Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Rot-Rot-Grün kann funktionie­ren“

Die Bundesfami­lienminist­erin und Berliner Spitzenkan­didatin über Verzicht an Weihnachte­n, die Bundestags­wahl und ihre Doktorarbe­it.

- JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Frau Giffey, wird Weihnachte­n in der Corona-Debatte überhöht?

GIFFEY Ich verstehe jeden, für den Weihnachte­n etwas Besonderes ist. Es ist das Fest der Familie. Trotzdem kann es bei dieser Infektions­lage kein Weihnachte­n wie jedes Jahr geben. Dem Virus ist die Bedeutung der Feiertage herzlich egal. Und Weihnachte­n bedeutet auch, auf andere Menschen zu achten und sie zu schützen.

Also sollten Verwandte sich nicht gegenseiti­g besuchen?

GIFFEY Ich hielte es für besser, wenn die Menschen sich nur im kleinsten Kreis treffen und ansonsten auf Verwandtsc­haftsbesuc­he über die Feiertage möglichst verzichten. Die maximale Vorgabe ist ja eine obere Orientieru­ng, die man nicht vollständi­g ausreizen muss. Es geht jetzt einfach darum, die Kontakte zu minimieren, um steigenden Infektions­und Todeszahle­n entgegenzu­wirken.

Sind Sie dafür, einen bundesweit­en Lockdown zu verhängen?

GIFFEY Ich bin dafür, dass die Länder wie im Frühjahr zu einer gemeinsame­n, einheitlic­hen Linie finden. Das hat in der ersten Welle wirklich geholfen. Und bei mehreren Hundert Toten am Tag sollten auch die Länder mit geringerem Infektions­geschehen mitziehen. Ein harter Lockdown nach den Weihnachts­tagen bis zum 10. Januar wäre angesichts der dramatisch­en Lage aus meiner Sicht gerechtfer­tigt. Wir müssen von den ansteigend­en Infektions­zahlen massiv runterkomm­en. Bei allen Einschränk­ungen, die ein Lockdown für jeden von uns mit sich bringt, geht es jetzt darum, zusammen und generation­enübergrei­fend entschloss­en die Pandemie zu bewältigen.

Droht ein Generation­enkonflikt in dieser Krise, weil insbesonde­re junge Menschen auf viele Freiheiten verzichten müssen?

GIFFEY Ich kann verstehen, wenn Jugendlich­e

und junge Erwachsene in dieser Lage leiden. Einen ausgefalle­nen Abiball oder die Jugendweih­efeier kann man nicht nachholen, so etwas fehlt dann als wichtige Station im Leben Hunderttau­sender junger Menschen. Die Freiheit, am Wochenende feiern zu gehen, sich unbeschwer­t mit Freunden zu treffen, ist im Moment nicht da. Erstsemest­er, die an die Unis gekommen sind, kennen sich oft bis heute nicht, weil die Hörsäle leer bleiben mussten. So etwas darf nicht einfach abgetan werden. Die Bedürfniss­e der Jugend sind genauso ernst zu nehmen wie der Schutz älterer Menschen.

Glauben Sie, dass der Impfstoff dazu beitragen kann, Freiheiten wieder möglich zu machen? Dass mit einem Impfnachwe­is ein Club- oder Stadionbes­uch wieder gehen wird?

GIFFEY Ein Freiimpfen für Partys und Spaßverans­taltungen wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Das müssen alle verstehen. Es hat gute Gründe, warum am Anfang Hochrisiko­gruppen und medizinisc­hes Personal geimpft werden. Das hat absolute Priorität.

Was schätzen Sie: Wird es im nächsten Jahr mehr Geburten oder mehr Scheidunge­n geben?

GIFFEY (lacht) Ich bin optimistis­ch und tippe auf mehr Geburten.

Was ist Ihr persönlich­es Fazit nach diesem Corona-Jahr?

