Aber juristisch ist die Sache eindeutig: Vor dem Gesetz sind alle Feiertage gleich. Artikel 140 im Grundgeset­z schützt Sonn- und Feiertage gleicherma­ßen, aber wie es zu einem Feiertag kommt und wie der ausgestalt­et ist, darüber sagt er nichts. Abgesehen davon, dass Heiligaben­d und der Silvestert­ag an sich keine gesetzlich­en Feiertage sind, sondern jeweils die Tage darauf, kann es rein juristisch gesehen keine unterschie­dliche Bewertung von Silvester und Weihnachte­n geben. Darum geht es auch weniger.

„Das Grundgeset­z verbietet es der Politik nicht, ein besonderes Bedürfnis dafür anzunehmen, dass Familien gerade an Weihnachte­n zusammenko­mmen“, sagt Lothar Michael, Professor für öffentlich­es Recht an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf: Diese Tradition werde in Deutschlan­d von vielen Familien losgelöst von ihrer religiösen Anschauung gelebt. „Das Grundgeset­z schützt spezifisch die Familie, in Artikel 6, sowie den Sonntag und die staatlich anerkannte­n Feiertage, in Artikel 140 in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverf­assung. Es ermöglicht dem Staat, bei der Auswahl der Feiertage und auch bei etwaigen Lockerunge­n von Ausgangsbe­schränkung­en, deren Nutzung allen zugutekomm­en, auf religiöse Feste Rücksicht zu nehmen“, erklärt der Staatsrech­tler.

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Laschet hatte bewusst schon vor ein paar Wochen vom „härtesten Weihnachte­n der Nachkriegs­zeit“gesprochen. Der gleiche Politiker käme wohl kaum auf die Idee, vom „härtesten Silvestera­bend seit 1945“zu reden. Der Schwerpunk­t wird so ganz bewusst auf die Tage um Heiligaben­d gelenkt. Es ergibt also schon aus diesem Grund kaum Sinn, das Weihnachts­fest allzu stark zu regulieren. Denn die Menschen treffen sich ohnehin an diesen Feiertagen. Das kann ihnen kein Politiker und kein Staat wirksam verbieten.

„Es geht darum, die Akzeptanz und Folgeberei­tschaft zu sichern“

Horst Dreier Staatsrech­tler

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