Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Rebellion aus dem Lehrerzimmer
Trotz steigender Infektionszahlen hält die Politik an der Schulpflicht fest. Einige Pädagogen entwickeln nun eigene Pläne, wie sie Kinder schützen wollen. Ein Duisburger Schulleiter will die Klassen teilen – und beschwert sich in Düsseldorf.
DUISBURG 340 Kinder besuchen die Vennbruchschule in Duisburg. Peter Steuwer kennt alle ihre Namen. Der Rektor hat in seinem Büro von jedem der Grundschüler ein Foto aufgehängt, eingerahmt in Holz, Kante an Kante, 340 strahlende Gesichter. Von den Eltern wird Steuwer gesiezt, er duzt manchmal zurück. Einige Mütter und Väter kennt er schon lange, von damals, als sie hier als Kinder selbst in den Klassenräumen saßen. Steuwer unterrichtet schon mehr als sein halbes Leben lang an der Vennbruchschule. Auf der Homepage haben die Schüler kleine Steckbriefe zu ihren Lehrern verfasst. Über Steuwer steht dort: „Er sagt durch den Lautsprecher, was gut ist oder böse.“
Der 64-Jährige leitet die Grundschule im Stadtteil Walsum seit 1997, und nun, in seinem vorletzten Dienstjahr, dem Jahr der Pandemie, wagt Steuwer den Aufstand gegen seine Vorgesetzten: Der Schulleiter will die Klassen teilen – obwohl das Schulamt in Duisburg es ihm verboten hat. Steuwer hat deshalb Beschwerde bei der Bezirksregierung in Düsseldorf eingereicht, die dienstliche Anordnung hält er für unrechtmäßig. Remonstration heißt dieser Vorgang. Das bedeutet: Der Schulleiter zieht das schärfste Schwert, das ihm das Beamtenrecht in Deutschland gewährt.
Steuwer präsentierte der Schulaufsicht nicht bloß eine Idee: Er und seine Kollegen haben das Modell bereits bis ins Detail durchgeplant. „Die Schüler sind alle eingeteilt. Theoretisch könnten wir sofort loslegen“, sagt er. Zwischen Theorie und Praxis steht derzeit insbesondere das Schulministerium, das Alleingänge der Grundschulen nicht duldet.
Steuwers Weg sieht derweil auch weiter Präsenzunterricht vor – nur in zeitversetzter Form. Die eine Hälfte einer Klasse soll morgens zwischen 8 und 11 Uhr, die andere mittags zwischen 12 und 15 Uhr unterrichtet werden. Die Schüler hätten so zwar weniger Unterricht, dafür lernen sie in kleineren Gruppen. Schichtmodell nennt Steuwer seinen Plan. Weil die Schule ein Ganztagsangebot hat, seien viele Lehrer ohnehin bis nachmittags im Schulgebäude,
für sie ändere sich wenig. Kinder, die erst am Mittag dran sind, könnten morgens von den Eltern betreut werden, Steuwer hat jeden Fall persönlich abgeklärt. In Ausnahmefällen sei aber auch eine Betreuung in der Schule möglich. Das
Ziel des Modells: Infektionen in der Hotspot-Stadt Duisburg möglichst verhindern – aber ohne dass die Kinder deshalb zu Hause bleiben müssen. „Wir wollen überhaupt keinen Hybridunterricht. Die Kleinen brauchen ihre Freunde“, sagt Steuwer.
Der Pädagoge feilt seit dem Ende der Herbstferien an dem Plan. Was er an das Schulamt geschickt hat, sei ein Individualantrag gewesen, präzise angepasst an die Lage in Walsum und nicht übertragbar auf andere Schulen. Das Gebäude der Vennbruchschule im Norden von Duisburg wurde im vergangenen Jahrtausend errichtet, in einer Zeit, als sich kaum jemand um Mindestabstände sorgte. Die Gänge sind an einigen Stellen nur zwei Meter breit, viele Räume messen höchstens 50 Quadratmeter. Dazu kämpft Duisburg seit Wochen mit Inzidenzwerten jenseits der 200 und gilt als eine der von der Pandemie am schwersten betroffenen Städte im Land. Insgesamt keine guten Voraussetzungen,
um Corona-Infektionen zu vermeiden. Fünf Kinder und zwei Lehrer haben sich bislang an der Vennbruchschule angesteckt, das sind weniger als an anderen Schulen. Warum muss die Lage erst eskalieren, bis sich was tut? „Wir haben nach einer Vorsorgemaßnahme gesucht, einem Präventionsplan“, sagt Steuwer. „Aber diese Art von Kreativität ist offenbar nicht erwünscht.“
Seine Remonstration hat der Duisburger Schulleiter am 23. November an die Bezirksregierung geschickt. Eine Antwort steht noch aus. Steuwer hat wenig Hoffnung, aber er will jede noch so kleine Chance nutzen. „Ich bin als Schulleiter für den Gesundheitsschutz an meiner Schule verantwortlich. Und ich will, dass die Kinder hier glücklich sind.“
Lehrer und erst recht Schulleiter, die remonstrieren, sind die Ausnahme. Steuwer tat das im November zum ersten Mal in seiner Karriere. Ähnliche Fälle sind ihm nicht bekannt. Remonstrierende Beamte gälten innerhalb der Schulaufsicht schnell als Quertreiber, sagt Steuwer. „Jüngeren Kollegen würde ich dazu nicht raten.“Auf Anfrage unserer Redaktion teilte die Bezirksregierung Düsseldorf mit, es werde keine Statistik darüber geführt, wie viele Lehrer im Zusammenhang mit der Corona-Krise remonstriert hätten.
Ein Fall sorgte im Herbst in NRW jedoch für besonderes Aufsehen: Andreas Tempel, Schulleiter der Solinger Alexander-Coppel-Gesamtschule, wehrte sich, weil ihm das Schulministerium den Hybridunterricht verboten hatte. Den führte er dann allerdings trotzdem ein. So weit will Steuwer in Duisburg nicht gehen. „Ein Nein der Bezirksregierung werden wir akzeptieren.“Der 64-Jährige würde andernfalls ein Disziplinarverfahren riskieren – und das passt nicht zu ihm. Denn seine Schüler schreiben in ihrem Steckbrief auf der Homepage über Steuwer auch: „Er ist sehr klug. Und das weiß jeder.“