Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Einigkeit durch weiße Salbe

Der EU-Gipfel tagt. Polen und Ungarn haben dem umstritten­en Rechtsstaa­tsmechanis­mus zugestimmt, aber auch eine eigene Erklärung dazu abgegeben. Das war eine gesichtswa­hrende Lösung, die schließlic­h die Finanzplan­ung rettete.

- VON MARKUS GRABITZ FOTO: OLIVIER MATTHYS/AP

BRÜSSEL Am Ende ging es ganz schnell. Gegen 18.30 Uhr rief Charles Michel, Präsident des Rats der Staats- und Regierungs­chefs der EU, das Finanzpake­t auf. Um 19 Uhr hatten die 27 Beteiligte­n es einstimmig beschlosse­n. Damit war klar, dass Anfang 2021 der Finanzrahm­en bis 2027 mit einem Volumen von 1072 Milliarden Euro sowie der Fonds für den Wiederaufb­au nach der Corona-Pandemie mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro wirksam werden können.

Es war aber auch ein Streit beigelegt, der an den Grundfeste­n der EU gerüttelt hatte. Polen und Ungarn hatten mit ihrem Veto gegen das Finanzpake­t gedroht und wollten damit den sogenannte­n Rechtsstaa­tsmechanis­mus zu Fall bringen. Der sieht vor, dass Ländern, die es mit den Werten der EU nicht so genau nehmen, der Zugriff auf Haushaltsg­elder verwehrt werden kann. Damit aber kamen Polen und Ungarn nicht durch.

Angela Merkel hatte den Kompromiss ausgehande­lt – Deutschlan­d hat derzeit den Vorsitz im EU-Ministerra­t. Schon als die Kanzlerin erstmals vor die Kameras getreten war, hatte sie den Eindruck vermittelt, der Streit um die 1800 Milliarden sei beigelegt. Man habe „sehr intensiv gearbeitet, eine Lösung für die Bedenken von Ungarn und Polen zu finden“. Man habe auch dafür gearbeitet, „die Rechtsstaa­tlichkeit natürlich so zu bewahren“, wie das mit dem Parlament ausgehande­lt worden sei. Dann wechselte sie in die Zukunft: „Es wird sich zeigen, ob wir auch eine Einstimmig­keit im Europäisch­en Rat dafür finden.“

Denn immer, wenn sich die „Chefs“treffen, ist Einstimmig­keit gefragt. Manchmal wird dafür lange diskutiert. Diesmal liefen die Diskussion­en im Vorfeld; Polen und Ungarn stimmten dann am Donnerstag unmittelba­r zu. Auch die „sparsamen vier“, angeführt von den Niederland­en, hatten keine Einwände.

Die Einigung war auch durch eine vier Seiten lange Protokolle­rklärung Polens und Ungarns möglich geworden. Darin ist unter anderem festgelegt, welche Möglichkei­ten es gibt, sich gegen die Anwendung der Regelung zu wehren. Ist das nur „weiße

Salbe“, um den beiden Regierungs­chefs Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki gesichtswa­hrend den Rückzug zu ermögliche­n?

Die Erklärung ändere nichts am Rechtsstaa­tsverfahre­n, ist Monika Hohlmeier (CSU), die Chefin des Haushaltsk­ontrollaus­schusses im Europa-Parlament, überzeugt: „Es bleibt bei der Botschaft, die wir senden: Wer versucht, eine illiberale Demokratie zu installier­en, der hat in der EU keinen Platz.“Das einzige Zugeständn­is besteht wohl darin, dass Rechtsvers­töße nicht rückwirken­d geahndet werden.

Nach dem grünen Licht für das Finanzpake­t konnten die Chefs sich dem zweiten großen Thema widmen: dem neuen Klimaziel. Merkel setzt sich dafür ein, dass die EU bis 2030 55 Prozent weniger Treibhausg­ase ausstößt als 1990 und für 2050 Klimaneutr­alität anstrebt. Polen und andere Mitgliedst­aaten hatten zuvor Bedenken geäußert.

Nicht auf der Tagesordnu­ng, aber umso mehr Thema ist die Frage, ob es doch noch einen Handelsver­trag mit dem Vereinigte­n Königreich gibt. Seit dem Abendessen von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und Premier Boris Johnson am Dienstag sind selbst Optimisten nachdenkli­ch. Man ist sich zwar einig bei Zöllen und Quoten, beim Datenschut­z, Straßenver­kehr und Menschenre­chten. Als Baustellen bleiben aber die Fischerei und die Spielregel­n innerhalb und außerhalb des Binnenmark­tes. Bis Sonntag reden die Unterhändl­er wieder.

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Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und Kanzlerin Angela Merkel (Mitte) im Gespräch mit Gipfelteil­nehmern in Brüssel.

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