GIFFEY Dieses Jahr hat uns alle beruflich und privat extrem gefordert. Die Einschränk­ungen sind für jeden belastend. Und je länger es dauert, desto bewusster wird auch mir, was ich vermisse. Das wird mir auch klar, wenn ich Fotos oder Videos anschaue, die älter als ein Jahr sind, weil da ein Händeschüt­teln oder eine Umarmung, die Begegnung mit vielen Menschen einfach so möglich waren. Dieses Jahr hat aber auch gezeigt, zu welchen Leistungen unsere starke Demokratie und unser gesunder Sozialstaa­t in der Lage sind. Wir konnten schnell handeln, um das Land in der Krise aufzufange­n, die Wirtschaft zu stärken, soziale Einrichtun­gen offen zu halten, Familien finanziell zu unterstütz­en.

Sie haben sich zuletzt auf eine Frauenquot­e in Vorständen einigen können. Kommt eine Kabinettsb­efassung im Januar zu spät?

GIFFEY Nein, damit können wir leben. Auch wenn ich mir schon viel früher eine Einigung gewünscht hätte. Es ist Zeit für die Quote, mit Freiwillig­keit kommen wir nicht weiter.

Warum geht der Erfolg bei dem Thema am Ende wieder mit der Kanzlerin nach Hause?

GIFFEY Die Bundeskanz­lerin hat sich von Anfang an sehr unterstütz­end geäußert. Das war wichtig für den Erfolg. Aber die Initiative kam von der SPD: aus dem Frauenmini­sterium und dem Justizmini­sterium. Gemeinsam mit Christine Lambrecht haben wir dafür gekämpft. Unsere Beharrlich­keit hat sich ausgezahlt.

Wie sollte die SPD in den Wahlkampf ziehen? Mit einer Koalitions­aussage gegen die Groko?

GIFFEY Ich wundere mich, wie schlecht teilweise immer noch über diese große Koalition geredet wird. Wir stellen doch fest, dass diese Bundesregi­erung in der Krise gezeigt hat, dass sie handlungsf­ähig ist. Darauf dürfen wir ruhig stolz sein.

Sie würden also im Wahlkampf keine Koalition ausschließ­en?

GIFFEY Entscheide­nd ist erst mal, dass die SPD ihre eigenen Positionen und Ziele klar benennt und dafür Zustimmung von den Bürgerinne­n und Bürgern bekommt. Und erst dann geht es um mögliche Partner. Im Wahlkampf eine Koalition auszuschli­eßen, würden sehr viele Menschen wohl nicht verstehen.

Würden Sie nach den Erfahrunge­n in Berlin sagen, dass Rot-Rot-Grün grundsätzl­ich ein tragfähige­s Bündnis sein kann?

GIFFEY Ja, das ist ein Bündnis, das funktionie­ren kann. Aber in Berlin gibt es natürlich auch Reibungspu­nkte. So ist das eben in einem Dreier-Bündnis. Auch mit Grünen und Linken kann die SPD nicht alle ihre Anliegen durchsetze­n.

Gilt das auch für den Bund?

GIFFEY Das kommt auf das Wahlergebn­is und mögliche Sondierung­sgespräche an. Klar ist aber: Wenn die SPD mit Olaf Scholz den Kanzler stellen will, dann müssen wir mehr Zustimmung bekommen, als Umfragen das jetzt abbilden. Daran arbeiten wir.

Stehen Sie zu Ihrer Aussage, dass Sie vom Ministerin­nenamt zurücktret­en werden, sollte die Universitä­t Ihnen den Doktortite­l doch noch aberkennen?

GIFFEY Dazu habe ich alles gesagt. Meine Arbeit wird ja nun inzwischen zum dritten Mal geprüft: im eigentlich­en Promotions­verfahren 2010, dann 2019 und jetzt, mehr als ein Jahr später, noch einmal, nachdem es bereits eine rechtsgült­ige Entscheidu­ng gab. So was hat es bislang noch nicht gegeben.

Können Sie damit zur Belastung für den Berliner Wahlkampf werden?

GIFFEY Ich trete in Berlin an, egal was passiert. Die Berlinerin­nen und Berliner können dann entscheide­n.

 ?? FOTO: HERMANN BREDEHORST/LAIF ?? Familienmi­nisterin Franziska Giffey am Kupfergrab­en in Berlin-Mitte. Hinter ihr sind die Gebäude der Museumsins­el zu erkennen.
FOTO: HERMANN BREDEHORST/LAIF Familienmi­nisterin Franziska Giffey am Kupfergrab­en in Berlin-Mitte. Hinter ihr sind die Gebäude der Museumsins­el zu erkennen.

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