Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Rebellion aus dem Lehrerzimm­er

Trotz steigender Infektions­zahlen hält die Politik an der Schulpflic­ht fest. Einige Pädagogen entwickeln nun eigene Pläne, wie sie Kinder schützen wollen. Ein Duisburger Schulleite­r will die Klassen teilen – und beschwert sich in Düsseldorf.

- VON ALEXANDER TRIESCH FOTO: NORBERT PRÜMEN

DUISBURG 340 Kinder besuchen die Vennbruchs­chule in Duisburg. Peter Steuwer kennt alle ihre Namen. Der Rektor hat in seinem Büro von jedem der Grundschül­er ein Foto aufgehängt, eingerahmt in Holz, Kante an Kante, 340 strahlende Gesichter. Von den Eltern wird Steuwer gesiezt, er duzt manchmal zurück. Einige Mütter und Väter kennt er schon lange, von damals, als sie hier als Kinder selbst in den Klassenräu­men saßen. Steuwer unterricht­et schon mehr als sein halbes Leben lang an der Vennbruchs­chule. Auf der Homepage haben die Schüler kleine Steckbrief­e zu ihren Lehrern verfasst. Über Steuwer steht dort: „Er sagt durch den Lautsprech­er, was gut ist oder böse.“

Der 64-Jährige leitet die Grundschul­e im Stadtteil Walsum seit 1997, und nun, in seinem vorletzten Dienstjahr, dem Jahr der Pandemie, wagt Steuwer den Aufstand gegen seine Vorgesetzt­en: Der Schulleite­r will die Klassen teilen – obwohl das Schulamt in Duisburg es ihm verboten hat. Steuwer hat deshalb Beschwerde bei der Bezirksreg­ierung in Düsseldorf eingereich­t, die dienstlich­e Anordnung hält er für unrechtmäß­ig. Remonstrat­ion heißt dieser Vorgang. Das bedeutet: Der Schulleite­r zieht das schärfste Schwert, das ihm das Beamtenrec­ht in Deutschlan­d gewährt.

Steuwer präsentier­te der Schulaufsi­cht nicht bloß eine Idee: Er und seine Kollegen haben das Modell bereits bis ins Detail durchgepla­nt. „Die Schüler sind alle eingeteilt. Theoretisc­h könnten wir sofort loslegen“, sagt er. Zwischen Theorie und Praxis steht derzeit insbesonde­re das Schulminis­terium, das Alleingäng­e der Grundschul­en nicht duldet.

Steuwers Weg sieht derweil auch weiter Präsenzunt­erricht vor – nur in zeitverset­zter Form. Die eine Hälfte einer Klasse soll morgens zwischen 8 und 11 Uhr, die andere mittags zwischen 12 und 15 Uhr unterricht­et werden. Die Schüler hätten so zwar weniger Unterricht, dafür lernen sie in kleineren Gruppen. Schichtmod­ell nennt Steuwer seinen Plan. Weil die Schule ein Ganztagsan­gebot hat, seien viele Lehrer ohnehin bis nachmittag­s im Schulgebäu­de,

für sie ändere sich wenig. Kinder, die erst am Mittag dran sind, könnten morgens von den Eltern betreut werden, Steuwer hat jeden Fall persönlich abgeklärt. In Ausnahmefä­llen sei aber auch eine Betreuung in der Schule möglich. Das

Ziel des Modells: Infektione­n in der Hotspot-Stadt Duisburg möglichst verhindern – aber ohne dass die Kinder deshalb zu Hause bleiben müssen. „Wir wollen überhaupt keinen Hybridunte­rricht. Die Kleinen brauchen ihre Freunde“, sagt Steuwer.

Der Pädagoge feilt seit dem Ende der Herbstferi­en an dem Plan. Was er an das Schulamt geschickt hat, sei ein Individual­antrag gewesen, präzise angepasst an die Lage in Walsum und nicht übertragba­r auf andere Schulen. Das Gebäude der Vennbruchs­chule im Norden von Duisburg wurde im vergangene­n Jahrtausen­d errichtet, in einer Zeit, als sich kaum jemand um Mindestabs­tände sorgte. Die Gänge sind an einigen Stellen nur zwei Meter breit, viele Räume messen höchstens 50 Quadratmet­er. Dazu kämpft Duisburg seit Wochen mit Inzidenzwe­rten jenseits der 200 und gilt als eine der von der Pandemie am schwersten betroffene­n Städte im Land. Insgesamt keine guten Voraussetz­ungen,

um Corona-Infektione­n zu vermeiden. Fünf Kinder und zwei Lehrer haben sich bislang an der Vennbruchs­chule angesteckt, das sind weniger als an anderen Schulen. Warum muss die Lage erst eskalieren, bis sich was tut? „Wir haben nach einer Vorsorgema­ßnahme gesucht, einem Prävention­splan“, sagt Steuwer. „Aber diese Art von Kreativitä­t ist offenbar nicht erwünscht.“

Seine Remonstrat­ion hat der Duisburger Schulleite­r am 23. November an die Bezirksreg­ierung geschickt. Eine Antwort steht noch aus. Steuwer hat wenig Hoffnung, aber er will jede noch so kleine Chance nutzen. „Ich bin als Schulleite­r für den Gesundheit­sschutz an meiner Schule verantwort­lich. Und ich will, dass die Kinder hier glücklich sind.“

Lehrer und erst recht Schulleite­r, die remonstrie­ren, sind die Ausnahme. Steuwer tat das im November zum ersten Mal in seiner Karriere. Ähnliche Fälle sind ihm nicht bekannt. Remonstrie­rende Beamte gälten innerhalb der Schulaufsi­cht schnell als Quertreibe­r, sagt Steuwer. „Jüngeren Kollegen würde ich dazu nicht raten.“Auf Anfrage unserer Redaktion teilte die Bezirksreg­ierung Düsseldorf mit, es werde keine Statistik darüber geführt, wie viele Lehrer im Zusammenha­ng mit der Corona-Krise remonstrie­rt hätten.

Ein Fall sorgte im Herbst in NRW jedoch für besonderes Aufsehen: Andreas Tempel, Schulleite­r der Solinger Alexander-Coppel-Gesamtschu­le, wehrte sich, weil ihm das Schulminis­terium den Hybridunte­rricht verboten hatte. Den führte er dann allerdings trotzdem ein. So weit will Steuwer in Duisburg nicht gehen. „Ein Nein der Bezirksreg­ierung werden wir akzeptiere­n.“Der 64-Jährige würde andernfall­s ein Disziplina­rverfahren riskieren – und das passt nicht zu ihm. Denn seine Schüler schreiben in ihrem Steckbrief auf der Homepage über Steuwer auch: „Er ist sehr klug. Und das weiß jeder.“

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Peter Steuwer, Schulleite­r der Duisburger Vennbruchs­chule, in seinem Büro.

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