Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Rot-Rot-Grün kann funktionieren“
Die Bundesfamilienministerin und Berliner Spitzenkandidatin über Verzicht an Weihnachten, die Bundestagswahl und ihre Doktorarbeit.
Frau Giffey, wird Weihnachten in der Corona-Debatte überhöht?
GIFFEY Ich verstehe jeden, für den Weihnachten etwas Besonderes ist. Es ist das Fest der Familie. Trotzdem kann es bei dieser Infektionslage kein Weihnachten wie jedes Jahr geben. Dem Virus ist die Bedeutung der Feiertage herzlich egal. Und Weihnachten bedeutet auch, auf andere Menschen zu achten und sie zu schützen.
Also sollten Verwandte sich nicht gegenseitig besuchen?
GIFFEY Ich hielte es für besser, wenn die Menschen sich nur im kleinsten Kreis treffen und ansonsten auf Verwandtschaftsbesuche über die Feiertage möglichst verzichten. Die maximale Vorgabe ist ja eine obere Orientierung, die man nicht vollständig ausreizen muss. Es geht jetzt einfach darum, die Kontakte zu minimieren, um steigenden Infektionsund Todeszahlen entgegenzuwirken.
Sind Sie dafür, einen bundesweiten Lockdown zu verhängen?
GIFFEY Ich bin dafür, dass die Länder wie im Frühjahr zu einer gemeinsamen, einheitlichen Linie finden. Das hat in der ersten Welle wirklich geholfen. Und bei mehreren Hundert Toten am Tag sollten auch die Länder mit geringerem Infektionsgeschehen mitziehen. Ein harter Lockdown nach den Weihnachtstagen bis zum 10. Januar wäre angesichts der dramatischen Lage aus meiner Sicht gerechtfertigt. Wir müssen von den ansteigenden Infektionszahlen massiv runterkommen. Bei allen Einschränkungen, die ein Lockdown für jeden von uns mit sich bringt, geht es jetzt darum, zusammen und generationenübergreifend entschlossen die Pandemie zu bewältigen.
Droht ein Generationenkonflikt in dieser Krise, weil insbesondere junge Menschen auf viele Freiheiten verzichten müssen?
GIFFEY Ich kann verstehen, wenn Jugendliche
und junge Erwachsene in dieser Lage leiden. Einen ausgefallenen Abiball oder die Jugendweihefeier kann man nicht nachholen, so etwas fehlt dann als wichtige Station im Leben Hunderttausender junger Menschen. Die Freiheit, am Wochenende feiern zu gehen, sich unbeschwert mit Freunden zu treffen, ist im Moment nicht da. Erstsemester, die an die Unis gekommen sind, kennen sich oft bis heute nicht, weil die Hörsäle leer bleiben mussten. So etwas darf nicht einfach abgetan werden. Die Bedürfnisse der Jugend sind genauso ernst zu nehmen wie der Schutz älterer Menschen.
Glauben Sie, dass der Impfstoff dazu beitragen kann, Freiheiten wieder möglich zu machen? Dass mit einem Impfnachweis ein Club- oder Stadionbesuch wieder gehen wird?
GIFFEY Ein Freiimpfen für Partys und Spaßveranstaltungen wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Das müssen alle verstehen. Es hat gute Gründe, warum am Anfang Hochrisikogruppen und medizinisches Personal geimpft werden. Das hat absolute Priorität.
Was schätzen Sie: Wird es im nächsten Jahr mehr Geburten oder mehr Scheidungen geben?
GIFFEY (lacht) Ich bin optimistisch und tippe auf mehr Geburten.
Was ist Ihr persönliches Fazit nach diesem Corona-Jahr?
GIFFEY Dieses Jahr hat uns alle beruflich und privat extrem gefordert. Die Einschränkungen sind für jeden belastend. Und je länger es dauert, desto bewusster wird auch mir, was ich vermisse. Das wird mir auch klar, wenn ich Fotos oder Videos anschaue, die älter als ein Jahr sind, weil da ein Händeschütteln oder eine Umarmung, die Begegnung mit vielen Menschen einfach so möglich waren. Dieses Jahr hat aber auch gezeigt, zu welchen Leistungen unsere starke Demokratie und unser gesunder Sozialstaat in der Lage sind. Wir konnten schnell handeln, um das Land in der Krise aufzufangen, die Wirtschaft zu stärken, soziale Einrichtungen offen zu halten, Familien finanziell zu unterstützen.
Sie haben sich zuletzt auf eine Frauenquote in Vorständen einigen können. Kommt eine Kabinettsbefassung im Januar zu spät?
GIFFEY Nein, damit können wir leben. Auch wenn ich mir schon viel früher eine Einigung gewünscht hätte. Es ist Zeit für die Quote, mit Freiwilligkeit kommen wir nicht weiter.
Warum geht der Erfolg bei dem Thema am Ende wieder mit der Kanzlerin nach Hause?
GIFFEY Die Bundeskanzlerin hat sich von Anfang an sehr unterstützend geäußert. Das war wichtig für den Erfolg. Aber die Initiative kam von der SPD: aus dem Frauenministerium und dem Justizministerium. Gemeinsam mit Christine Lambrecht haben wir dafür gekämpft. Unsere Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt.
Wie sollte die SPD in den Wahlkampf ziehen? Mit einer Koalitionsaussage gegen die Groko?
GIFFEY Ich wundere mich, wie schlecht teilweise immer noch über diese große Koalition geredet wird. Wir stellen doch fest, dass diese Bundesregierung in der Krise gezeigt hat, dass sie handlungsfähig ist. Darauf dürfen wir ruhig stolz sein.
Sie würden also im Wahlkampf keine Koalition ausschließen?
GIFFEY Entscheidend ist erst mal, dass die SPD ihre eigenen Positionen und Ziele klar benennt und dafür Zustimmung von den Bürgerinnen und Bürgern bekommt. Und erst dann geht es um mögliche Partner. Im Wahlkampf eine Koalition auszuschließen, würden sehr viele Menschen wohl nicht verstehen.
Würden Sie nach den Erfahrungen in Berlin sagen, dass Rot-Rot-Grün grundsätzlich ein tragfähiges Bündnis sein kann?
GIFFEY Ja, das ist ein Bündnis, das funktionieren kann. Aber in Berlin gibt es natürlich auch Reibungspunkte. So ist das eben in einem Dreier-Bündnis. Auch mit Grünen und Linken kann die SPD nicht alle ihre Anliegen durchsetzen.
Gilt das auch für den Bund?
GIFFEY Das kommt auf das Wahlergebnis und mögliche Sondierungsgespräche an. Klar ist aber: Wenn die SPD mit Olaf Scholz den Kanzler stellen will, dann müssen wir mehr Zustimmung bekommen, als Umfragen das jetzt abbilden. Daran arbeiten wir.
Stehen Sie zu Ihrer Aussage, dass Sie vom Ministerinnenamt zurücktreten werden, sollte die Universität Ihnen den Doktortitel doch noch aberkennen?
GIFFEY Dazu habe ich alles gesagt. Meine Arbeit wird ja nun inzwischen zum dritten Mal geprüft: im eigentlichen Promotionsverfahren 2010, dann 2019 und jetzt, mehr als ein Jahr später, noch einmal, nachdem es bereits eine rechtsgültige Entscheidung gab. So was hat es bislang noch nicht gegeben.
Können Sie damit zur Belastung für den Berliner Wahlkampf werden?
GIFFEY Ich trete in Berlin an, egal was passiert. Die Berlinerinnen und Berliner können dann entscheiden.